Es ist keine neue Erkenntnis: In Deutschland wird zu wenig energetisch saniert und oft nur halbherzig. Dabei fehlt es gerade an Wohnraum, in dem es sich zu jeder Jahreszeit gesund leben lässt, behaglich und ohne exorbitante Energiekosten. An Wohnraum, der noch dazu das Klima nicht belastet. Oft wird in diesem Zusammenhang allerdings gleich behauptet, dass energieeffizientes Bauen und Sanieren im Grunde nicht bezahlbar sei – so noch im April auf dem Wohnungsbautag in Berlin [1]. Dass es zwangsläufig zu häufig zu hohen Mieten führe. In Überlingen am Bodensee aber, in einem Quartier am Stadtrand, scheint man das widerlegt zu haben, meint jedenfalls die Baugenossenschaft Überlingen, Eigentümerin der meisten Wohnungen vor Ort.
Nahwärme aus Sonne und Holz
Die Erweiterung und zugleich Dekarbonisierung des auch Q5 genannten Quartiers am Schättlisberg geschah im Rahmen des wissenschaftlich begleiteten Verbundprojekts Stadtquartier 2050, zu dem die Entwicklung eines Wohnquartiers auf dem Gelände des ehemaligen Bürgerhospitals in Stuttgart gehörte.
Mit fünf anderen Projekten hatte man 2017 den Zuschlag für die Förderinitiative „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt“ des Bundes erhalten. Während man jedoch in Stuttgart schwerpunktmäßig auf hochtechnisierte Versorgung aus erneuerbaren Energien setzt – unter anderem Abwasserwärme, Geothermie, PV –, um dem Ziel der klimaneutralen Kommune näher zu kommen, machte man es in Überlingen anders.
Auch am Bodensee spielen die Regenerativen eine bedeutende Rolle. Man bezieht die Nahwärme aus der Heizzentrale am Schättlisberg, die über einen Holzhackschnitzelkessel mit 1.600 Kilowatt Leistung verfügt, der Brennstoff aus der Region verfeuert, eine 3-Megwawatt-Solarthermieanlage, zur Sicherheit zwei Spitzenlast-Gaskessel und außerdem über drei Pufferspeicher mit einer Kapazität von insgesamt gut 6.000 Kilowattstunden. Übers Jahr werden 85 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt: aus Sonnenstrahlen und Holz.
Entscheidend ist die Gebäudehülle
Versorgt werden müssen nun jedoch immerhin 240 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern aus den 1960er, 1970er und 1990er Jahren am Hildegardring, dazu noch einmal 180 Wohneinheiten in den 14 Neubauten an der Anna-Zentgraf-Straße. Dass das funktioniert, liegt wesentlich an der Ausrichtung des Überlinger Konzepts. Es sieht vor, den Wärmebedarf der Altbauten zu senken – was bislang nicht erfolgte – und die Neubauten so energieeffizient wie möglich zu errichten – und so die Energie- wie die Treibhausgasbilanz zu verbessern.
Die Gebäude der Anna-Zentgraf-Straße wurden im Effizienzhaus-40-Plus-Standard geplant und errichtet. Man versah sie mit hochdämmenden Polyurethan-Hartschaum-Platten des Herstellers Puren, einerr der Projektpartner, mit Sitz in Überlingen.
Laut Unternehmen kamen in den Tiefgaragen 140-Millimeter-Platten zum Einsatz, was einen U-Wert von zirka 0,18 W/(m²K) brachte, an den Betonwänden erstellte man ein Wärmedämmverbundsystem unter Verwendung von 180-Millimeter-Platten, erzielte dabei einen U-Wert von zirka 0,13 W/(m²K). Auf den Flachdächern arbeitete man zweilagig, der Aufbau ist im Mittel 250 Millimeter stark, der U-Wert liegt laut Hersteller bei ungefähr 0,10 W/(m²K).
