Bestandssanierung ist ein komplexer Prozess, bei dem unterschiedliche Gewerke koordiniert miteinander kommunizieren und kooperieren müssen. In der Regel arbeitet jedes Gewerk mit Planungslösungen, die auf die jeweilige Aufgabe zugeschnitten sind. Das führt häufig zu Reibungsverlusten. Die im Bauwesen vorherrschende lineare Planung stößt beim seriellen Sanieren an ihre Grenzen. Da die Planungsphasen parallel verlaufen und alle Projektbeteiligten frühzeitig in den Prozess eingebunden werden müssen, ist ein ganzheitlicher Planungsansatz notwendig.
Building Information Modeling (BIM) ist hier eine optimale Basis für die gewerkeübergreifende Kollaboration und das vernetzte Arbeiten zwischen allen Akteuren. Sämtliche Gebäudeinformationen fließen in einem dreidimensionalen Modell zusammen. Durch die Integration aller Projektpartner können Planungen und Prozesse optimal aufeinander abgestimmt werden. Das Ergebnis: Sanierungsprojekte werden präziser gedacht, geplant und gebaut. Kosten sinken, Bauzeiten werden verkürzt, die Planungs- und die Ausführungsqualität steigt.
Vermessung mit Laser- und Drohnentechnik
Bestandsgebäude stecken voller Überraschungen. Häufig liegen keine, unvollständige oder fehlerhafte Planungsunterlagen vor. Bei einem seriellen Sanierungsprojekt in Mönchengladbach beispielsweise kam als Dämmstoff Zeitungspapier aus den 50er Jahren zum Vorschein, es gab Unterschiede in Fenster- und Deckenhöhen von bis zu 13 Zentimetern sowie Neigungen in den Außenwänden um drei Grad. Auch Häuser, die auf den ersten Blick gleich aussehen, können sich im Detail unterscheiden.
Deshalb startet jedes serielle Sanierungsprojekt mit einem exakten Aufmaß. Dabei werden die Gebäude per 3D-Laserscan und Drohnentechnik millimetergenau von außen und innen vermessen. Aus den zu einer Punktwolke verdichteten Messdaten wird ein BIM-Modell generiert, das die Planungsgrundlage für die Produktentwicklung und Vorfertigung der Dach-, Fassaden- und Technikmodule bildet.

Bild: Ecoworks
Digitaler Zwilling verhindert Planungskollisionen
Perspektivisch werden immer zwei Gebäude saniert – ein virtuelles und ein reales. Das aus dem Aufmaß generierte BIM-Modell wird über den gesamten Lebenszyklus mit weiteren Daten angereichert und zu einem digitalen Zwilling des echten Gebäudes weiterentwickelt. An ihm planen die beteiligten Akteure das serielle Sanierungsprojekt im Detail, bevor es gebaute Realität wird.
Das digitale Abbild hilft, den Ablauf nachzuvollziehen, etwaige Kollisionen zwischen den Fachplanungen zu erkennen sowie Zeit und Kosten im Blick zu behalten. Durch die Verknüpfung mit bauteilorientierten Kalkulationsprogrammen lassen sich bereits in frühen Projektphasen Kostenaussagen mit einer hohen Genauigkeit treffen. Der digitale Zwilling spiegelt stets den aktuellen Stand des Projekts wider. Kommt es an einer Stelle zu Lieferschwierigkeiten oder Abweichungen von Zeit- und Kostenplänen, werden die Konsequenzen für die anderen Gewerke sofort sichtbar. Da sämtliche Daten für alle transparent sind, können auf dieser Grundlage frühzeitig Entscheidungen über mögliche Alternativen getroffen werden.
KI findet die beste Sanierungsvariante
Angestrebtes Ziel der seriellen Sanierung ist der Net-Zero-Standard. Wie dieser erreicht wird, bleibt Architekten und Planern überlassen. Das eröffnet maximale Freiheit bei der Auslegung der thermischen Hülle, der verwendeten Heiz-, Kühl- und Lüftungstechnik sowie der regenerativen Energieversorgung.
Am digitalen Zwilling können mithilfe von Algorithmen auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) eine Vielzahl unterschiedlicher Entwurfsvarianten unter Berücksichtigung der geltenden Normen, Richtlinien und baurechtlichen Vorgaben durchgespielt werden. Innerhalb kürzester Zeit lässt sich auf diese Weise die energieeffizienteste, kostengünstigste oder ressourcenschonendste Sanierungsvariante finden.
Digitale Tools und KI erleichtern zudem die Entwicklung maßgeschneiderter erneuerbarer Energiekonzepte. Auf Basis dynamisch thermischer Simulationen kann zum Beispiel ermittelt werden, an welcher Stelle des Gebäudes die solare Einstrahlung am höchsten ist, um die maximal mögliche Menge an Solarstrom zu erzeugen. In Kombination mit den Lastprofilen für Heizung, Warmwasser und Strom sowie den Verbrauchsdaten und Wetterprognosen in Echtzeit lässt sich die Anlagentechnik so bedarfsgerecht steuern und die Energieeffizienz erhöhen.
