Im Jahr 2045 sollen alle Wärmenetze klimaneutral sein. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Im Jahr 2024 hatten erneuerbare Energien im deutschlandweiten Durchschnitt einen Anteil von 21,9 Prozent an der Fernwärmeerzeugung, so die vorläufige Zahl des Umweltbundesamtes für 2024.
Dabei gibt es eine Reihe von beispielhaften Kommunen, die das Thema auf unterschiedliche Weise angehen. Metropolen wie München etwa machen mit Großprojekten wie der europaweit größten Geothermieanlage von sich reden. Kleinstädte können naturgemäß nicht mit Superlativen aufwarten. Die Entwicklungen dort sind aber nicht minder beachtenswert.
Ein Beispiel ist die brandenburgische Kleinstadt Hennigsdorf am Rande von Berlin. Dort ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Fernwärmeerzeugung mit 45 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im bundesweiten Mittel, hinzu kommen zehn Prozent aus unvermeidbarer Abwärme (Stand: September 2024). Das Konzept der 27.000-Einwohner-Kommune – die sogenannte „Wärmedrehscheibe“ – hat bereits beim bundesweiten Wettbewerb Klimaaktive Kommune 2021 überzeugt.
Wärmeplanung in groß und klein
Seit gut 20 Jahren treibt Hennigsdorf die Dekarbonisierung der Fernwärme konsequent voran. Aus Sicht von Christoph Schneider, Geschäftsführer der Stadtwerke Hennigsdorf, war das ein entscheidender Faktor: „Die Kommune hat hier sehr frühzeitig die Weichen gestellt.“ Die vier ehemaligen Einzelnetze bilden mittlerweile einen Verbund. Ein Bioerdgas-Blockheizkraftwerk, ein mit Hackschnitzeln betriebenes Biomasse-Heizkraftwerk, eine Solarthermieanlage und ein Pufferspeicher sind eingebunden. Seit 2019 wird zudem die unvermeidbare industrielle Abwärme des Stahl- und Walzwerks über einen Wärmetauscher ausgekoppelt und in das Fernwärmenetz eingespeist.
Schritt für Schritt ersetzen so die erneuerbaren Energieträger und die Abwärme die fossilen Erzeuger. Der nächste Meilenstein wird die Inbetriebnahme eines Multifunktionsspeichers mit einem Wasservolumen von knapp 19.000 Kubikmetern sein. Dieser speichert Lastspitzen zwischen und gibt sie bei Bedarf ab. Der Anteil klimaneutral erzeugter Wärme kann damit auf bis zu 80 Prozent gesteigert werden.
Gesteuert wird das komplexe Zusammenspiel von Erzeugern und Speichern einerseits und den verbrauchenden Haushalten, Gewerbe- und Industriebetrieben sowie kommunalen Einrichtungen andererseits über eine Leitwarte. Die Investitionskosten belaufen sich auf knapp 43 Millionen Euro. Vom Bund gab es Fördermittel in Höhe von 4,6 Millionen Euro. Der Stadtwerke-Geschäftsführer schaut unterdessen nach vorn: „Wir müssen uns bereits über die zweite Phase der EE-Erzeuger Gedanken machen“, sagt Schneider. „Ein großes Thema ist dabei, dass wir den Anteil von Biomasse bis 2035 von derzeit 50 auf dann 15 Prozent reduzieren müssen.“
München hat die Wärmewende etwa zeitgleich mit Hennigsdorf in Angriff genommen. Neben Biomasse und unvermeidbarer Abwärme liefern inzwischen vor allem Geothermieanlagen umweltfreundliche Energie. „Mit dem Einsatz von Geothermie in der Wärmewende waren wir Vorreiter“, betont Karin Thelen, Geschäftsführerin Regionale Energiewende der Stadtwerke München (SWM). Die erste Anlage wurde 2004 gebaut, mittlerweile sind sechs in Betrieb. Diese haben in den drei SWM-Wärmenetzen einen Erzeugungsanteil zwischen 10,8 und 84,4 Prozent.
Mit jedem neuen Erzeuger wurden zu einem Zeitpunkt, wo der Umbaudruck noch deutlich geringer war als heute, Erfahrungen gesammelt und die Technik optimiert. Jetzt setzen die Stadtwerke auf Standardisierung. Nach Einschätzung der Geschäftsführerin kann die Errichtung weiterer Anlagen schneller und effektiver erfolgen. Die siebte und bislang größte Geothermieanlage Europas befindet sich bereits im Bau, weitere sind in Planung.
