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Kostengünstiger bauen mit dem Gebäudetyp E

Norm fürs Normale

Vier Wände und ein Dach - viel mehr braucht es nicht, um vor der Witterung und anderem Unbill geschützt zu sein. Dauerhaft wohnen lässt es sich in so einer zugigen Hütte freilich nicht, daher sind Fenster und Türen unverzichtbar. Ebenso wie eine möglichst effiziente Heizung für den Winter. Strom- und Wasseranschluss dürfen auch nicht fehlen, ebenso gehören Lichtschalter, Steckdosen und Rauchmelder zur Grundausstattung. Natürlich muss ein Gebäude heutzutage eine luftdichte Hülle ausweisen, und der Mindestwärmeschutz genügt ebenso wenig wie der Mindestschallschutz. Ein bisschen mehr sollte da schon drin sein. Vielleicht auch eine Fußbodenheizung, Fliesen- und Holzbeläge sowie Innentüren, die nicht klappern.

Was ein Bad so alles vorzuweisen hat, um der Standardausstattung zu genügen, da gehen die Vorstellungen schon etwas mehr auseinander. Ein befenstertes Gäste-WC wäre schon auch gut, ebenso ein Balkon oder Wintergarten. Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, 3fach-Verglasung, Fußbodenheizung, motorisch betriebener Sonnenschutz und Gebäudeautomation – kann man darauf heute noch verzichten? Ist das nicht alles Standard inzwischen? Genauso wie der Stellplatz fürs Auto, die Video-Sprechanlage, das Fingerprint-Schloss und so weiter. Und dann: 20 Euro Miete pro Quadratmeter? Kalt! Oder: 5.000 Euro Baukosten pro Quadratmeter! Ohne Grundstück! Wer soll das bezahlen?

Gebäudestandards abspecken – wer traut sich das?

Wo beginnt beim Wohnen der Luxus? Was ist Standard? Wie abgespeckt darf ein Gebäude hinsichtlich Sicherheitsaspekten, Komfort und Funktion gerade noch sein, um als zeitgemäße Wohnstätte zu gelten? Was kann „man“ sich noch leisten bei vier Prozent Zinsen und in ratlosem Angesicht explodierender Baukosten? Sind unsere eigenen Ansprüche ans Wohnen zu hoch? Liegt es an den Bauvorschriften, dass das Bauen und Wohnen so teuer geworden ist? Was ist normal? Haben wir es verlernt, einfach und bezahlbar zu bauen? Die Norm zur Religion gemacht, gegen die zu verstoßen einer Sünde gleichkommt und mit einem Schuldspruch vor dem Kadi endet?

Immerhin – es regt sich Widerstand. Erste Pilotprojekte in Bayern haben gezeigt, dass eine Reduktion der normativ unterlegten Gebäudestandards das Bauen günstiger machen kann und das Wohnen in derart abgespeckten Gebäuden keine untragbaren Nachteile für die Bewohner mit sich bringen muss. Im Gegenteil – die Mieter der Forschungshäuser in Bad Aibling zum Beispiel lieben die 3,10 Meter hohen Räume, und die Nutzer des Bürogebäudes 2226 im Vorarlberger Lustenau (Abb. 1) empfinden die fehlende Übertechnisierung eher als angenehm. Doch welcher Planer traut sich, im Sinne des kostensparenden Bauens auf Normen zu pfeifen und auf eigenes Risiko „einfach“ zu bauen? Reduzieren, Weglassen, Ausprobieren, Minimalisieren, anstatt noch eine Schippe draufzulegen?

Woran scheitert bezahlbares Bauen und Wohnen?

