Die Physik ist denkbar simpel: Ein Kubikmeter Wasser, den man von 30 auf 60 Grad Celsius erwärmt, nimmt dabei knapp 35 Kilowattstunden thermische Energie auf. Wer zum Beispiel ein Viertel des jährlichen Bedarfs der Stadt Wien von 6280 Gigawattstunden bevorraten will, braucht 45 Millionen Kubikmeter Wasser. Man sieht: Auch wenn die Physik einfach ist, stellt die praktische Umsetzung eine Herausforderung dar: Wo bringt man eine solche Menge Wasser in einer Großstadt unter? Wie tief kann ein unterirdischer Speicher sein? Wie baut und stabilisiert man ihn? Wie dämmt man die Wände, damit das Speicherwasser warm und das Grundwasser kalt bleibt? Wie deckt man den Speicher von oben ab? Und wie kann diese Oberfläche insbesondere in Ballungsräumen sinnvoll genutzt werden?
An Antworten auf diese und weitere Fragen haben achtzehn Partner im Projekt giga_TES in den vergangenen drei Jahren gearbeitet. Als Leitprojekt des österreichischen Klima- und Energiefonds schöpfte das Vorhaben aus einem Budget von mehr als vier Millionen Euro bei einer Industriebeteiligung von über 50 Prozent. AEE INTEC koordinierte das Gesamtprojekt.

Bild: AEE INTEC
Speicher für die Städte entwerfen
Große Erdbeckenspeicher sind aus dänischen Wärmenetzen mit einem hohen Solaranteil bekannt. Der aktuell größte Erdbeckenspeicher in Vojens fasst 210 000 Kubikmeter. Das entspricht rund einem Viertel des Wärmebedarfs der Kleinstadt mit ihren knapp 8000 Einwohnern. Giga_TES untersuchte Speicher zwischen 100 000 und zwei Millionen Kubikmetern. Für diese Größenordnung mussten die Projektpartner anhand von Modellrechnungen und Materialentwicklungen erst die notwendigen Grundlagen schaffen. Die Anwendungsszenarien umfassten zwei Speichergrößen – 100 000 und 1,2 Millionen Kubikmeter – und zwei Temperaturniveaus – maximal 90 Grad Celsius/minimal 60 Grad Celsius sowie maximal 60 Grad Celsius/minimal 30 Grad Celsius. In den Szenarien soll Wärme aus Solarthermie oder Geothermie vom Sommer bis in den Winter gespeichert werden.
Die dänischen Erdbeckenspeicher sind einfach gebaut und liegen oberhalb des Grundwasserspiegels. Sie sind daher maximal fünf bis sechs Meter tief. Bei großem Volumen führt das zu einem erheblichen Platzbedarf. Den kompakten Gegenentwurf für die Großstadt stellt ein Stahltank dar. Doch spätestens bei einem Volumen von 200 000 Kubikmetern stößt er an technische Grenzen.
Um Erdbeckenspeicher für Österreichs Ballungsräume tauglich zu machen, haben die giga_TES-Partner daher die Speichertiefe vergrößert, die Temperaturspreizung variiert und neue Materialien entwickelt. Herausgekommen sind verschiedenste Hybride aus einem klassischen Erdbeckenspeicher und einem Stahltank. Jeder bringt seine speziellen Vor- und Nachteile mit sich (Abb. 1). Mit den Konzepten aus giga_TES können die Speicher bis zu 50 Meter in die Tiefe reichen. In diesem Fall müssen die Wände stabilisiert und der Speicher gegen das Grundwasser isoliert werden. Die Konstruktion der dafür nötigen Schlitzwände setzt derzeit die technische Grenze für die Speichertiefe.
Die Projektpartner haben eine spezielle Wandkonstruktion aus sogenannten Dämmbohrpfählen entwickelt und patentieren lassen. Die Bohrpfähle werden im Inneren mit Schaumglasschotter gefüllt und überlappen sich jeweils ein Stück, sodass eine durchgängige Wand entsteht. Vorbild waren dabei klassische Bohrpfähle – eine etablierte Technik im Spezialtiefbau.
Parks oder Seen können Speicheroberseite bilden
Als besondere Herausforderung offenbarte sich die Abdeckung des Speichers. Sie muss mindestens ihr eigenes Gewicht tragen und über Jahrzehnte hohen Temperaturen von unten und der Witterung und UV-Licht von oben standhalten. Sie muss zudem flexibel sein, denn Erwärmung und Abkühlung sorgen dafür, dass der Wasserspiegel je nach Speichergeometrie um ein bis zwei Meter variiert.
Zudem ist es in einer urbanen Umgebung kaum vorstellbar, die Oberfläche ungenutzt zu lassen. Die Projektpartner haben daher zwei verschiedene Deckel-Konstruktionen entwickelt und patentieren lassen. Das Floating Cover 2.0 schwimmt auf der Wasseroberfläche. Auf der Abdeckung könnten ein Park, Gewächshäuser oder Solaranlagen entstehen. Beim Submerged Cover liegt die Abdeckung einige Meter tief unter der Wasseroberfläche: Der Raum über dem Speicher wird zu einem künstlichen See. Er hält Hagel, Temperaturextreme und UV-Licht von der Speicherdecke fern. Der See lässt sich als Fläche für schwimmende Solaranlagen nutzen oder als Freizeitgewässer zum Rudern oder für Schwimmstege.
Auch für die innere Abdichtung des Speichers, den Liner, haben die Projektpartner ein neues Material entwickelt: ein Polypropylen mit einem speziellen Stabilisator. Dabei ging es vor allem um die Haltbarkeit über mehrere Jahrzehnte bei hohen und wechselnden Temperaturen. In beschleunigten Alterungsversuchen kamen sie zu dem Schluss, dass der neue Liner etwa doppelt so lange hält wie das bisher verwendete Polyethylen-Material. In Zahlen sind das gut 30 Jahre im oben beschriebenen Hochtemperatur-Szenario. Bei Betriebstemperaturen zwischen 35 und 80 Grad Celsius könnte das neue Linermaterial sogar deutlich über 50 Jahre halten.