Auch im brandenburgischen Neuruppin wird Geothermie künftig eine Hauptrolle übernehmen. Seit rund 20 Jahren nutzt ein Hotel- und Freizeitkomplex das Thermalwasser unter der Stadt. Überlegungen, dieses auch für die Fernwärme einzusetzen, gab es schon in den 90er-Jahren. Jetzt werden sie in großem Stil umgesetzt – in Form einer Geothermieanlage mit 13,38 Megawatt thermischer Leistung. Die Bohrungen sind abgeschlossen. Aus einer Tiefe von mehr als 1.700 Metern wird künftig 65 Grad Celsius heißes Thermalwasser an die Oberfläche gepumpt und dem Wasser dort die Wärme entzogen.
Der Bau der Obertage-Anlage für die Wärmetauscher und die Wärmepumpen ist in vollem Gange. Die Stadtwerke Neuruppin rechnen damit, dass die Wärme aus der Erde bereits im Winter 2026/27 etwa 75 Prozent des Fernwärmebedarfs decken wird. Ob an einem weiteren Standort Bohrungen erfolgen und/oder die Bohrungen nahe der Therme erweitert werden, steht noch nicht fest.
Dort, wo Geothermie verfügbar ist, kann sie erhebliche Anteile beisteuern. Stand Januar 2025 waren deutschlandweit 42 Anlagen in Betrieb, 16 im Bau und 155 in Planung. Die Umsetzung könnte es allerdings mancherorts stocken, so die Befürchtung von Leonardo Estrada vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer: „Ein Engpass sind Fachkräfte und spezialisierte Firmen.“ In ganz Deutschland gebe es gerade mal vier Firmen, die Tiefenbohrungen für Geothermie in der notwendigen Dimension vornehmen können.
Wärmepumpen XXL
Was im Einfamilienhaus funktioniert, ist auch für die Energiewirtschaft eine Option. Leistungsstarke Großwärmepumpen nutzen natürliche Energiequellen wie die Umgebungsluft, vor allem aber Abwasser und Flusswasser. In Stuttgart beispielsweise macht seit Kurzem eine Großwärmepumpe mit einer Leistung von bis zu 24 Megawatt die Abwärme aus dem Kühlwasserkreislauf eines Restmüllheizkraftwerks nutzbar. Jahresbilanziell könne die Anlage den klimaneutralen Anteil der Fernwärmeerzeugung von bislang knapp 19 Prozent (Stand: 2023) um fünf bis zehn Prozentpunkte steigern, lautet die Prognose des Versorgers Energie Baden-Württemberg (EnBW). Ein weiterer wichtiger Baustein in der Wärmewende in Stuttgart ist der Fuel-Switch: Kohlekessel und heizölbetriebene Turbinen werden durch Gaskraftwerke ersetzt, die dann in den 2030er-Jahren auf grünen Wasserstoff umgestellt werden.
In Köln bereitet Versorger Rheinenergie gemeinsam mit MAN Energy Solutions den Bau von Europas bislang größter Flusswärmepumpe mit einer Leistung von 150 Megawatt vor. Rund 280.000 Millionen Euro kostet das Vorhaben, 100 Millionen übernehmen der Bund und die Europäische Union. Das Kältemittel der Großwärmepumpe soll die Rheinwassertemperatur von rund zehn Grad Celsius im Jahresmittel aufnehmen. In einem mit Grünstrom angetriebenen Verdichter wird das Kältemittel auf bis zu 110 Grad Nutztemperatur erhitzt. Die gibt es über einen Wärmetauscher an das Wasser des Fernwärmekreislaufs ab.
Ab 2027 soll die Anlage Wärme in das größte Fernwärmeteilnetz von Rheinenergie in Köln einspeisen und dort den EE-Anteil auf etwa 30 Prozent erhöhen, so die Schätzungen des Versorgers. Im Bereich Innenstadt könnte die Großwärmepumpe dann für sich genommen rund 50.000 Haushalte mit klimaneutraler Wärme versorgen. Zum Vergleich: Die Flusswärmepumpe, die bereits in Mannheim in Betrieb ist, hat eine thermische Leistung von 20 Megawatt und eine Kapazität von rund 3.500 Haushalten.
Das Megaprojekt ist allerdings nur ein Baustein. Die Rheinmetropole strebt als städtisches Dekarbonisierungsziel für alle Fernwärmegebiete das Jahr 2035 an. Stand heute stammen nach Angaben von Rheinenergie rund 80 Prozent der Fernwärme aus Erdgas. Die vorhandenen Gasanlagen sollen stufenweise auf grüne Gase wie etwa Wasserstoff umgestellt werden – vorausgesetzt, es stehen entsprechende Mengen an Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung.
