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Niedriginvestive serielle Gebäudedämmung

Sanierung geht auch sozial­verträglich

Mittlerweile erreichen die Investitionssummen pro Komplettsanierung eines Gebäudes in den iSFP-Berichten Rekordhöhen, während die Quote energetischer Modernisierungen rückläufig ist. Der in der staatlich geförderten Energieberatung vorgeschriebene Maximalansatz scheint eher demotivierend als motivierend zu wirken. Die jährlichen Investitionen in Instandsetzung und Modernisierung des Wohngebäudebestandes ändern sich dadurch jedenfalls nicht. Diese kontinuierlichen und schrittweise durchgeführten Maßnahmen zur Energieeinsparung summieren sich national auf 60 bis 80 Milliarden Euro pro Jahr.

Sie werden von den rund 17 Millionen selbstnutzenden Hauseigentümern und privaten Vermietern nur ausgeführt, wenn sie in den individuellen Finanzrahmen und die Erneuerungsprozesse am Haus passen. Nicht immer entsprechen sie den Standards der Förderung. Doch das muss die Gebäudewende nicht gefährden. Ein schrittweises Vorgehen auch bei der energetischen Modernisierung nimmt das bereits vorhandene Investitionsmuster auf. Bei eintretenden Erfolgen wird daraus von allein ein kontinuierlicher Prozess.

Ein prämiertes Konzept in Kiel

So sieht es auch die Stadt Kiel mit ihrem Umweltschutzamt und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Kiwog. Hier wählte man für eine 74 Wohneinheiten umfassende Reihenhaussiedlung von 1938 mit schlechtem Wärmeschutz mit der Kerndämmung der zweischaligen Außenwände eine singuläre Energiesparmaßnahme aus, die den Erfordernissen der Bausubstanz entsprach. Die Siedlung befindet sich im Stadtteil Russee und steht unter Denkmalschutz, die Fassaden mussten erhalten bleiben (Abb. 1).

Über Bohrlöcher in der Vormauerschale wurde im Frühherbst 2023 die acht Zentimeter dicke Luftschicht in einer Rekordzeit von nur 25 Tagen an allen Häusern mit Glaswollflocken gedämmt. In der Folge sank der Wärmedurchgangskoeffizient der Wände um 70 Prozent, von zirka 1,6 W/(m²K) auf 0,48 W/(m²K). Von den wieder verschlossenen Bohrlöchern sieht man heute nichts mehr. Auch ist der hydrophobe Dämmstoff ein gleichwertiger Ersatz für die Regensperrfunktion der Luftschicht. Ganz wichtig: Das Sichtmauerwerk wurde vor der Ausführung auf Regendichtheit untersucht.

Die Mieter haben unterschiedlichste soziale Hintergründe, mehr Haushalte als im städtischen Durchschnitt beziehen Transferleistungen. Das Konzept verband deshalb die Verbesserung des Wärmeschutzes mit einer sozialverträglichen Kaltmiete, mit Blick auf die Anforderungen des Denkmalschutzes und eine Wohnbehaglichkeit auf zeitgemäßem Niveau. Sozialverträglich war die Maßnahme aufgrund der geringen Kosten des Materials und weil man durch die Nutzung der vorhandenen Luftschicht auf Deckschichten verzichten konnte. Dazu durch die an sich schon zeitsparende Einblasdämmtechnik, die der örtliche Handwerksbetrieb Wärmedämmung Nord außerdem seriell und ohne Gerüst ausführte (Abb. 2).

Diese Verbindung verschiedenster Ziele und ihre Einbettung in ein Konzept für Öffentlichkeitsarbeit belohnte das Deutsche Institut für Urbanistik im Rahmen des Wettbewerbs „Klimaaktive Kommune 2025“ mit einem Preis für die Stadt Kiel und ihre Wohnungsbaugesellschaft.