Individualisierte Serienproduktion
Was am digitalen Zwilling geplant wurde, bildet die Datengrundlage für den automatisierten Herstellungsprozess. Fassadenelemente werden inklusive Dämmung, Fenstern, Lüftung, Leerrohren, Rollläden und gegebenenfalls auch mit integrierten TGA-Lösungen sowie der gewünschten Oberfläche komplett im Werk vorproduziert.
Serielle Fertigung bedeutet übrigens nicht, dass das immer Gleiche in hoher Stückzahl repliziert wird. Jedes Modul ist eine Maßanfertigung, die nur an einer bestimmten Stelle des Gebäudes passt. Ermöglicht wird die individualisierte Serienproduktion durch Industrie & Handwerk 4.0. So können Fassaden- und Dachelemente in verschiedenen Abmessungen und für unterschiedliche Befestigungsmechanismen hergestellt werden.
Auch das Vorurteil, dass serielles Sanieren monotone Einheitsarchitektur hervorbringt, stimmt nicht. Mit Industrie & Handwerk 4.0 sind auch in der Serienfertigung umfangreiche individuelle Anpassungen möglich. Ein Blick auf bereits realisierte serielle Sanierungsprojekte zeigt die architektonische Vielfalt. Mithilfe künstlicher Intelligenz ist es zudem möglich, bestimmte Muster und Abweichungen von Standards zu erkennen und mangelhafte Bauteile zu identifizieren, bevor sie verbaut werden. Produktionsabläufe und Produktqualität vorgefertigter Gebäudekomponenten lassen sich so einfacher kontrollieren und kontinuierlich verbessern.

Bild: Dena/Ariane Steffen
Montage – just in time
Die bis zu zwölf Meter langen, geschosshohen Fassadenmodule werden per Tieflader vom Werk zur Baustelle transportiert. Insbesondere bei innerstädtischen Bauvorhaben, wo zahlreiche verkehrstechnische Vorgaben berücksichtigt werden müssen, lassen sich mithilfe vom BIM die Transport-, Bau- und Montageprozesse im Vorfeld optimieren. Vor Ort werden die vorgefertigten Module nur noch montiert. Pro Tag sind 200 Quadratmeter Fassadenfläche bei einfacher und 150 Quadratmeter bei komplexer Kubatur ein realistisches Arbeitspensum. Braucht man mit konventionellen Verfahren je nach Gebäudetyp und -größe mehrere Monate, um eine Fassade zu dämmen, sind es bei der seriellen Sanierung wenige Wochen.
Damit auf der Baustelle alles wie am Schnürchen läuft, können Bauabläufe am digitalen Zwilling in verschiedenen Detailstufen durchgespielt werden. Die Mikrosimulation ermöglicht die Optimierung einzelner Arbeitsschritte, die Makrosimulation die Beschleunigung von Prozessen und die Vorhersage der realen Bauzeit. Am digitalen Zwilling können zudem Bauabläufe in Echtzeit erfasst und mit dem Sollzustand verglichen werden. Etwaige Störgrößen lassen sich so frühzeitig erkennen und gezielt ausschalten. Werden alle baubegleitenden Änderungen in das BIM-Modell eingepflegt, entsteht an Ende ein As-Built-Modell, das den tatsächlich ausgeführten Zustand abbildet und die spätere Wartung und Instandhaltung erleichtert.
Basis für die Kreislaufwirtschaft
Rund drei Viertel der 22 Millionen Gebäude in Deutschland müssen in den kommenden 21 Jahren fit für die klimaneutrale Zukunft gemacht werden. Kreislauffähigkeit ist beim seriellen Sanieren kein Muss, perspektivisch aber ein großes Plus. Denn vorgefertigte Fassaden-, Dach- und Technikmodule können zu Materiallagern werden – wenn die Weichen schon während der Planung in Richtung Zirkularität gestellt werden.
Durch die Nutzung von BIM entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich im seriellen Sanierungsprozess alle Informationen erfassen, die für die Erstellung eines Materialpasses notwendig sind: Herkunft, Qualität, CO2-Fußabdruck und auch die Nachnutzungsfähigkeit der verbauten Materialien. Das erleichtert die spätere Rückführung in den Wertstoffkreislauf – und macht seriell vorgefertigte Module zu einem Rohstoffdepot für die kommende Generation von Gebäudemodulen. Jedes Material, das wiederverwendet wird, muss nicht produziert werden und spart somit Rohstoffe, Energie und Treibhausgasemissionen ein. Das ist nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll, sondern rechnet sich angesichts immer knapper werdender natürlicher Ressourcen und explodierender Rohstoffpreise auch wirtschaftlich.
BIM bedeutet Paradigmenwechsel
Noch ist BIM in der deutschen Baubranche wenig verbreitet. Studien zufolge liegt der aktuelle Anteil von BIM-Projekten am gesamten Projektvolumen im einstelligen Prozentbereich. Das gilt auch für das serielle Sanieren. Trotzdem dürfte sich der modellbasierte Planungsansatz hier schneller durchsetzen. Einerseits, weil ein kollaborativer Workflow entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig ist. Andererseits, weil die serielle Sanierungsbranche aufgrund ihres hohen Technisierungsgrads schon weitestgehend BIM-tauglich ist.