Hoffen auf grünen Wasserstoff, Solarthermie ist schon da
Genau wie Stuttgart oder Köln planen viele Kommunen fest mit Wasserstoff. Zum Beispiel Hannover. Die Grundlagen sind vor allem die frühzeitige Wärmeplanung und ein Ratsbeschluss für eine Fernwärmesatzung. Aktuell deckt die Fernwärme rund 30 Prozent des örtlichen Wärmemarktes ab, 2040 sollen es rund 56 Prozent sein, so die ehrgeizigen Ausbauziele.
Die Dekarbonisierung ist in vollem Gange: 30 Prozent der Fernwärme werden derzeit klimaneutral erzeugt – mit einer Klärschlammverwertungsanlage, einer Power-to-Heat-Anlage, zwei Biomethan-Blockheizkraftwerken und einer Abfallwärmeauskopplung. Die weiteren Etappen stehen: Voraussichtlich im Herbst wird ein Biomasse-Heizkraftwerk den Betrieb aufnehmen. Dann kann der erste Kohleblock vom Netz gehen, sodass der EE-Anteil auf rund 50 Prozent steigt.
Der vollständige Kohleausstieg soll mit der Stilllegung von Block 2 im Jahr 2027 erfolgen. Für das gleiche Jahr ist die Inbetriebnahme einer Großwärmepumpe auf dem Gelände eines Klärwerks angekündigt. Sie nutzt das Energiepotenzial des geklärten Wassers. 56 Millionen Euro investiert der Versorger Enercity allein in dieses Projekt. Bis zu 75 Prozent der Fernwärme werden so ab 2027 klimaneutral erzeugt. Weitere Großwärmepumpen, der Ausbau der Abfallwärmeauskopplung sowie eine Tiefengeothermie-Anlage sind in Vorbereitung.
Insgesamt sollen 14 nachhaltige Wärmequellen das Hannoveraner Fernwärmenetz speisen, damit es bis 2035 vollständig klimaneutral ist. Der Plan könnte aufgehen – wenn das gegenwärtig mit Erdgas befeuerte innerstädtische Heizkraftwerk Linden auf grünen Wasserstoff umgestellt werden kann.
In Leipzig deckt Fernwärme rund 28 Prozent des Bedarfs. Im vergangenen Jahr wurde sie noch zu 100 Prozent fossil erzeugt – 71,5 Prozent aus Erdgas, 28,5 Prozent aus Braunkohle. Dennoch: Bis 2038 soll die Wärmewende gelingen. Auch hier gibt es einen Superlativ: Im Westen von Leipzig bauen die Stadtwerke derzeit die größte Solarthermieanlage Deutschlands, mit einem Investitionsvolumen von rund 40 Millionen Euro. Auf einer Fläche von 14 Hektar wird eine Anlage mit 65.000 Quadratmetern Kollektorfläche und einer Spitzenleistung von 41 Megawatt errichtet. Der Standort ist optimal, in direkter Nachbarschaft zum Umspannwerk und dem BHKW Leipzig West. Ab Ende 2025 könnten die Kollektoren rund 26 Gigawattstunden Wärme pro Jahr liefern und im Sommer 20 Prozent des täglichen Gesamtwärmebedarfs im Fernwärmenetz decken. Aufs Jahr gerechnet sind es allerdings den Stadtwerken zufolge nur etwa zwei Prozent.
Industrielle Abwärme wartet auf Nutzung
Einen deutlich größeren Batzen – rund 40 Prozent – kann ab Anfang 2028 unvermeidbare Abwärme aus der Raffinerie von Total Energies in Leuna beisteuern. In der dortigen Produktionsanlage steht ganzjährig – bislang ungenutzt – industrielle Abwärme mit bis zu 83 Megawatt Leistung auf Fernwärme-Temperaturniveau zur Verfügung. Voraussetzung für das Projekt „RE=FILL“ ist eine Anbindung des Industriestandorts an das Leipziger Netz, konkret das Heizwerk in Kulwitz. Die erforderliche 19 Kilometer lange Fernwärmetrasse durch Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde im April dieses Jahres genehmigt, im Spätsommer beginnt der Bau. Zum künftigen Erzeugungsmix gehören in Leipzig neben Solarthermieanlagen und industrieller Abwärme auch Großwärmepumpen und Power-to-Heat-Anlagen – und das 2020 gebaute Heizkraftwerk im Süden der Stadt. Dieses wird zwar derzeit mit zwei Gasturbinen betrieben, ist aber H2-ready. Genau wie Hannover oder Köln setzt auch Leipzig auf die Umstellung auf Wasserstoff.
