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6. Digitale Fachforum „Gebäudehülle im Fokus“

Auch für Turbos gelten Regeln

Viel ist gerade vom Beschleunigen des Bauens die Rede, von seiner radikalen Entbürokratisierung und Deregulierung. Das macht einigen Sorgen, einerseits – aber andererseits werden die hohen Standards, zahlreichen Normen und gesetzlichen Regelungen durchaus als echte Hemmnisse gesehen. Auf diese und weitere Aspekte wiesen die Moderatoren Claudia Siegele vom Gebäude-Energieberater, Matthias Rehberger vom Schwestermagazin Glaswelt und Martin Prösler, von der Content-Agentur Proesler Kommunikation hin.

Beleuchtet wurde das Thema aus der juristischen Perspektive, der bautechnischen, der bauphysikalischen, aber auch aus der sozialpolitischen. Diskutiert wurde, ob und wie die Beschleunigung gelingen könnte, worauf man in Zukunft verzichten könne und worauf auf keinen Fall. Spoiler: Der Klimaschutz war für keinen der Beteiligten verhandelbar.

Die allgemein gefürchteten Regeln der Technik

Den Eröffnungsvortrag hielt der Jurist Marc Steffen von der Kanzlei Leinemann & Partner. Steffen stellte die wichtigsten Inhalte des Bau-Turbos vor: Der ins Baugesetzbuch eingefügte § 246e erlaubt es Kommunen, von Bauleitplänen abzuweichen, wo Wohnraum entstehen soll – auch in Gewerbegebieten. Sie können auf die Erstellung von B-Plänen verzichten und Genehmigungsverfahren auf drei Monate verkürzen. Erleichtert wird die Nachverdichtung durch Anbau oder Bauten in der zweiten Reihe.

Problematisch ist Steffen zufolge jedoch, dass Städte und Gemeinden den Projektträgern zahlreiche Vorgaben machen und die Kosten hierfür auf sie abwälzen dürfen, zum Beispiel für den Bau von Sozialwohnungen oder von Kitas. Kein unrealistisches Szenario, denn die Kommunen sind knapp bei Kasse. Noch dazu ist der Turbo befristet: 2030 ist Schluss.

Als bedeutenden Kostentreiber und Bremse identifizierte Steffen die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ oder a. a. R. d. T. So wie die 3.000 bis 3.500 baurelevanten DIN-Normen. Zwar seien sie nicht mit den anerkannten Regeln identisch, kämen aber in der Rechtsprechung letztlich immer ins Spiel, wenn es um Mängel ginge. Ein Ärgernis seien die a. a. R. d. T. auch, weil sie nebulös formuliert und schwer zu greifen seien. Es müsse unbedingt eine enge gesetzliche Definition erfolgen. Bisher wirkten sie vor allem innovationshemmend. Denn solle eine Baupraxis eines Tages „allgemein anerkannt“ sein, müsse sie ja erst einmal ausprobiert werden, nur eben auf die Gefahr hin, dass die Planenden vor Gericht landen.

Fenster der Möglichkeiten

Von den juristischen ging es anschließend in die bautechnischen Details, zu Dingen, die man anfassen kann, zum Produkt Fenster. Der Sachverständige Claudius Freiberg schilderte, wie dieses Bauteil immer stärker unter den Folgen der Klimaerhitzung leidet, unter der UV- wie der Infrarotstrahlung, die beide an Intensität zunehmen. Zurzeit liegen dunkle Farben im Trend, deswegen erhitzen sich die Rahmenprofile in der Sonne schneller. Durch das Ausdehnen vor allem der PVC-Profile könne es zu Rissen kommen, die allerdings reparabel seien.

Karsten Ackermann, Marketingleiter beim Hersteller Aluplast, stellte dagegen die Vorteile des Materials heraus: Es sei günstig, Fenster aus PVC würden halb so viel kosten wie solche aus Aluminium. PVC-Profile würden zudem besser dämmen und mit den infrarotreflektierenden Folien, die sein Unternehmen anbiete, seien auch dunkle Farbtöne möglich. Der Kunststoff lasse sich darüber hinaus wiederverwenden. Aluplast liefere Fenster mit durchschnittlich 25 Prozent Recyclat-Anteil.

