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Energiebilanz Tiny House

Scheinbar bescheiden

Zu Zeiten der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach Tiny Houses bekanntermaßen besonders groß, doch auch derzeit findet diese Wohnform regen Anklang. Es gibt eine lebendige Fanszene, die sich fleißig über Youtube-Videos und in den sozialen Medien austauscht. Fertighaushersteller, die schon länger unter Umsatzeinbußen leiden, bieten vermehrt kleine Formate an. Der Tiny-House-Verband, mit Sitz in Karlsruhe, organisiert die Branchenmesse „New Housing“ zwar nicht, freute sich aber doch 2024 über den guten Zuspruch. Er hat jüngst eine „Flächenbörse“ initiiert, auf der man online nach Grundstücken beziehungsweise Stellplätzen suchen kann.

Bundesweit finden sich Tiny-House-Siedlungen, dazu haben etliche Kommunen Baugebiete für die kleinen Häuser ausgewiesen oder planen es zumindest, wobei sie häufig auf Wünsche und Anregungen von Seiten der Bürger:innen reagieren [1]. Der Behörden-Spiegel, eine Zeitung für den öffentlichen Dienst, beschreibt in seiner Aprilausgabe das Tiny House als Wohnform mit steigendem Beliebtheitswert, zumal bei älteren Menschen [2].

Das Gebäudeenergiegesetz ist zu beachten

Der Begriff „Tiny House“ stammt aus den USA. Als tiny, also winzig, gelten dort Häuschen mit nicht mehr als 37 Quadratmetern. In Deutschland wird darunter in der Regel eine vollwertige, freistehende Wohneinheit mit Sanitärbereich und Küche verstanden, die nicht mehr als 50 Quadratmeter Wohnfläche umfasst. Von Bedeutung ist diese Grenze, da gemäß dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) erst ab dieser Größe ein Energieausweis zu erstellen ist. Ein Effizienznachweis muss erbracht werden, sofern das Gebäude länger als vier Monate im Jahr bewohnt werden soll. Ein klassisches, mobiles Minihaus darf lediglich 2,55 Meter breit, maximal 3,50 Meter hoch und das Fahrgestell höchstens zwölf Meter lang sein. Zudem darf es höchstens 3,5 Tonnen wiegen und muss eine „straßenverkehrstechnische Zulassung“ besitzen. Größere Objekte werden nicht auf Anhängern aufgebaut, sondern per Lkw oder Tieflader transportiert.

Mobil heißt nicht, dass man sein Minihaus überall hinstellen kann. Johannes Laible, Schatzmeister des Tiny House Verbands und Herausgeber der Zeitschrift „Kleiner wohnen“: „Wenn es zum dauerhaften Wohnen gedacht ist, gehört es zur Gebäudeklasse eins. Damit gilt alles, was auch für das Einfamilienhaus gilt: Baugenehmigungspflicht, GEG, in der Regel Anschlusszwang, Bebauungsplan.“ Das heißt, dass man für ein dauerhaft bewohntes Minihaus ein Baugrundstück im Innenbereich nach § 34 Baugesetzbuch benötigt, mit Anschluss an das Stromnetz sowie an die Wasserver- und die Abwasserentsorgung.

Ein Tiny House benötigt mehr Nutzenergie

Der Artikel im Behörden-Spiegel trägt die Überschrift „Suffizientes Wohnen für den Klimaschutz“. Das Leben im Klein- und Kleinsthaus sei klimafreundlich, weil deutlich weniger Emissionen anfallen. Bereits bald nach Einsetzen des Tiny-House-Trends kamen allerdings diesbezüglich Zweifel auf. 2019 veröffentlichten Ralph Wortmann, Klaus Wember und Tim Wenhake vom Bochumer Büro Wortmann & Wember einen Blogbeitrag, in dem sie mehrere Varianten der Minihäuser sowie Häuser herkömmlicher Größe in puncto Energiebedarf auf Basis der damals noch gültigen Energieeinsparverordnung (EnEV) durchrechneten [3]. Das Fazit, das sie 2019 gezogen hätten, sei immer noch gültig, sagt Klaus Wember auf Anfrage des Gebäude-Energieberater: „An der Physik ändert sich nichts.“

Das Handicap der Häuschen ist gerade ihr bescheidenes Format. Je kleiner ein Gebäude ist, desto schlechter, das heißt größer, ist sein A/Ve-Verhältnis, das Verhältnis von wärmeabgebender Außenfläche A zum beheizten Volumen Ve. Mehrfamilienhäuser haben A/Ve-Verhältnisse von 0,3 bis 0,5, bei Einfamilienhäusern liegt es gewöhnlich zwischen 0,7 und 1, bei Tiny Houses dagegen oft bei 1,5 oder darüber.

Hinzu kommt: „Die Unterseite des Baukörpers gehört grundsätzlich mit zur wärmeabgebenden Außenfläche A, nur mit einem Minderungsfaktor. Generell ist die Wärmeabgabe in der Mitte geringer als an den Rändern, wo der Erdboden durch Kontakt mit der Außenluft abkühlt.“ Je größer das Gebäude, desto mehr komme dieser Effekt zum Tragen. Ausladende Industriehallen bräuchten entsprechend mittig in der Regel keine Dämmung gegen das Erdreich. Der Boden von Tiny Houses dagegen „besteht fast nur aus Rändern“, was höhere Wärmeverluste bedeute. Die würden größer, wenn die Minis auf Punktfundamenten oder Rädern stünden.