Noch fehlt es an Standards, Know-how und auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenen Schulungsangeboten. Doch diese Hürden sind überwindbar. BIM bedeutet einen Paradigmenwechsel. Es verändert das Planen, Bauen und Sanieren komplett. Der Umstieg ist aufwendig, aber er lohnt sich. Die Mehrwerte sprechen für sich.

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Präzision trifft Effizienz: 3D-Laserscanning bei seriellen Sanierungsprojekten
Paula Baptista ist Architektin und Senior-Expertin für Innovation und Internationales im Energiesprong-Team der Deutschen Energie-Agentur. Im Interview erklärt sie, welche Bedeutung 3D-Scanning-Prozesse für die serielle Sanierung haben und worauf bei der Durchführung zu achten ist.
Frau Baptista, warum sind 3D-Laserscanning und realitäts- basierte Modellierungen für serielle Sanierungsprojekte wichtig?
Bei der seriellen Sanierung geht es darum, Fassaden- oder Dachelemente oft schon mit integrierten Technikmodulen vorzufertigen und dann auf die Baustelle zu bringen. Eine präzise Datenlage durch realitätsbasierte Modellierung ist entscheidend für die zuverlässige Planung und Umsetzung der Sanierungsprojekte, da sie die Genauigkeit der Gebäudeabmessungen für die Vorfertigung und Montage sicherstellt. Ohne diese Präzision könnten die vorgefertigten Teile nicht nahtlos passen, was zu Verzögerungen und Kostensteigerungen führen würde. Meist fehlen genaue Daten zu Bestandsgebäuden, die es für die serielle Sanierung braucht, und ein 3D-Laserscanning erfolgt als einer der ersten Schritte der Planungsphase. Digitale und KI-gestützte
Verfahren beschleunigen den gesamten Prozess erheblich.
Wie genau sieht denn der digitalisierte Prozess der Datenerfassung aus und wie entsteht durch das 3D-Scanning der digitale Zwilling?
Zunächst wird nach einer gründlichen 3D-Vermessungsplanung das Objekt abschnittsweise mit einem 3D-Scanner erfasst. Dabei wird eine bestimmte Auflösung durch die Aufnahme einer vordefinierten Anzahl von Punkten pro Quadratmillimeter erreicht. Diese Punkte, die sogenannte Punktwolke, bilden einen Teil des Gebäudes im dreidimensionalen Raum ab. Das bereinigte Punktwolkenmodell zeigt dann schon die Neigungen und Texturen des Gebäudes und hilft, Unterschiede in Materialien und Oberflächentexturen zu erkennen. Im nächsten Schritt verwendet spezielle Software dieses Punktwolkenmodell, um ein Ist-Zustand-Oberflächenmodell zu erstellen. Das Oberflächenmodell kann leicht in BIM-Modellierungssoftware integriert werden, wodurch Messfehler vermieden werden. So entsteht ein 3D-Modell des geplanten Gebäudes, das auch als digitaler Zwilling überführt werden kann. Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Repräsentation des Gebäudes mit Echtzeitinformationen und integrierten Systemen.
Welche spezifischen Vorteile bietet die Nutzung von 3D-Laserscanning und Oberflächenmodellierung bei der Erstellung von BIM-Modellen für Gebäudesanierungen?
Der Einsatz von 3D-Laserscanning und Oberflächenmodellierung bietet entscheidende Vorteile – insbesondere bei seriellen Sanierungsprojekten, bei denen jedes Gebäude anders ist, aber in großem Maßstab produziert wird. Die nahtlose Integration mit BIM-Software unterstützt die effiziente Erstellung von Modellen für jedes einzelne Gebäude. Außerdem erleichtern eine genaue Bestandsdokumentation und Kollisionsprüfung eine reibungslose Planung und Ausführung. Das hilft uns, die Sanierungen zu standardisieren und zu skalieren, indem wir genaue und umfassende Daten für die effektive Planung, Produktion und Montage bekommen.
Worauf ist im Prozess der Datenverarbeitung zu achten, und wie lassen sich Fehler vermeiden?
Neben den richtigen Einstellungen und dem Scanprozess ist es wichtig, die Punktwolkendaten angemessen vorzubereiten. Das Punktwolkenmodell und die dazugehörigen Daten wie etwa Fotos müssen geprüft werden, um sicherzustellen, dass das Modell den Anforderungen entspricht. Ich empfehle, das Punktwolkenmodell nicht direkt in die Modellierungssoftware zu importieren. Mehrere Scans sind für ein genaues Ergebnis nötig, weshalb das Punktwolkenmodell anfangs unstrukturiert erscheinen kann. Es ist wichtig, die verschiedenen Punktwolken korrekt zu registrieren, das heißt sie so zu verbinden, dass sie zuverlässig zusammenpassen. Im Anschluss sollte das Punktwolkenmodell entsprechend bereinigt werden. Dieses Modell kann dann verwendet werden, um ein Oberflächenmodell zu erstellen, das in die Modellierungssoftware integriert wird und als As-Is-Referenz dient.

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