„Porta Nuova war früher ein Rangierbahnhof und stand mehrere Jahrzehnte lang leer“, berichtet Sustainability Officer Stefano Corbella. Dabei spricht er über ein Viertel unweit des Mailänder Stadtzentrums, das sein Unternehmen Coima – eine italienische Investment- und Immobilienentwicklungsgesellschaft – in den vergangenen Jahren modernisiert hat. Bei den Gebäuden, die Coima in Porta Nuova neu gebaut oder saniert hat, gibt es einen klaren Fokus: Nachhaltig und technisch auf dem neuesten Stand sollen sie sein. Prägnantes Beispiel ist Bosco Verticale – der vertikale Wald: zwei Hochhäuser mit Luxuswohnungen, aus denen Bäume herauszuwachsen scheinen.
Das jüngste Ergebnis der Entwicklung in Puerta Nuova heißt Pirelli 35 – ein Geschäftsgebäude mit einer Größe von 45.000 Quadratmetern und elf Stockwerken. Das 65 Jahre alte Bauwerk wurde umfassend saniert. Ziel war es, es in eine intelligente und energieeffiziente Immobilie zu verwandeln. So versorgen Erdwärmepumpen und Photovoltaiksysteme die 40 gewerblichen Mieter mit Energie.
Alle Systeme auf einen Blick
Dass diese möglichst effizient genutzt wird, dafür sorgt die Intelligenz im Gebäude. Ein Automatisierungssystem fungiert quasi als Gehirn von Pirelli 35. Mit der Software Desigo CC von Siemens lassen sich alle technischen Systeme überwachen, steuern und optimieren. Dafür verbindet sie sich über Gateways, Controller und Netzwerke mit den verschiedenen Sensoren, Aktoren und Gewerken in einem Gebäude. Anwender können Steuerbefehle über eine einheitliche Nutzeroberfläche an die angeschlossenen Systeme senden, beispielsweise die Solltemperatur anpassen oder die Beleuchtung einschalten. Funktionen lassen sich automatisieren, sodass sich etwa die Heizung bei geöffnetem Fenster selbständig drosselt. Und durch die Analyse der Gebäudedaten ist es möglich, den Energieverbrauch zu erfassen.
Bei Pirelli 35 sind Systeme für Heizung, Lüftung und Klimatechnik sowie Beleuchtung, Brandschutz, Raumautomation und Stromverteilung an das „Gehirn“ angeschlossen. Die Integration umfasst auch Systeme, die nicht von Siemens kommen, wie zum Beispiel die Photovoltaikanlage. 16.000 Sensoren überwachen sieben verschiedene Umweltparameter, darunter CO2-Gehalt, Energieverbrauch und Luftqualität.
Die Echtzeitdaten, die sie liefern, lassen sich zum Beispiel nutzen, um darauf zu reagieren, wenn Personen einen Raum betreten. So kann sich etwa die Beleuchtung dem natürlichen Tageslicht anpassen. Und Jalousien werden heruntergelassen oder hochgefahren, um die optimale Raumtemperatur zu erzielen. Wird der Raum verlassen, schaltet sich die Beleuchtung aus und die Jalousien werden wieder in die ursprüngliche Position gebracht. Im Erdgeschoss von Pirelli 35 sitzen die Facility Manager vor Bildschirmen und können reagieren, falls das System Störungen oder Fehlfunktionen meldet.
Optimaler Betrieb braucht Daten
Die Digitalisierung sei eine Schlüsseltechnologie, sagt Corbella. „Es ist sehr bedauerlich, dass viele Eigentümer keinen Überblick über die Daten ihres Gebäudes haben. Denn ohne Daten kann man ein Gebäude nicht optimal betreiben.“ Für Coima ist es laut Corbella wichtig, rund um die Uhr die Kontrolle darüber zu haben, was innerhalb von Pirelli 35 geschieht. Das größte Potenzial für Energieeinsparungen ließe sich gerade in den Zeiten ausschöpfen, in denen das Gebäude nicht genutzt werde. „Durch das Monitoring stellen wir zum Beispiel häufig fest, dass Energie während der Nacht für die Heizung verbraucht wird, weil Mieter vergessen, sie abzustellen.“
Die Digitalisierung in Verbindung mit einem nachhaltigen Energiekonzept hat die Ökobilanz von Pirelli 35 deutlich verbessert. Laut Coima konnten der Energieverbrauch um 60 Prozent und die CO2-Emissionen um 2.000 Tonnen pro Jahr reduziert werden. Das Gebäude erhielt dafür LEED-Platin- und WELL-Gold-Zertifizierungen. LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) ist ein Bewertungssystem für grünes Bauen, wobei Platin die höchste Zertifizierungsstufe darstellt. Beim WELL-Gebäudestandard geht es primär um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gebäudenutzer.