Wohnen ist ein Grundbedürfnis, es muss bezahlbar sein und darf nicht nur für Privilegierte erschwinglich sein. Wenn heutzutage mehr als die Hälfte des Einkommens für die Miete draufgeht oder Investoren das Risiko scheuen, in Regionen mit Wohnungsnot dringend nötige Neubauprojekte in Angriff zu nehmen oder marode Gebäude zu sanieren, weil die Kosten so hoch sind, dass sie Mietpreise erzwingen, die jeden Mietspiegel zerspringen lassen, dann muss die Frage erlaubt sein, inwieweit auch unsere Bauvorschriften, Regelwerke und Komfortansprüche Ursache der nicht endenden Preisspirale sind.

Gebäudetyp E – jenseits der Regeln der Technik?

Eine mögliche Antwort darauf ist die Forderung nach einem Gebäudetyp E – der Vokal steht für „einfach“ oder „experimentell – mit dem Ziel, die Vielfalt an Normen zu reduzieren, um schnelleres, einfacheres, kostengünstigeres und ressourcenschonenderes Planen und Bauen zu ermöglichen. Die Initiative geht zurück auf die bayerische Architektenkammer, wurde gemeinsam mit anderen Institutionen und der Bundesarchitektenkammer den beiden verantwortlichen Ministerien (Bau und Justiz) in Berlin vorgetragen und mündete am 11. Juli in erste Vorschläge für ein sogenanntes Gebäudetyp-E-Gesetz:

  • Nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums soll zunächst der Begriff der „anerkannten Regeln der Technik“ konkreter gefasst werden. Reine Komfortstandards sollen fortan im Allgemeinen nicht dazu zählen.
  • In Verträgen zwischen Planern und professionellen Auftraggebern – also zum Beispiel kommerzielle Investoren oder öffentliche Wohnungsbaugesellschaften, jedoch keine privaten Bauherren – soll die Abweichung von anerkannten Regeln der Technik erleichtert werden.
  • Ein Abweichen von anerkannten Regeln der Technik soll nicht mehr automatisch ein Sachmangel sein.
  • Im BGB soll eine neue Vermutungsregelung geschaffen werden, die für alle Bauverträge gilt. Demgemäß soll künftig die Vermutung gelten, dass reine Ausstattungs- und Komfortstandards keine anerkannten Regeln der Technik sind.
  • Für sicherheitsrelevante technische Normen soll eine gegenteilige Vermutung gelten.
  • Öffentlich-rechtliche Vorgaben, die alle Bauvorhaben einhalten müssen, bleiben bestehen: etwa die grundlegenden Schutzziele der Bauordnungen wie Standsicherheit, Brandschutz, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit.
  • Diese erste Liste an Vorschlägen – so löblich sie ist – wirft natürlich noch so einige Fragen auf. Wer entscheidet, welche Normen sich auf „Komfort-Standards“ beziehen, welche gelten als sicherheitsrelevant? Und wie verträgt sich die Beschränkung der erleichterten Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik auf „professionelle Auftraggeber“ mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3, Abs. 3, des Grundgesetzes? Warum sollen nicht auch private Bauherren ein Haus gemäß Gebäudetyp E bauen dürfen? Und wie schwammig ist doch das Feld der Baumängel und die Frage, wann eine Norm oder Teile davon zur anerkannten Regel der Technik aufgestiegen sind? Wird das Wohnen im Gebäudetyp E tatsächlich günstiger, wenn auch die energetischen Standards Federn lassen und somit am Ende die Betriebskosten steigen? Und sinken die Baukosten am Ende tatsächlich bei geringerem Komfort?

    DIN-Normen – Problemlöser und Problem zugleich

    Eine interessante Frage wäre in dem Zusammenhang, woran es liegt, dass

  • immer wieder neue Normen aus dem Boden schießen (im Jahr 2023 listet der Normenausschuss Bau in seinem Jahresbericht 2.576 normative Dokumente auf),
  • es in Deutschland nicht möglich ist, eine für alle Länder geltende Musterbauordnung (MBO) einzuführen, die Vorschriften der Landesbauordnungen auf das Nötige zu reduzieren und sie als Anhang der MBO beizufügen,
  • sich diese ungezügelte Normierungswut nicht per Gesetz zähmen lässt und
  • wir in Deutschland Normen zu Ausstattungs- und Komfortstandards erarbeiten?
  • Warum überhaupt müssen Wohnungen in Deutschland hinsichtlich Ausstattung und Komfortstandards per Norm geregelt werden? Wem nützen solche Vorgaben am Ende?