Mehr als ein Fünftel an Energie gespart

Die Erfolge ergaben sich aus der Beachtung physikalischer Gesetze. Schon im Folgewinter wurde die bessere Behaglichkeit bemerkt und der bis dahin in einer Wohnung hartnäckig auftretende Wohnungsschimmel blieb aus. Die Temperatur an der Innenseite der Außenwände war im Winter bis zu fünf Grad höher als zuvor, was das Risiko für Schimmelbildung deutlich senkte. Als zweiten Erfolg erreichte man die erwartete Heizenergieeinsparung. Der Erdgasverbrauch der Siedlung sank laut Stadtwerke Kiel klimabereinigt um 21 Prozent.

Der heutige Jahres-Heizenergieverbrauch der Wohnungen liegt nicht mehr bei 200, sondern bei 150 bis 160 Kilowattstunden pro Quadratmeter – eine Einsparung von vier bis fünf Kubikmetern Erdgas pro Quadratmeter und Jahr durch eine einzige Dämmmaßnahme zu Kosten von unter 1.000 Euro pro Wohneinheit (Abb. 3). Der Gasverbrauch der kleinen Siedlung sank dauerhaft um 25.000 Kubikmeter jährlich.

„Sparwand“ hieß die Konstruktionsweise der Reihenhäuser zur Bauzeit 1938, wegen des geringeren Materialverbrauchs bei der Herstellung gegenüber der üblichen, 38 Zentimeter dicken Vollziegelwand. Heute ist ihr Name doppelt gerechtfertigt, denn nach 87 Jahren ist sie nun auch Energiesparwand. So zeigt sich: Innovative Bauweisen von damals haben immer noch das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gebäudeeffizienz zu leisten.

Kerndämmung ohne Kaltmietenerhöhung

Die Sozialverträglichkeit ergibt sich nicht nur aus den geringen Investitionskosten von 700 bis 900 Euro pro Reihenhausabschnitt, sondern zusätzlich durch den Verzicht der Wohnungsbaugesellschaft auf eine Mieterhöhung, die ohnehin nur bei weniger als fünf Cent pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat gelegen hätte. Davon abgesehen gehören solidarische Querfinanzierungen zur gängigen Praxis gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften.

Für selbstnutzende Hauseigentümer, bei denen Investition und Heizkosteneinsparung in einer Hand anfallen, stellen sich im Falle einer Kerndämmung beim heutigen Heizenergiepreis in der Regel Amortisationszeiten von zwei bis drei Jahren ein. Die Einblasdämmung ist nicht nur in Kiel-Russee, sondern auch im Allgemeinen wirtschaftlich attraktiv und führt zu sozialverträglichen energetischen Modernisierungen im Gebäudebestand.

Das Bessere ist immer der Feind des Guten

Durch den Wärmeschutz von Dachboden, Spitzboden oder der Abseitenwänden mittels Einblasdämmung sind wegen der dort großen Hohlräume sehr kostengünstig U-Werte von 0,1 W/(m²K) erzielbar. Eine reine Kerndämmung erreicht diesen Zielwert nicht, aber mit ihrem Verhältnis zum wärmetechnischen Optimum ist es ein bisschen wie mit dem Spatzen in der Hand und der Taube auf dem Dach. Alternative wäre in der Wohnsiedlung im Stadtteil Kiel-Russee mit ihrem U-Wert von heute 0,48 W/(m²K) die Unterlassung jeglicher Dämmmaßnahme gewesen, also ein U-Wert um 1,6 W/(m²K), weil Rücksicht auf die finanzielle Belastbarkeit der Bewohner und der Denkmalschutz keine Außendämmung erlaubten.