Außerdem setzte man auf Low-Tech, wählte dezentrale Lüftung, entschied sich für außenliegenden, festen Sonnenschutz und verzichtete auf Klimatisierung. Dank des minimalen Heizenergiebedarfs der Neubauten können sie in der Regel den Rücklauf aus den Bestandsgebäuden als Vorlauf für ihre Fußbodenheizungen nutzen. Ein Drei-Leiter-System erlaubt notfalls Anhebung der Temperaturen durch Beimischung. Nur äußerst selten müssen die Gaskessel in Aktion treten.
Wie man Rebound-Effekte vermeidet
Vorbereitend und begleitend wurden Treffen aller Akteure und Beteiligten organisiert. Dort wurde über das Projekt informiert und auch diskutiert, die Themen waren unter anderem Mietpreise, Klimaschutz, Energie und Energieverbrauch. Der konnte per Monitoring recht gut erfasst werden – das man jedoch nur in den ersten sechs Neubauten durchführte. Über eine eigens hierfür entwickelte App bekamen die Bewohner:innen dieser sechs Gebäude Rückmeldung über ihr Verbrauchsverhalten. Ein damit gekoppeltes Bonussystem sorgte dafür, dass bewusster Umgang mit Energie nicht unbelohnt blieb. Ein Ansatz, den man nach Ansicht vieler Expert:innen weiterverfolgen sollte.
Bei der BGÜ sieht man das ähnlich: „Die Frage der Energieeffizienz und die Vermeidung von Rebound-Effekten sind uns sehr wichtig. Das im Projekt entwickelte Bonussystem, das mit der Quartiers-App verknüpft ist, wurde bereits in ersten Testläufen erprobt. Wissenschaftlich belastbare Ergebnisse liegen noch nicht vor, dafür wäre eine Fortführung des Forschungsprojekts notwendig. Aber: Das Feedback war durchweg sehr positiv, sowohl von den beteiligten Bewohnerinnen und Bewohnern als auch vom Forschungsinstitut, das die App entwickelt hat. Das bestärkt uns darin, diesen Ansatz weiterzuverfolgen. Wir würden es sehr begrüßen, an einer Weiterentwicklung mitzuwirken, da wir großes Potenzial für eine nachhaltige Wirkung sehen.“
Keine Alternative zur Gebäudeeffizienz
In ihrer Analyse des Überlinger Energiekonzepts bestätigen Anna Söder und Michael Maucher von der Energieagentur Oberschwaben, ein weiterer Projektpartner, den am Bodensee gewählten Ansatz. Er führe eher zur Klimaneutralität als die Kompensation durch Produktion CO₂-freier Energie im großen Stil oder Finanzierung treibhausgasmindernder Maßnahmen an anderen Orten. Es gebe keine Alternative dazu, zunächst den Energieverbrauch zu senken.
„Dazu gehören Sanierungen im Bestand, hohe Energiestandards der Gebäudehüllen im Neubau sowie Low-Tech-Ansätze bei der Gebäudetechnik. Dadurch entstehende Mehrkosten können gegebenenfalls durch höhere Kaltmieten kompensiert werden. Durch den niedrigeren Energieverbrauch hält sich die finanzielle Belastung der Bewohner in Grenzen.“ [2] Entgegen der weitverbreiteten Meinung, eine hohe Gebäudeeffizienz sei Luxus, scheint somit gerade durch sie ein Bauen und Sanieren im Sinne der Energiegerechtigkeit doch möglich zu sein.
Geht man nach der Baugenossenschaft Überlingen, so hat dieser Ansatz im Q5 funktioniert: „Wir führen keine klassische Warteliste, dennoch ist die Nachfrage nach unseren Wohnungen enorm hoch. Das liegt vor allem an der besonderen Kombination: moderne, energieeffiziente Wohnungen in attraktiver Lage verbunden mit einem Mietpreis, der bewusst unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.“ Diese Mischung mache die Wohnungen im Quartier sehr beliebt, sowohl bei jüngeren wie auch bei älteren Interessenten.
Quellen
[1] GEB online: Wer kennt den Weg aus der Wohnungskrise?
[2] Michael Maucher, Anna Söder: Energiekonzept für das Demonstrationsquartier Schättlisberg in Überlingen, 2023, S. 28

Bild: Baugenossenschaft Überlingen

Bild: Puren

Bild: Baugenossenschaft Überlingen