    Dazu ein Beispiel: Die DIN 18015-2:2021-10 bezieht sich auf die Mindestausstattung elektrischer Anlagen in Wohngebäuden. Darin steht, dass sich die Mindestzahl der Stromkreise für Steckdosen zur allgemeinen Verwendung und für die Beleuchtung nach der Wohnfläche richtet. Werden dazu keine besonderen Vereinbarungen getroffen, gelten die Mindestanforderungen, die in einer Tabelle aufgelistet sind (Abb. 3). Demnach sind für Schlafzimmer, mit mehr als 16 Quadratmetern mindestens zwei Lichtschalter und acht Steckdosen vorzusehen.

    Fehlende Transparenz bei der Ausschussbesetzung

    Wenn man nun weiß, dass der Normenausschuss zur DIN 18015 zu 83  Prozent mit (Interessen-)Vertretern aus der Wirtschaft (sprich die Bauindustrie) besetzt ist, wird schnell klar, warum im Schlafzimmer nicht drei oder vier Steckdosen genügen. Dieser nahe liegenden Vermutung widerspricht das DIN in einem Statement wie folgt: „Die Entscheidungsfindung findet in der Regel im Konsens statt (…). Die reine Anzahl der Expertinnen der verschiedenen interessierten Kreise hat keine Aussagekraft, da sie nicht ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung ist.“ Seltsame Logik, aber selbst der Begriff Konsens ist genormt: siehe DIN EN 45020. Wenn aber mehr als vier Fünftel in einer Arbeitsausschusssitzung sich einhellig für etwas aussprechen, hat es das letzte Fünftel schon sehr schwer, eine ganz anders gelagerte Einschätzung durchzubringen.

    Der SWR ist in der Dokumentation Viele Normen – teure Wohnungen der Frage nachgegangen, welche Rolle das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Bezug auf die gestiegenen Baupreise einnimmt. Bei dieser Recherche wurde sehr deutlich, dass das DIN keinerlei Interesse dran hat, die Besetzung der Arbeitsausschüsse zu den Normentwürfen öffentlich und somit transparent zu machen. Begründet wird dies mit kartellrechtlichen Zusammenhängen. Doch was steckt wirklich hinter dieser Geheimniskrämerei? Schützt das DIN die Lobby, die in ihren Räumen eigene Interessen vertritt?

    Derartige Vorwürfe kann das DIN nicht nachvollziehen. Es definiert Normen als ein Rationalisierungselement, das sich nur unwesentlich auf die Baukosten auswirkt – eine Sichtweise, der Planer und Baupraktiker ebenso vehement widersprechen wie die Bauministerien der Länder. Es ist eine Mär, dass es keine Auswirkung auf die Baukosten hat, wenn man statt zwei vier Steckdosen einbaut – jeder, der schon eine Ausschreibung gemacht hat, weiß das.

    Wunsch und Wirklichkeit

    Grundsätzlich sind Normen in der Baubranche unabdingbar, denn das Vereinheitlichen und Standardisieren von Bauteilen und Produkten, das Festlegen von Baurichtmaßen sowie das Erstellen von Richtlinien bilden die Grundlage von Gewährleistungen. Aber Normen finden auch Eingang in Baugesetze und Verordnungen, weshalb ihr Einfluss auf die Baukosten unstrittig ist – gerade, wenn sie Komfortstandards beschreiben.

