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Wie Contracting funktioniert

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Contracting kann für Privatpersonen interessant sein, wird aber in erster Linie von Kommunen, Industriebetrieben oder der Wohnungswirtschaft wahrgenommen. Anstatt selbst in die Heizungs- oder Anlagentechnik zu investieren, sie zu planen, einzubauen, die Versorgung mit Brennstoff und die Wartung zu übernehmen, kauft man Strom und Wärme oder beides einfach ein. Die Technik kann im Gebäude installiert werden, bleibt aber Eigentum des Auftragnehmers. Eine weitere Möglichkeit: Anstatt selbst Effizienz- und Einsparmaßnahmen zu planen und zu organisieren, überlässt man die Organisation und Durchführung einem externen Dienstleister.

Im ersten Fall ist von Energieliefer-Contracting (ELC) die Rede, im zweiten von Energiespar-Contracting (ESC). Effizienzexpert:innen, die Kommunen, die Industrie oder die Wohnungswirtschaft beraten, sollten auch über diese Optionen informieren können. Eine Vorreiterrolle und damit einen gewissen Vorsprung in Sachen Contracting nimmt Baden-Württemberg ein. GEB-Redakteur Alexander Borchert hat deswegen mit Jens Sandmeier, stellvertretender Bereichsleiter im Fachbereich Contracting der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) gesprochen.

Jens Sandmeier: „Einer der Vorteile des Contracting ist, dass man aufgrund der langen Vertragslaufzeiten auch Maßnahmen umsetzen kann, die sich nicht gleich in den ersten zehn Jahren refinanzieren.“

Bild: KEA-BW

Jens Sandmeier: „Einer der Vorteile des Contracting ist, dass man aufgrund der langen Vertragslaufzeiten auch Maßnahmen umsetzen kann, die sich nicht gleich in den ersten zehn Jahren refinanzieren.“

Herr Sandmeier, wie würden Sie allgemein die Vorteile des Energie-Contracting für die Auftraggeberseite beschreiben, sowohl was das Energieliefer- als auch das Energiespar-Contracting betrifft?

Die großen Vorteile von Contracting für die Auftraggeber – zum Beispiel Kommunen – sind: die Entlastung des Personals, keine oder nur geringe eigene finanzielle Investitionen und vertraglich gesicherte Energieeinsparungen oder Energielieferungen.

… und für die Auftragnehmerseite?

Der Auftragnehmer profitiert in erster Linie von langjährigen Partnerschaften und demnach von einer gesicherten Auftragslage. Außerdem kann der Auftrag werbewirksam sein.

Was sind die wichtigsten Unterschiede im Contracting für jeweils Kommunen, für die Wohnungswirtschaft und für die Industrie?

Der wichtigste Unterschied betrifft die Vorbereitungszeit für die Suche nach einem Contractor. Bei Kommunen erfolgt die Vergabe gemäß den Anforderungen des Vergaberechts. Deshalb kann die Ausschreibung deutlich länger dauern als in der Industrie oder in der Wohnungswirtschaft. Ein weiterer Punkt ist die Entscheidungsfindung in den jeweiligen Gremien. In der Industrie und der Wohnungswirtschaft können die Entscheidungen für oder gegen Contracting oder für gewisse Maßnahmen schneller gefunden werden als bei Kommunen. Letztere müssen beispielsweise Gemeinderatsbeschlüsse herbeiführen.

In einem Webinar zum Thema, das eine Mitarbeiterin der KEA-BW 2017 zusammen mit dem Deutschen Energieberater-Netzwerk (DEN) gehalten hat, beschrieb sie, wie alle Kosten im gesamten Lebenszyklus beispielsweise einer Anlage mitbetrachtet werden. Das heißt, es werde die gesamte Lebensdauer von Komponenten mit Umweltwirkungen und Energiebilanzen berücksichtigt. Folglich beinhalte Contracting den Lebenszyklus-Ansatz und könne so umfangreiche Sanierungsmaßnahmen auf den Weg bringen. Trifft das aus Ihrer Sicht zu?

In der Tat können wir aufgrund der langen Laufzeiten der Verträge Maßnahmen umsetzen, welche sich in manchen Fällen noch nicht in den ersten zehn Jahren refinanzieren. Die Betrachtung der Kosten der gesamten Lebensdauer ist dabei essenziell.