Dagegen lenkte der Vertreter des Fenster- und Türenherstellers GEZE, Christian Roßmeier, die Aufmerksamkeit auf die Gebäudeautomation. Sein Unternehmen arbeite mit offenen Standards, die den Kunden Planungsfreiheit lasse. Es messe insbesondere den Themen Sicherheit und Nachhaltigkeit hohe Bedeutung zu. Die digitale Technik könne zum Beispiel die „Predictive Maintenance“ ermöglichen, eine vorausschauende Wartung. Das System überwacht die mit Sensoren versehenen Bauteile, erkennt drohende Ausfälle und alarmiert den Wartungsservice.

Einfach bauen – weitergedacht

Der Beitrag von Burkhard Schulze Darup erweiterte die Perspektive. Der Fachbauchautor, Architekt und Stadtplaner sieht ein Manko des Turbos darin, dass er nicht ausdrücklich den Bau von Sozialwohnungen fordert – man müsse daher den Gemeinden den Rücken stärken, die das zur Genehmigungsbedingung machen könnten. Auch bestehe die Gefahr, dass die für die Klimaresilienz wichtige Stadtbegrünung zurückgestellt werde.

Mit Blick auf den Gebäudetyp E nahm sich der Architekt die wenigen konkreten Empfehlungen aus der entsprechenden Leitlinie des Bundesbauministeriums von 2024 vor [1]. Nur eine hält er für sinnvoll: die Absenkung der Norm-Innentemperatur im Badezimmer von 24 auf 20 Grad. Beton-
decken mit 14 anstatt mit 18 Zentimeter Dicke auszuführen, erzeuge dagegen Probleme mit dem Schallschutz, verringere die möglichen Spannweiten und erfordere eine stärkere vertikale Lastabtragung.

Schulze Darup nannte weitere Punkte, an denen man ansetzen sollte: kompakte Baukörper ohne Versprünge und Versatz und mit hoher Bautiefe planen, deren günstiges A/V-Verhältnis die Transmissionswärmverluste niedrig hält. Außerdem in Mehrparteienhäusern die Wohnungstrennwände als tragende Wände ausbilden (Schottenbauweise), sodass nichttragende Fassaden vorgehängt werden können.

Ausschlaggebend ist für den Architekten am Ende der energetische Standard. Denn hocheffiziente Gebäude würden zwar etwas mehr in der Herstellung kosten, seien aber über ihre Lebenszeit betrachtet aufgrund ihres niedrigen Energieverbrauchs eben doch günstiger. Letztlich könne es jedoch nicht alleine um den Neubau gehen, denn das Potenzial, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, liege zu einem nicht geringen Teil im Bestand. Schulze Darup riet dazu, anstatt der Sanierung weniger Gebäude auf das energetische Optimum lieber Masse zu machen und eine serielle Sanierung Light anzugehen.

Mit Strahlungswärme Energie sparen

Mit der Gebäudeeffizienz beschäftigten sich die nächsten beiden Vorträge. Für das Unternehmen Xella sprach Uwe Lutterbeck, der die positiven Eigenschaften der Mineralschaum-Dämmplatte herausstellte. Aufgrund ihrer Kapillaraktivität und ihrer Alkalität eignet sie sich gut für Innendämmungen,

kommt aber auch für Außen- und für Flachdachdämmungen infrage. Zu 100 Prozent recyclingfähig, bietet sie sich als nachhaltiger Baustoff an.

Andreas Tanner, Geschäftsführer der Firma Naturbo, verwies auf die Vorteile der Flächenklimatisierung. Sein Thema war das menschliche Behaglichkeitsempfinden, dem die Strahlungswärme entgegenkomme. So lasse sich durch die Lehmdämmplatten mit integrierten Rohrleitungen, die sein Unternehmen anbiete, die messbare Raumtemperatur senken – das heißt die Temperatur der Raumluft –, ohne dass die Behaglichkeit leide. Das wiederum erlaube das Absenken der Vorlauftemperaturen und diene damit der Energieeinsparung.

Keine German Angst vor der Innendämmung

Im folgenden Beitrag brach der Bauphysiker Anatol Worch ganz allgemein eine Lanze für die Innendämmung. Es gäbe eine regelrechte „German Angst“ vor dieser Form des Wärmeschutzes, die aber im Bestand in vielen Fällen die einzige umsetzbare sei. In Frankreich weit verbreitet, herrsche dagegen bei uns ein gewisses Grundmisstrauen ihr gegenüber vor aus Sorge vor Tauwasserbildung.