    So begrüßenswert die Bemühungen sind, das Bauen zu vereinfachen, Komfortstandards zurückzufahren und von Seiten des Gesetzgebers klare Regeln für einen Gebäudetyp E zu formulieren – all das darf am Ende nicht dazu führen, die Vorschriften und Regeln am Bau weiter zu verkomplizieren und der Bürokratie weiter Vorschub zu leisten.

    Wichtig ist vor allem, dass einfachere Standards nicht nur ein Mindestmaß an Komfort bieten, sondern schlussendlich Kosten und Ressourcen sparen – gerade hinsichtlich der Betriebskosten.

    Ein wichtiger Ansatz bei dem Bemühen, das Bauen zu vereinfachen, ist es, Planern, Bauherrschaften und Investoren mehr Freiheiten einzuräumen in ihren Entscheidungen, auf was bei einem Gebäude verzichtet werden kann. Was indes im Fall einer nachgängigen juristischen Auseinandersetzung nicht dazu führen darf, Planern den Vorwurf zu machen, sicherheitsrelevante und den Mindeststandard bewahrende Richtlinien und Normen nicht beachtet respektive dagegen verstoßen zu haben.

    Das geht nicht ohne eindeutige Rechtssicherheit in Bezug auf die Frage, welche Richtlinien und Normen in die „Muss-Kategorie“ und welche in die „Kann-Kategorie“ fallen gehören. Oder anders ausgedrückt: Welche allgemein anerkannte Regel der Technik ist unstrittig gesetzt, welche ist diskutabel oder noch vage? Eine Frage, die heutzutage schon ohne den Gebäudetyp E eine Heerschar von Gutachtern, Rechtsanwälten und Richtern auf Trab hält.

    Klare Regeln für einen Gebäudetyp E erfordern es, nicht nur die 16 verschiedenen Landesbauordnungen darauf abzustimmen, sondern auch die nationale und europäische Normung sowie alle entscheidungsbefugten Sonderfachleute wie Brand- und Schallschutzexperten, Energieberater, Prüfstatiker und nicht zuletzt die genehmigungsberechtigen Bauverwaltungen mit ins Boot zu nehmen. Der Weg zum einfachen Bauen könnte somit nicht ganz so einfach werden, wie man sich das vorstellt – so wünschenswert dieses Ziel auch ist.

    Literatur und Quellen:

    [1] Die Journalistin Tatjana Mischke hat in der Dokumentation „Viele Normen – teure Wohnungen?“ hinterfragt, ob all die Normen und Vorschriften in Deutschland für das Bauen wirklich notwendig sind oder ob der eigentliche Profiteur die Bauindustrie ist. In dem Film wird in dem Zusammenhang auch die Rolle des Deutschen Instituts für Normung (DIN e.V.) kritisch unter die Lupe genommen und der Finger zielgenau in die Wunde gelegt. Die sehenswerte Doku ist noch bis zum 15. April in der Mediathek des SWR als Video verfügbar: https://t1p.de/GEB240928

    2 Welchen Standard können und wollen wir uns noch leisten? Das niederländische Architekturbüro Atelier Kempe Thill hat Mehrfamilienhäuser in vier Ländern gebaut und die Aufbauten für Geschossdecken und Innenwände verglichen.

    Bild: Kempe Thill / GEB

    2 Welchen Standard können und wollen wir uns noch leisten? Das niederländische Architekturbüro Atelier Kempe Thill hat Mehrfamilienhäuser in vier Ländern gebaut und die Aufbauten für Geschossdecken und Innenwände verglichen.
    3 Viele DIN-Normen, wie zum Beispiel die DIN 18015-2 – Mindestausstattung technischer Anlagen in Wohngebäuden, regeln Komfortstandards, die sich erheblich auf die Baukosten auswirken können.

    3 Viele DIN-Normen, wie zum Beispiel die DIN 18015-2 – Mindestausstattung technischer Anlagen in Wohngebäuden, regeln Komfortstandards, die sich erheblich auf die Baukosten auswirken können.

    GEB Dossier

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    www.geb-info.de/gebaeudekonzepte

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