Zur Praxis: Im besagten Webinar äußerte DEN-Vorstand Hermann Dannecker die Vermutung, dass die meisten Auftraggeber:innen die Effizienz ihrer Haus- beziehungsweise Anlagentechnik überschätzen. Wenn das der Fall ist, wie stark überschätzen sie in der Regel?

In vielen Fällen ist das Wissen über die eigene Anlagentechnik recht überschaubar, da häufig Personal für die Betreuung der Anlagen fehlt. Meistens liegt daher in der Haus- und Anlagentechnik ein sehr großes Potenzial für Effizienzsteigerungen, das den Auftraggebern in diesem Umfang nicht bewusst ist.

Zur Statistik: Wie ist zahlenmäßig derzeit das Verhältnis von ELC- zu ESC-Projekten?

Laut einer Marktstudie des Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) lag der Anteil von Energiespar-Contracting im Jahr 2022 in Deutschland bei fünf bis zehn Prozent der gesamten Projekte. Energieliefer-Contracting ist weiterhin das dominierende Geschäftsfeld.

Eine wie große Rolle spielen bei den aktuellen Contracting-Projekten in Baden-Württemberg die erneuerbaren Energien? Anders gefragt: Wir bedeutend sind noch die Fossilen?

Aktuell dominieren bei den Contracting-Projekten in Baden-Württemberg der Heizungstausch von fossilen zu erneuerbaren Energien. Auch aufgrund der gesetzlichen Vorgaben werden fossile Energien in den Projekten höchstens noch für die Spitzenlasterzeugung eingesetzt.

Betreffs des Gebäudebestands beziehungsweise der Wohnungswirtschaft: Ab wie vielen Wohneinheiten lohnt sich Contracting?

Dies in Wohneinheiten zu definieren ist schwierig. Wir haben Mindestschwellen für die Energiekosten von 10.000 Euro jährlich bei ELC und 100.000 Euro jährlich bei ESC definiert, ab denen sich in der Regel Contracting lohnt. Diese Werte müssen jedoch für jedes Projekt genau geprüft werden.

Baden-Württemberg scheint in der Disziplin Energie-Contracting vorne zu liegen. Ist das so? Und wenn ja, woran liegt das?

Die KEA-BW hat in Baden-Württemberg schon sehr früh auf das Thema Contracting gesetzt und Geschäftsmodelle entwickelt. Im Jahr 2013 wurde zudem eine Contracting-Offensive im Land gestartet, um das Wissen über dieses Sanierungsmodell zu verbreiten. Außerdem haben wir in Baden-Württemberg ein sehr aktives Beraternetzwerk mit Ingenieurbüros, die Ausschreibungen begleiten und Machbarkeitsstudien durchführen.

Welche aktuellen Best-Practice-Beispiele in Baden-Württemberg aus Kommunen und der Wohnungswirtschaft würden Sie nennen wollen? Welche aus anderen Bundesländern?

Wir haben auf unserer Internetseite eine Best-Practice-Karte mit Beispielen aus ganz Baden-Württemberg. Aktuell begleiten wir viele Kommunen mit alten Wärmenetzen, die neue Energieerzeuger und Betreiber benötigen. In anderen Bundesländern ist die Stadt Krefeld zu nennen, die über das Modellvorhaben CO2ntracting: build the future der Deutschen Energie-Agentur (Dena) ihre gesamten städtischen Liegenschaften mit Contracting sanieren und dabei dekarbonisieren wollen.

Welches sind derzeit neben mangelnder Bekanntheit die Hindernisse für eine breitere Anwendung, eine umfassendere Nutzung des Contracting zur Beschleunigung der Energie-, Wärme-, Klimawende?

Im Moment hindern nach unserer Erfahrung die komplexen Ausschreibungsphasen und die kurzfristige Sichtweise auf energetische Sanierungen viele Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer daran, Contracting zu nutzen. Auch die langen Laufzeiten der Verträge und die vielschichtige Vertragsgestaltung können für Entscheidungsträger abschreckend wirken. Das fehlende Wissen über Contracting ist und bleibt aber das größte Hemmnis.

