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Kreislauffähigkeit der Dämmung

Wärmeschutz und Lebenszyklus

Die energetische Sanierung des Gebäudebestandes geht derzeit viel zu langsam vor sich. Anstatt dass fossile Heizanlagen im großen Stil durch Wärmepumpen ersetzt werden, boomten 2023 Gasgeräte und auch neue Ölheizungen wurden fleißig eingebaut. Noch schlimmer sieht es bei den Gebäudehüllen aus. Die rasante Talfahrt, die der Absatz von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) im vergangenen Jahr erlebt hat, beschleunigte sich in diesem Jahr noch [1]. Ohne ausreichenden Wärmeschutz aber kann es mit der Klimaneutralität bis 2045 nichts werden: Die Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien benötigen effiziente Gebäude, sollen sie ihre Stärken ausspielen können. Und erst eine Bausubstanz mit wirksamer Isolierung kann die mit erneuerbarem Strom zeitweise gratis erzeugte Wärme zwischenspeichern – ergo: „netzdienlich“ sein.

Doch es sind nach wie vor Falschbehauptungen im Umlauf, die Eigentümer:innen verunsichern und sie von einer Investition in den Wärmeschutz abhalten. So vertrat selbst Bauministerin Klara Geywitz wiederholt die Ansicht, dass Wärmedämmung unwirtschaftlich sei, dass darüber hinaus der Gehalt an grauer Energie in Dämmstoffen bedenklich sei, und stellte damit die Nachhaltigkeit des Wärmeschutzes infrage [2, 3]. Die kürzlich an die Öffentlichkeit getretene „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ fordert gar eine Abkehr von den – ohnehin nicht gerade strengen – Effizienzvorgaben für Gebäude [4]. Die Argumente der Wissenschaft, die solche Theorien über die vermeintliche Belastung der Umwelt und des Klimas durch Dämmstoffe im Wesentlichen widerlegt hat, gehen da schnell unter [5, 6].

Was aber sagt ein Vertreter der Industrie zur Nachhaltigkeit des Wärmeschutzes und zu neuen kreislauffähigen Lösungen? GEB-Redakteur Alexander Borchert sprach dazu mit Georg J. Kolbe, Leiter des Bereichs Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme bei Saint-Gobain ­Weber.

Um den Rückbau zu erleichtern, werden die Dämmplatten im System Webertherm Circle rein mechanisch mit Schraubdübeln an der Fassade befestigt.

Bild: Saint-Gobain Weber

Um den Rückbau zu erleichtern, werden die Dämmplatten im System Webertherm Circle rein mechanisch mit Schraubdübeln an der Fassade befestigt.

Herr Kolbe, auch Dämmstoffe waren in den vergangenen zwei Jahren stark von Preissteigerungen betroffen. Wo lagen aus Ihrer Sicht die Hauptursachen?

Georg J. Kolbe: Mittlerweile haben sich die Preise größtenteils wieder normalisiert oder nähern sich zumindest dem Vor-Krisen-Niveau an. Generell waren die Preissteigerungen im Bereich der Dämmstoffe eng mit den Energiepreisen verknüpft.

Nun werden aber auch neben den vermeintlich hohen Kosten andere Argumente angeführt, die gegen die Investition in den Wärmeschutz sprechen sollen – etwa die Umwelt- und Klimabelastungen, die durch Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Dämmmaterialien entstehen. Die Zementindustrie verfolgt bereits verschiedene Ansätze, um die Umweltbelastung zu reduzieren, also sowohl ihren Ressourcenverbrauch als auch ihren CO2-Ausstoß zu mindern, außerdem in Zukunft die Deponien zu entlasten, das heißt: ihr Abfallaufkommen zu minimieren. Was tut die Dämmstoffindustrie in dieser Hinsicht?