Quelle: AEE INTEC
Grundlagen am Modell erarbeitet
Angesichts der Größe, der Bauzeit und der Kosten der Wärmespeicher kann die Entwicklung unmöglich am Original stattfinden. Deshalb arbeiten die Projektpartner mit detaillierten numerischen Modellen, um zum Beispiel die ideale Bauform und Dämmstärke zu finden. Um das energetische Verhalten des Speichers zu modellieren und zu bewerten, wie zum Beispiel seine Leistung oder die Wärmeabgabe ans Grundwasser, nutzten sie das Simulationstool COMSOL Multiphysics.
Zudem entwickelten die Projektpartner ein eigenes Kostentool zur Wirtschaftlichkeitsberechnung. Anhand einer Abschätzung der Investition sowie mit Parametern wie Effizienz und Zyklenzahl berechneten sie die spezifischen Speicherkosten (Levelised Cost of Storage, LCOS).
Niedrige Temperaturen führen zu niedrigen Kosten
Am LCOS zeigt sich, dass eine niedrige Systemtemperatur gleich mehrere Vorteile bietet: Eine geringere Speichertemperatur bedeutet weniger Wärmeverluste und eine geringere Erwärmung des Grundwassers. So kann die Isolierung dünner ausfallen. Wichtig sind auch die Kosten für Liner und Abdeckung. Bei niedrigen Temperaturen lässt sich die gewünschte Lebensdauer mit recht günstigen Materialien erreichen. Bei sehr hohen Temperaturen braucht es einen Stahlliner. Zwischen den Bauformen gleichen sich dagegen verschiedene Effekte teilweise aus: Bei flachen Speichern ist die großflächige Abdeckung der größte Kostenfaktor, bei den tiefen Bauformen sind es die Schlitzwände.
In Zahlen heißt das für die simulierten Prototypen: Im Hochtemperatur-System kostet die Speicherung etwa 84 bis 92 Euro pro Megawattstunde. In der Niedrigtemperatur-Version sind es nur knapp 50 bis 55 Euro pro Megawattstunde. Bei zukünftigen Projekten auf dem Weg zu einem breiten Roll-out gibt es bei den Materialien, der Konstruktion und der Implementierung noch erhebliches Potenzial für Kostensenkungen.
Das Projekt giga_TES hat viele grundlegende Erkenntnisse und drei patentierte Konstruktionslösungen gebracht. Im nächsten Schritt müssen sich die Entwicklungen an der Praxis messen: Wie leicht lassen sich die Dämmbohrpfähle installieren – und wirken sie wie erhofft? Schwimmt die Abdeckung so stabil wie sie soll? Weil ein Speicher in voller Größe allerdings einen dreistelligen Millionenbetrag kostet, sollen die weiteren Arbeiten an einembPilotspeicher mit etwa 10 000 Kubikmetern stattfinden.

Bild: AEE INTEC
Über AEE INTEC
Das AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) wurde 1988 gegründet: Es gehört zu den führenden europäischen Instituten der angewandten Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz. In den drei Zielgruppenbereichen Gebäude, Städte & Netze und Industrielle Systeme sowie in den drei technologischen Arbeitsgruppen Erneuerbare Energien, Thermische Speicher und Wasser- und Prozesstechnologien reicht die Palette der durchgeführten Entwicklungsvorhaben von grundlagennahen Forschungsprojekten bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Seit 2015 ist AEE INTEC Mitglied von Austrian Cooperative Research – ACR.
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