Pirelli 35 diene als Vorzeigemodell für nachhaltige urbane Regeneration, sagt Susanne Seitz, CEO Buildings bei Siemens Smart Infrastructure. „Es zeigt, wie Immobilien mithilfe von Gebäude- und Elektrifizierungstechnologien modernisiert werden können, um die europäischen Netto-Null-Ziele für 2030 zu erreichen und gleichzeitig das architektonische Erbe zu erhalten.“
PV in die Fassade montiert
In dieser Rolle ist Pirelli 35 nicht allein in Porta Nuova. Vor zwei Jahren hat Coima dort Gioia 22 neu gebaut – ein Bürogebäude mit 30 Stockwerken und einer Gesamtfläche von mehr als 68.000 Quadratmetern. Auch dieses bezieht seine Energie von Erdwärmepumpen und Photovoltaik. Die 3.000 PV-Module sind in die Fassade integriert.
Gioia 22 ist mit der gleichen Automation ausgestattet wie Pirelli 35. Will heißen: Mithilfe von Desigo CC wird auch dort die gesamte Gebäudetechnik überwacht und analysiert. Das umfasst auch die Sicherheit. Das Brandschutzsystem Cerberus Pro ist integriert und wird ebenfalls zentral von Desigo CC überwacht.
Daneben ist in Gioia 22 eine Energie- und Anlagenmanagementsoftware installiert, die auf der digitalen Gebäudeplattform Building X von Siemens basiert. Sie wurde zur Optimierung der Energieeffizienz von Gebäuden entwickelt und fasst unter anderem Informationen zu Energieversorgung, Energieverbrauch und Systemleistung aus verschiedenen Quellen in einem zentralen Datenspeicher zusammen.
Das Ergebnis kann sich genauso sehen lassen wie das von Pirelli 35. Gioia 22 verbraucht gegenüber vergleichbaren Gebäuden in Mailand 75 Prozent weniger Energie. Laut Coima ist Gioia 22 mit 120 Metern Italiens höchster Büroturm, der das NZEB-Label erhalten hat. Die Abkürzung steht für Nearly Zero Energy Building, wobei hohe Energieleistung und geringer -bedarf im Mittelpunkt stehen.
Standort-Tracking könnte weitere Optimierung bringen
Die digitalen Möglichkeiten sind aber noch nicht ausgeschöpft. Laut Claudia Guenzi, die Siemens Smart Infrastructure Italien leitet, ist in Gioia 22 auch die Blue GPS Technologie installiert. Dies ist eine Software von Siemens, in die sich verschiedene Ortungstechnologien integrieren und mit der man dann die Standorte von Maschinen, aber auch von Menschen analysieren kann. Damit lässt sich zum Beispiel erkennen, wann welche Orte in dem Gebäude wie frequentiert werden. Die Daten können dazu genutzt werden, den Betrieb der Gebäudetechnik besser an die tatsächliche Verwendung der Räumlichkeiten anzupassen. Bisher werden diese Möglichkeiten aber nicht in Anspruch genommen. Die Technik ist zwar vorhanden, wird aber noch nicht genutzt.
Um die Daten aus seinen Gebäuden zu analysieren, verfügt Coima über eigene dafür geeignete IT-Systeme wie zum Beispiel ein sogenanntes Data Warehouse. „Wir haben ein internes Team, das sich nur darum kümmert“, sagt Corbella. „Das ist eine unserer Kernkompetenzen.“ Dies sei aber nicht in allen Fällen so, in denen Desigo CC eingesetzt wird, berichtet Guenzi. Siemens Smart Infrastructure würde die Verarbeitung der Daten daher seinen Kunden auch als Dienstleistung anbieten. Die Schlüsseltechnologie Digitalisierung lässt sich also auch nutzen, wenn die eigene IT-Kompetenz ein wenig kleiner ist als die von Coima.

Bild: Siemens

Bild: Siemens
Daten zu Pirelli 35
Daten zu Gioia 22
GEB Dossier
Grundlegende Informationen zum Thema finden Sie auch in unserem Dossier Elektrotechnik mit Beiträgen und News aus dem GEB:
www.geb-info.de/elektrotechnikGEB Podcast Gebäudewende
Hören Sie zum Thema auch unseren Podcast #17: Gebäudeautomation kann sie Energieeinsparung bringen?
https://t1p.de/GEB250867