Dämmstoffreste, die im Bau- und Produktionsprozess entstehen, lassen sich inzwischen relativ vollständig recyceln. Bei der Mineralwolle wird dieser Prozess bereits umfassend gelebt. Saint-Gobain Weber stellt selbst keine Dämmstoffe her. Daher liegt das Augenmerk unserer Forschung vor allem auf dem Umgang mit Dämmstoffen nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer. Hier besteht zum einen die Möglichkeit, bestehende Dämmsysteme an der Fassade zu belassen und die graue Energie weiter zu nutzen. Das energetische Niveau wird mit entsprechenden Verfahren, etwa mit unserem Retec-Verfahren, durch Instandsetzung des Altsystems und Aufdoppelungen erhöht. Natürlich ist uns bewusst, dass dies die Entsorgungsproblematik nur verschiebt. Mit Webertherm Circle haben wir daher ein kreislauffähiges WDVS entwickelt, das sich nach Ablauf der Nutzungsdauer sortenrein trennen und recyceln lässt. Aktuell forschen wir an der direkten Wiederverwendung und dem Re-Use der verwendeten Dämmstoffe. Wir sind uns sicher, dass dies auch aus wirtschaftlicher Sicht mittel- bis langfristig der einzig richtige Weg ist. Denn die Entsorgungskosten werden in Zukunft immer mehr steigen, sodass Entscheider diesen Schritt weitgehend zu vermeiden suchen.

Anscheinend halten die bisher angebrachten WDVS auf EPS-Basis gut durch, ebenso die anderen. Könnte es sein, dass wir in Sachen Dämmung bis in die nähere Zukunft gar kein Entsorgungsproblem bekommen?

WDVS altern generell nicht anders als Putzsysteme, dabei stehen vollmineralische Systeme am besten da. Da es sich um anorganisches Material handelt, verändert es sich auch über Jahrzehnte nicht. Regelmäßige Wartung vorausgesetzt, können Wärmedämm-Verbundsysteme problemlos 50 Jahre oder länger an der Fassade bleiben. Wir haben selbst entsprechende Referenzobjekte in unserem Bestand. Zusätzlich haben wir im vergangenen Jahr einen Langzeitversuch mit unseren Mineralwolle-WDVS beendet, bei dem wir die Bedeutung von Feldbegrenzungsfugen beziehungsweise Dehnungsfugen untersucht haben. In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Sahlmann und Partner wurden wichtige Erkenntnisse über das Verhalten von Wärmedämm-Verbundsystemen im Abbindeprozess sowie unter verschiedenen Witterungsbedingungen gewonnen. So belegen die Ergebnisse unter anderem, dass die Verformungen in den Systemen geringer ausfallen als angenommen – und wir daher mit sehr viel weniger solcher Fugen auskommen, als bisher gedacht. Daraus lässt sich ableiten, dass auch die Lebensdauer von WDVS unterschätzt wird. Denn es gilt: je weniger Verformung, desto langlebiger.

Georg J. Kolbe leitet den Bereich Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme bei Saint-Gobain Weber. Dort war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und Markteinführung von effizienten Dämmsystemen. Aktuell begleitet er die Weiterentwicklung des ersten sortenrein trennbaren Wärmedämm-Verbundsystems Webertherm Circle.

Bild: Saint-Gobain Weber / Lars Behrendt

Georg J. Kolbe leitet den Bereich Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme bei Saint-Gobain Weber. Dort war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und Markteinführung von effizienten Dämmsystemen. Aktuell begleitet er die Weiterentwicklung des ersten sortenrein trennbaren Wärmedämm-Verbundsystems Webertherm Circle.

Eine der Voraussetzungen für Kreislauffähigkeit von Bauteilen ist die Trennbarkeit der Komponenten beim Rückbau, im Fall des WDVS also von Anstrich, Armierung, Dämmung, Ober- und Unterputz. Wie kann man sie sicherstellen?