Er kritisierte das Glaser- beziehungsweise Periodenbilanz-Verfahren als realitätsferne bauphysikalische Berechnungsmethode, um das Risiko der Kondenswasserbildung in Bauteilen zu bewerten. Für ein Modernisierungsprojekt in Neustadt an der Weinstraße hat es Worch ausführlich und kompliziert nach dem Glaser-Verfahren gerechnet und zudem eine hygrothermische Simulation durchgeführt. Nur um am Ende zu dem Ergebnis zu kommen, dass das vereinfachte Nachweisverfahren nach WTA-Merkblatt 6-4 ausreicht [2].

Dass so selten von innen gedämmt wird, dafür könnten die oft komplizierten Geometrien ein Grund sein, die die Ausführung mit Dämmplatten erschweren. Als Alternative bietet die Firma Hasit Dämmputze von Hasit an. Produktmanager Florian Ellenrieder zufolge enthalten sie als wärmedämmende Zusätze etwa Blähperlit oder die um einiges teureren Aerogele, hochporöse, hochwärmeisolierende Materialien auf Silikatbasis. Die Putze könnten ebenso außen zum Einsatz kommen, zum Beispiel an Fachwerkhäusern.

Was ist Komfort, was sicherheitsrelevant?

Martin Großekathöfer vom Hersteller Pro Clima leitete den letzten Themenblock ein, der der Luftdichtheit gewidmet war. Neben Abdichtungsbahnen und Dichtmanschetten hat sein Unternehmen eine Flüssigdichtung im Programm, die gerade dort zum Einsatz kommen kann, wo sich mit Bahnen, Klebeband und Manschetten wenig erreichen lässt. Die Beschichtung kann mit dem Pinsel aufgetragen oder aufgesprüht werden.

Die letzte Präsentation des 6. Digitalen Fachforums „Gebäudehülle im Fokus“ hielt Geschäftsführer Oliver Solcher vom Fachverband Luftdichtheit im Bauwesen. Aus Paris dazugeschaltet, schlug er den Bogen zurück zum Beginn des Fachforums, setzte aber ganz andere Akzente. Solcher, national und international in den entsprechenden Gremien tätig, outete sich als bekennender und praktizierender „Normer“. Er betonte die Notwendigkeit einer luftdichten Gebäudehülle, die selbstverständlich etwas mit Behaglichkeit und Komfort zu tun habe, aber genauso mit dem Schutz vor Wärmeverlusten und vor Bauschäden wie etwa Schimmel. Deshalb habe man aus gutem Grund in der DIN 4108 Mindeststandards festgeschrieben.

Eine Unterscheidung von entbehrlichen „Ausstattungs- und Komfortnormen“ und unentbehrlichen „sicherheitsrelevanten Normen“, wie sie der Entwurf des Gebäudetyp-E-Gesetzes anführt, macht für Solcher wenig Sinn: „Wer an der Abdichtung spart, und damit Rechtsstreit und Nachbesserungen provoziert, der baut teuer.“ Günstig baue man, indem man die Luftdichtheitsschicht von einem Profi planen und die Ausführung kontrollieren lasse – im Neubau genauso wie im Bestand.

Das Geflecht der Normen ­entwirren

Ein Fazit ziehend, nannte Moderatorin Claudia Siegele die Normung eine „Notwendigkeit und Geißel zugleich“. Es gehe im Normungswesen um „Pfründe“ und Lobbyismus, die Industrie setze dort ihre Interessen durch. Die Normen abschaffen sei dennoch keine Option. Man brauche klare Regeln, man könne nicht einfach den Bauherren die Verantwortung übertragen. Nur mit dem Bau-Turbo und dem Gebäudetyp E werde es aber nicht vorangehen.

Matthias Rehberger äußerte indes die Hoffnung, „dass der Bau-Turbo zieht“, man habe ja gesehen, dass es die dafür nötigen Produkte gebe. Martin Prösler gab sich ebenfalls optimistisch – man müsse das Geflecht aus den historisch gewachsenen Normen entwirren, die sich gegenseitig und die das Bauen behinderten. Vom Abschaffen sprach auch er nicht: „Wir schimpfen ja alle auf die Bürokratie, aber eigentlich bräuchten wir eine zeitgemäße Bürokratie.“

Quellen und Literatur

[1] Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: Einfaches bauen – Gebäudetyp E – Leitlinie und Prozessempfehlung, https://t1p.de/GEB251040

[2] Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege: WTA Merkblatt 6-4:2016-10 – Innendämmung nach WTA I: Planungsleitfaden, https://t1p.de/GEB251041

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