Die Dämmung von Luftschichtdicken von sechs bis acht Zentimetern führt zu U-Werten von um die 0,4 W/(m²K). Zielwerte von 0,15 bis 0,2 W/(m²K) erreicht man nur, wenn man sie mit einem Wärmedämm-Verbundsystem oder einer Vorhangfassade von zwölf bis 16 Zentimeter Dicke kombiniert. Trotzdem ist das Ausfüllen des Luftspalts unverzichtbar. Denn bleibt dieser bei einer Dämmung von außen erhalten, entstehen über ihn weiter Lüftungsverluste. Die zweischalige Wand ventiliert über die Undichtheiten der Vormauerschale in Größenordnungen von bis zu vier Kubikmetern Luft pro Quadratmeter Wandfläche und Stunde, bereits bei zehn Pascal Druckunterschied vor und hinter der Vormauerschale. Diese Abminderung des Einsparerfolges könnte ohne Luftschichtdämmung nur durch eine auf der Vormauerschale vollflächig verklebte Dämmung und die zusätzliche Abdichtung von Rollladenkästen und Fenster-/Türanschlüssen reduziert werden. Kostenlos gehen diese Arbeiten nicht ab.

Kerndämmung kann jederzeit ergänzt werden

Fazit: Bereits kurzfristig sichert die Einblasdämmung die Erschließung großer Teile des nationalen Heizenergie-Einsparpotenzials, gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Realeinkommen und der durch Inflation verminderten Haushaltseinkommen besonders von Mietern und Rentnern. Ein Wärmeschutz in der Luftschicht lässt sich zu jeder Zeit durch eine Außendämmung ergänzen, zum Beispiel wenn die Energiepreise steigen, wenn sich bessere Finanzierungsbedingungen ergeben oder das Einkommen steigt.

Wann die Wirtschaftspolitik durch nachfrageseitige wirtschaftspolitische Fördermaßnahmen höhere Einkommen ermöglichen wird, ist kaum voraussehbar. Um einen Paradigmenwechsel werden wir aber nicht herumkommen, wenn die energetische Ertüchtigung des Gebäudebestandes Fahrt aufnehmen soll. Nach wie vor erreicht die Bafa-Förderung nur diejenigen Hauseigentümer, die über ein ausreichendes Finanzpolster verfügen und die ihr Haus ohnehin instand setzen oder modernisieren wollen. Was im Endeffekt zu der derzeitigen Quote energetischer Modernisierungen von unter einem Prozent führt. Und die ist ein Problem – für das die Einblasdämmung die Lösung darstellen könnte.

Einblasdämmung ist Vielfalt

Die Einblastechnik von Dämmstoffen kennt nicht nur Kerndämmung. Für die niedriginvestive energetische Ertüchtigung des Gebäudebestandes stehen 31 Anwendungen mit über 13 Dämmstoffarten zur Verfügung. Die Schwerpunkte des Potenzials befinden sich in den Bereichen:

  • zweischaliges Mauerwerk,
  • Dachböden/Kehlbalken,
  • Abseiten/Dachschrägen,
  • Gebäudetrennwände sowie
  • Keller- und Kriechkeller.
  • Die Amortisationszeit beträgt im Durchschnitt 8,1 Jahre, sodass die Investitionen mehrfach wieder hereinkommen, denn eine im Mauerwerk geschützt liegende Dämmschicht hält so lange, wie das Bauteil, das sie vor Wärmeverlusten schützt. Abb. 5 gibt einen Überblick über die möglichen Anteile der Einblasdämmung am Heizenergieeinsparpotenzial im Wohngebäudebestand.

    Ein Gewinn für das Klima und damit die Allgemeinheit: Mit der Einblasdämmung lässt sich im Wohngebäudebestand ein Einsparpotenzial von 41 Prozent des bisherigen Raumwärmeverbrauchs von 454 Terawattstunden jährlich und ein CO2-Einsparpotenzial von rund 58 Millionen Jahrestonnen erschließen. Das würde 29 Prozent der Emissionen des Gebäudesektors insgesamt – inklusive Nichtwohnbau – ausmachen.