Saint-Gobain Weber hat mit dem erwähnten Webertherm Circle das erste bauaufsichtlich zugelassene recycling­fähige WDVS auf den Markt gebracht. Anders als bei herkömmlichen WDVS werden die Dämmplatten ohne Klebemörtel mit Schraubdübeln auf dem Untergrund be­festigt. Dank einer speziellen Materialqualität schmiegt sich der Dämmstoff besonders gut an den Untergrund an, weist aber gleichzeitig eine ausreichende Steifigkeit auf. Um den Rückbau zu erleichtern, wird unter der Armierungsschicht eine sogenannte Separationsschicht aufgebracht, bei der ein Gewebe in einen eigens entwickelten Separationsmörtel eingelegt wird. Das System wird stetig weiterentwickelt. So bieten wir inzwischen auch eine Variante mit Holzfaserdämmung an und forschen an Möglichkeiten eines Re-Use der Dämm­platten.

Betreffs Trennbarkeit beziehungsweise des Verzichts auf Kleber: Welche Dämmstofflasten und welche Gebäudehöhen sind möglich?

Unser Großversuch in Leipzig hat bewiesen, dass es keine relevanten Einschränkungen für den Anwendungsbereich unseres rein mechanisch befestigten, vollmineralischen WDVS gibt. Webertherm Circle wird mit speziell entwickelten Dübeln mit versenkter Montage ausgeführt, für die eigens ein entsprechendes Tool entwickelt wurde. Baurechtlich ist der Einsatz eines ausschließlich verdübelten mineralischen Systems bis 18 Meter Gebäudehöhe unkritisch, wobei die Oberkante Fußboden des höchsten bewohnten Geschosses die Messmarke ist. Bei höheren Gebäuden muss die Standsicherheit separat nachgewiesen werden. Auch kann die Baustoffklasse des verwendeten Dämmstoffes gegebenenfalls zu Einschränkungen führen.

Eine andere Bedingung für Kreislauffähigkeit ist die weitgehende Schadstoffarmut, besser: die Schadstofffreiheit der verwendeten Materialien, nicht nur was eventuelle Flammschutzmittel betrifft. Wie erreicht man das, wenn man zugleich Schimmel- und Algenbefall verhindern will?

Auch wenn mineralische Dämmplatten glücklicherweise ohne Flammschutzmittel auskommen, werden bei manchen Wärmedämm-Verbundsystemen mit pastösen Oberputzen nach wie vor giftige Biozide zur Algen- und Pilzabwehr eingesetzt. Das hydrophile, saugende Prinzip mineralischer Putze dagegen sorgt auf natürliche Weise für einen ausgeglichenen Feuchtehaushalt und macht den Einsatz von bioziden Filmkonservierungen zum Schutz vor Algen und Pilzen überflüssig. Das Wasser verschwindet schnell von der Oberfläche, steht den Organismen dann nicht mehr zur Verfügung.

Neben EPS, PU, XPS und Mineralwolle sind Zellulose- und Holzfaserdämmungen sowie weitere Alternativen aus nachwachsenden Rohstoffen im Handel. Wie würden Sie die Nachhaltigkeit dieser Materialien gegenüber den Klassikern beurteilen?

Nicht nur, dass es sich bei den Ausgangsmaterialien der genannten Dämmstoffe um nachwachsende Rohstoffe handelt. Es werden für die holzbasierten größtenteils sogar Abfallmengen aus der Holzindustrie genutzt. Dies ist natürlich ein wichtiges Kriterium.

Wie sieht es mit Hartschäumen auf Basis nachwachsender Rohstoffe aus? Gibt es neue Entwicklungen, Ideen, Prototypen?

Es gibt Ansätze zur Gewinnung von Hartschaum aus Lignin, also aus Holz. Diese Entwicklungen spielen jedoch auf dem Markt noch keine Rolle.

Viel Hoffnung wurde vor etlichen Jahren in Aerogel-Dämmstoffe gesetzt. Haben sich die Erwartungen erfüllt? Werden Aerogele in absehbarer Zeit selbstverständliche Komponente von Gebäude- und anderen Dämmungen sein?

Aerogele haben sich nicht durchgesetzt, was aber nicht unbedingt mit dem Konzept zu tun hat, sondern vielmehr mit Rohstoffverfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Dämmstoffe.