Nach dem bisherigen Planungsstand haben alle vier genannten Städte gute Chancen, an die künftige Wasserstoffinfrastruktur angebunden zu werden. Das genehmigte Kernnetz mit einer Gesamtlänge von 9.040 Kilometern soll bereits 2032 fertiggestellt sein. „Dort, wo das Wasserstoffkernnetz gebaut wird, haben Wärmeversorger zwar keine Garantie, dass sie irgendwann Wasserstoff zur Wärmeerzeugung erhalten, aber sie haben einen Vorteil“, sagt Gerhard Stryi-Hipp vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Allerdings: Woher der grüne Wasserstoff in den benötigten Mengen kommen soll und welche Kosten damit verbunden sein werden, weiß heute noch niemand.
Verfügbare Quellen bestimmen den Energiemix
Die Beispiele zeigen: Eine Einheitslösung für alle Kommunen gibt es nicht. Sie müssen mit den Wärmequellen arbeiten, die vor Ort zugänglich sind. „Den Großteil der Wärme werden sicherlich Wärmepumpen liefern“, fasst Stryi-Hipp zusammen. „Deren Vorteile nehmen mit den steigenden Anteilen von Strom aus Solar- und Windenergie zu.“ Geothermie sei prinzipiell bundesweit vorhanden, teilweise jedoch zu hohen Kosten und mit Unsicherheiten bei den Bohrungen. „Solarthermie ist in Kombination mit großen Speichern erprobt und eine mögliche Ergänzung, aber in Ballungsgebieten schwer umsetzbar“, so der Fraunhofer-Experte weiter. „Biomasse und Wasserstoff werden nur begrenzt zur Verfügung stehen.“
Gefragt ist also ein passender Mix. Der hängt nicht nur von der Verfügbarkeit der Energiequellen ab. „Eine große Rolle spielt die Lage der Erzeugungsstandorte im Netz“, erklärt Berater Estrada. „Wenn es in einem Strahlennetz mit einem einzigen zentralen Versorger an dessen Standort keine Erneuerbare-Energien-Quelle gibt, läuft es schnell auf Biomasse oder ein auf Wasserstoff umrüstbares Kraftwerk hinaus.“ Er weist zudem auf den Faktor Netztemperatur hin: „Wenn ein Netz bislang mit einer Temperatur von vielleicht 90 Grad Celsius betrieben wird, lässt es sich leichter auf erneuerbare Energien umstellen als ein Netz, in dem Wasser mit 110 oder gar 120 Grad Celsius transportiert wird.“
In Randbereichen von Netzen kann unter Umständen die Abkoppelung von Teilnetzen sinnvoll sein, meint Stryi-Hipp. „Dann kann beispielsweise ein saniertes Wohngebiet mit reduziertem Wärmebedarf mit einem niedrigeren Temperaturniveau versorgt werden.“ Umgekehrt kann es mancherorts sinnvoll sein, ein Verbundnetz zu schaffen, um darin saisonale und tageszeitliche Unterschiede auf der Erzeugungs- und/oder Bedarfsseite ausgleichen zu können – so wie im Vorzeigenetz in Hennigsdorf.

Bild: Matthias Baumbach/Stadtwerke Hennigsdorf

Bild: SWM/Thomas Einberger
Das sagt das Wärmeplanungsgesetz (WPG) zur Dekarbonisierung der Fernwärme
§ 2 Ziele für die leitungsgebundene Wärmeversorgung
(1) Der Anteil von Wärme aus erneuerbaren Energien, aus unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination hieraus an der jährlichen Nettowärmeerzeugung in Wärmenetzen soll im bundesweiten Mittel ab dem 1. Januar 2030 50 Prozent betragen.
§ 29 Anteil erneuerbarer Energien in Wärmenetzen
(1) Die jährliche Nettowärmeerzeugung muss für jedes Wärmenetz ab den genannten Zeitpunkten aus den folgenden Wärmequellen gespeist werden:
1. ab dem 1. Januar 2030 zu einem Anteil von mindestens 30 Prozent aus erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination hieraus,
2. ab dem 1. Januar 2040 zu einem Anteil von mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination hieraus.