    2 Einblasen der Glaswollflocken von außen per Schlauch

    Bild: Jens-Peter Koopmann / Umweltschutzamt Kiel

    2 Einblasen der Glaswollflocken von außen per Schlauch
    3 Gemessene Erdgaseinsparung durch die Acht-Zentimeter-Kerndämmung in Kiel-Russee

    Bild: Energieinstitut Hessen

    3 Gemessene Erdgaseinsparung durch die Acht-Zentimeter-Kerndämmung in Kiel-Russee
    4 Endoskopische Zustandsprüfung von Luftschicht und Drahtankern, Bindersteinen und Mörtelresten im Luftraum (Probebohrung)

    Bild: Jürgen Schlicht / Wärmedämmung Nord

    4 Endoskopische Zustandsprüfung von Luftschicht und Drahtankern, Bindersteinen und Mörtelresten im Luftraum (Probebohrung)
    5 Anwendungsarten und Endenergie-Einsparpotenzial der Einblasdämmung im Wohngebäude­bestand

    Bild: Energieinstitut Hessen

    5 Anwendungsarten und Endenergie-Einsparpotenzial der Einblasdämmung im Wohngebäude­bestand

    Zweischalige Außenwände und Kerndämmung: Geschichte, Mythen und Fakten

    Zweischalige Außenwände wurden ab 1860 für 100 Jahre unbelüftet ausgeführt. Diese Wände sind bis heute in Nutzung. Die DIN 1053 führte dennoch Ende der 50er Jahre ohne wissenschaftliche Begründung die Belüftung des Hohlmauerwerks ein, die DIN 4108 lehnte hingegen Luftschichten in Wänden bereits seit 1952 ab – mit physikalischer Begründung (Auffeuchtung, Feuchtewanderung). Sie ließ sie aber in Norddeutschland zu.

    Die ab 1952 einsetzenden Untersuchungen wiesen sämtlich die Funktionstüchtigkeit der Kerndämmung nach. Die Außenschalen zweischaligen Mauerwerks mit Kerndämmung wurden bei Messungen trockener angetroffen als bei belüfteter Luftschicht. Nachweise wurden europaweit an mehr als 500 Wänden geführt.

    Ab 2009 erlaubte auch die DIN 1053 die Kerndämmung, da positive Erfahrungen anerkannt werden mussten. Feuchteschäden durch Einblasdämmung und die Wirkung der Kerndämmung auf Wärmebrücken sind trotzdem noch immer ein Thema. Der Fachverband Einblasdämmung bietet hierzu die Fach-Informationen 1, 2, 6 und 7 an (kostenfreier Bezug über a.drewer@fved.net, für weitere Informationen siehe auch www.fved.net).

    Eine über 2,5 Jahre erfolgende Messung des Fraunhofer IBP an 110 Versuchswänden ergab, dass zwar die Vormauer schlagregenbedingt oft bis zu 14 Masseprozent Wasser enthielt, die Kerndämmung aber nur unkritische 0,1 bis 2,5. Die Wand trocknet über die gesamte Fläche in ausreichendem Maße aus (siehe Abbildung).

    Förderung von Kerndämmung (steuerlich):
    auch bei Nichterreichen des U-Werts von 0,2 W/(m²K), wenn ein Dämmstoff der Wärmeleitstufe 035 eingebaut wird, was einem Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit von 0,035 W/(mK) entspricht

    Häufigste Feuchtemesswerte der Versuchswände im Zuge der Langzeitmessung des Fraunhofer IBP

    Bild: Energieinstitut Hessen, Daten: Fraunhofer Institut für Bauphysik

    Häufigste Feuchtemesswerte der Versuchswände im Zuge der Langzeitmessung des Fraunhofer IBP
    Werner Eicke-Hennig
    studierte nach einer Bauzeichnerlehre Stadtplanung in Kassel, wo er ab 1984 eine unabhängige Energieberatungsstelle aufbaute. Er war seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Wohnen und Umwelt (IWU) und dort Leiter der Hessischen Energiespar-Aktion des Hessischen Wirtschaftsministeriums. Seit 2017 ist er im Ruhestand und betreibt das Energieinstitut Hessen in Frankfurt/Main.

    Bild: Werner Eicke-Hennig

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