2022 sah der Vedec, der Verband für Energiedienstleistungen, Effizienz und Contracting, ein Hemmnis in der von der Wärmelieferverordnung vorgegebenen Kostenneutralität. Die vorgegebene Kostenneutralität betrifft in erster Linie die Wohnungswirtschaft. Dort ist der Wärmelieferant verpflichtet, einen Kostenvergleich anzustellen. Allerdings müssen Mieterinnen und Mieter eine Heizungsumstellung dulden, wenn Energie eingespart oder effizienter genutzt wird. Das ist fast immer gegeben, sodass dieses Hindernis aus dem Weg geräumt wurde. 

Wie werden ELC und ESC aktuell gefördert? Wie wird die Beratung zum Contracting gefördert?

In den meisten Fällen erhalten Maßnahmen im Contracting und in der Eigenumsetzung die gleiche Förderung. Je nach umgesetzten Maßnahmen sind das oft zehn bis 50 Prozent. Die Beratung zum Contracting fördert Baden-Württemberg über den Baustein ProECo im Förderprogramm Klimaschutz-Plus. In der Regel erreichen die Antragstellenden Förderquoten von 40 bis 60 Prozent der Beratungskosten.

Wie würden Sie gegenwärtig das Interesse von Energieberatenden am Thema einschätzen? Und das Wissen über Contracting?

Das Interesse steigt aktuell zusammen mit der Nachfrage durch potenzielle Auftraggeber. Das Wissen ist sehr unterschiedlich und hängt von ihren Beratungsschwerpunkten ab.

Welche Qualifikation benötigen Energieberatende, die zu Contracting beraten wollen? Welche Mindest-Qualifikation ist erforderlich für die vom Bafa geförderte Orientierungsberatung Contracting?

Für mehr Projekterfahrung gibt es ein Twinning-Programm der Dena, in dessen Rahmen ein Laie ein Projekt mit einer erfahrenen Fachperson durchführen kann. Der Begriff „Twinning“ kommt ursprünglich aus der Europapolitik und bezeichnet die enge Kooperation einer Behörde eines EU-Mitglieds mit der Verwaltung eines Kandidatenlandes, damit diese entsprechende Kapazitäten nach EU-Standards aufbauen kann.

Wo finden Energieberatende bundesweit und speziell in Baden-Württemberg erste Orientierung und Basisinformationen zum Thema?

Erste, unabhängige Quelle ist bundesweit das Kompetenzzentrum Contracting der Dena. Hierüber finden sich schnell die entsprechenden Stellen in weiteren Bundesländern. In Baden-Württemberg ist es das Kompetenzzentrum Contracting der KEA-BW. Dort finden sich Leitfäden, Handreichungen und Webinare zum Thema, sowie Ansprechpartner für spezifische Fragestellungen.

Wie unterstützt die KEA-BW die Interessent:innen praktisch? Welche Berechnungstools stehen aktuell zur Verfügung?

Eine kostenlose Erstberatung zu Contracting ist bei uns der erste Schritt. Im Vorfeld können die Interessierten unseren Quick-Check oder die Photovoltaik-Checkliste ausfüllen. So können wir uns vor der Erstberatung bereits ein Bild von den Liegenschaften machen. Wir stellen auch eigene Musterunterlagen zu Ausschreibung und Verträgen zur Verfügung. Die PV-Checkliste dient eigentlich dazu, Kommunen bei der Planung von PV-Anlagen zu unterstützen, um der seit Anfang 2022 in Baden-Württemberg geltenden Solarstrom-Pflicht nachkommen zu können. Im Rahmen der Prüfung wird jedoch auf die Option Contracting eingegangen.

Quellen

Kompetenzzentrum Contracting der KEA-BW: www.kea-bw.de/contracting

Best-Practice-Beispiele Baden-Württemberg: https://t1p.de/GEB240533

PV-Checkliste der KEA BW: https://t1p.de/GEB240531

Kompetenzzentrum Contracting der Dena: www.kompetenzzentrum-contracting.de

CO2ntracting: https://t1p.de/GEB240532

Altes Rathaus der Stadt Waldenbuch bei Stuttgart: Zu den Leistungen des Energiespar-Contracting kann ebenso die energetische Sanierung historischer Gebäude gehören, unter Einhaltung denkmalpflegerischer Vorgaben.

Bild: KEA-BW

Altes Rathaus der Stadt Waldenbuch bei Stuttgart: Zu den Leistungen des Energiespar-Contracting kann ebenso die energetische Sanierung historischer Gebäude gehören, unter Einhaltung denkmalpflegerischer Vorgaben.

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