Welches Potenzial bietet die Vakuumdämmung, auch für die Außenhülle?

Saint-Gobain Weber hat schon früh ein eigenes Vakuumsystem entwickelt. Von den U-Werten her war es unübertroffen, aber die zusätzlichen Anforderungen an den Brandschutz haben damals eine wirtschaftliche Perspektive nicht mehr zugelassen.

Wie könnte die Verwertung der mineralischen Bestandteile von Alt-WDVS aussehen?

Sprechen wir von recyclingfähigen WDVS wie Webertherm Circle, so ist der Prozess unkritisch. Die Mineralwolle kann direkt wiederverwertet werden, findet beispielsweise eine neue Aufgabe in Gebäudetrennfugen oder – geflockt – als Einblasdämmung. Saint-Gobain Weber forscht außerdem an einem direkten Re-Use der Dämmplatten. Der mineralische Putz wird zermahlen und als Zugabe in untergeordneten mineralischen Baustoffen verwendet. Aber auch Kunststoff und Stahl aus Dübeln oder Armierungsgewebe lassen sich wieder in den Materialkreislauf einbringen. Bei Wärmedämm-Verbundsystemen, die noch mit Mörtel als Verbundstoff arbeiten, bedeutet die Trennung der Bestandteile einen stark erhöhten Aufwand.

Wie kann man im Gebäudeinneren den Wärmeschutz verbessern, unter Verwendung nachhaltiger Baustoffe und ohne Gefahr für die Bausubstanz?

Hier empfehlen sich kapillaraktive Innendämmsysteme wie vollmineralischer Dämmputz, Mineralschaum-Platten oder Holzfaser-Platten. Neben den Innenwänden sollte immer auch die Kellerdecke beziehungsweise die oberste Geschossdecke gedämmt werden.

Das im Webertherm Circle-System integrierte Separationsgewebe wird bahnenweise gestrippt und mitsamt der Putzschicht abgezogen. Nachdem der Putz mechanisch vom Gewebe getrennt wurde, geht beides wieder in den Produktionsprozess ein.

Bild: Saint-Gobain Weber

Das im Webertherm Circle-System integrierte Separationsgewebe wird bahnenweise gestrippt und mitsamt der Putzschicht abgezogen. Nachdem der Putz mechanisch vom Gewebe getrennt wurde, geht beides wieder in den Produktionsprozess ein.

Stichwort energetische Amortisation: Gelegentlich wird noch die in Dämmstoffen enthaltene graue Energie als Manko und als Einschränkung der Nachhaltigkeit interpretiert. Wie sehen das Ihre Fachleute?

Ein Wärmedämm-Verbundsystem spart bereits nach kurzer Zeit die Energie ein, die zu seiner Herstellung benötigt wurde und leistet anschließend sogar ein Plus. Allen, die es genau wissen wollen, bietet Saint-Gobain Weber mit dem Klimarechner ein Online-Tool, das ihnen hilft, das CO2-Einsparpotenzial von Wärmedämm-Verbundsystemen zu berechnen. Hier ermitteln Bauherrinnen und Bauherren durch wenige Angaben zu ihrem Gebäude und ihrem Energieverbrauch, wie lange es ungefähr dauert, bis sich ein Wärmedämm-Verbundsystem für das Klima lohnt.

Die Fragen stellte Alexander Borchert.

Quellen/Literatur

[1] Absatzrückgang WDVS, https://t1p.de/GEB241042

[2] Dämmkritik von Klara Geywitz, https://t1p.de/GEB241043

[3] Erwiderung auf Dämmkritik, https://t1p.de/GEB241044

[4] Initiative Praxispfad, https://t1p.de/GEB241045

[5] Dämmung und Graue Energie, https://t1p.de/GEB241046

[6] Dämmung und Energieeffizienz, https://t1p.de/GEB241047

Sauber getrennt können die Komponenten wieder in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden.

Bild: Saint-Gobain Weber

Sauber getrennt können die Komponenten wieder in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden.

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