Wortmann, Wember und Wenhake haben die unterschiedlichen Varianten anhand des Nutzenergiebedarfs pro Person und Jahr verglichen. Das ist der Energiebedarf zum Halten einer behaglichen Innentemperatur (Bilanzgrenze: Raum). Das Resultat: In einem mobilen DIY-Tiny-House üblicher Bauweise, ohne Dämmung nach EnEV, benötigt eine Person für zwölf Quadratmeter Wohnfläche im Jahr nahezu dieselbe Nutzenergie wie eine Person in einem durchschnittlichen Mehrfamilienhaus der Baujahre 1982 bis 1995: zirka 3.500 Kilowattstunden. Die Person in einem Mehrfamilienhaus bewohnt allerdings gewöhnlich 33 Quadratmeter.

Zusätzlich hatten die Autoren ein Passivhaus als Tiny House simuliert, also mit starker Dämmung, luftdicht weit über Normalniveau und mit Lüftung mit Wärmerückgewinnung, und es einem Einfamilienhaus in dieser Bauweise gegenübergestellt. Der Nutzenergiebedarf einer Person im Mini-Passiv­haus, die aufgrund der Dämmdicke mit nur zehn Quadratmetern zurechtkommen muss, beträgt tatsächlich fast das Dreifache d­es Bedarfs in der normalen Variante: rund 1.400 statt etwa 500 Kilowattstunden im Jahr. Dabei ist wieder zu beachten: Der Person im Passivhaus normaler Größe stehen, so die Grundannahme, 35 Quadratmeter zur Verfügung.

Auf der Messe „New Housing“ konnte man sich neben anderem auch über die baurechtlichen Regelungen informieren, denen Tiny Houses unterworfen sind.

Bild: Jürgen Rösner / Messe Karlsruhe

Auf der Messe „New Housing“ konnte man sich neben anderem auch über die baurechtlichen Regelungen informieren, denen Tiny Houses unterworfen sind.

Wie im Minihaus üblicherweise gedämmt und geheizt wird

Um die Wärmeverluste zu minimieren, braucht es entweder dicke Dämmschichten aus Mineralwolle oder Naturdämmstoffen, was auf Kosten des Wohnraums geht, oder hochdämmende Polyurethan- oder Polyisocyanurat-Hartschaumplatten. Einige Do-it-yourselfer wählen dünne, aluminiumkaschierte Vliese, laut den Herstellern hochwirksam dank Reflektion der Wärmestrahlung, tatsächlich aber kaum isolierend [4]. Geht es um die Wärmeversorgung, sind Stückholz-Kaminöfen beliebt, die jedoch schlecht regelbar und zu leistungsstark sind. In der Praxis wird dann die überflüssige Wärme – wenig energieeffizient – weggelüftet. Besser zu regeln sind kleine Pelletöfen.

Anstatt der hydraulischen Wärmeverteilung wird meist die einfacher zu installierende, elektrische Flächen-Direktheizung gewählt, die aber viel Strom zieht. Energieautarkie könnte nur mit einer Photovoltaikanlage erreicht werden, die um vieles größer als das Dach des Häuschens ist. Nicht zu vergessen den Stromspeicher, der untergebracht werden müsste.

Was den Anspruch der Nachhaltigkeit angeht, so hat die Verbraucherzentrale ein hartes Urteil gefällt: „Ein Tiny House ist keine ökologische und nachhaltige Form des Wohnens, weil ein solches Gebäude pro Person oder pro Quadratmeter Nutzfläche einen hohen Materialbedarf, einen hohen Flächenbedarf und einen hohen Heizenergiebedarf hat.“ [5] Das hat Christian Handwerk, Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, dem Gebäude-Energieberater gegenüber noch einmal bestätigt. Betreffs des Flächenverbrauchs: Als Grundstücksgröße empfiehlt der Tiny House Verband zwar rund 150 Quadratmeter. Viel kleiner als das normale Grundstück für ein Einfamilienhaus aber falle das fürs Tiny House am Ende nicht aus, so die Verbraucherschützer online.

Zusammenrücken hilft

Als Ferienhaus hat das Tiny House seine Nische gefunden. Ob es als Wohnform eine Antwort auf Wohnungs-, Umwelt- und Klimakrise bietet, bleibt fraglich. Seine Verfechter betonen häufiger den Aspekt der Nachverdichtung – es sei perfekt, um Baulücken zu füllen oder auf Flachdächer bestehender Gebäude gesetzt zu werden. Ob das allerdings zweckdienlicher ist als eine konventionelle Aufstockung, bezweifelt Christian Handwerk von der Verbraucherzentrale.

Doch das Konzept der räumlichen Selbstbeschränkung als solches kann durchaus der sozialen Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz dienen – sobald man die kleinen Wohneinheiten zusammenfasst. Diesen Grundgedanken vertritt in „Kleiner wohnen“ der Architekt Van Bo Le-Mentzel [6], Schöpfer der 6,4 Quadratmeter großen 100-Euro-Wohnung [7]. Viele solcher Mini-Wohneinheiten lassen sich in einem „Co-Being-House“ einrichten. Ob die Selbstbeschränkung so weit gehen muss, mag diskussionswürdig sein. Doch dass gegenwärtig zu große Wohnungen gebaut werden, darüber herrscht Einigkeit unter Architekt:innen, Stadt- und Raumplaner:innen. Rein statistisch beträgt in Deutschland die beanspruchte Fläche pro Person 47,7 Quadratmeter. „Und es geht stramm auf die 50 Quadratmeter zu“, gibt Wember zu bedenken. Ein Zusammenrücken wäre damit eine naheliegende Alternative zum freistehenden Tiny House.

Literatur und Quellen

[1] https://t1p.de/GEB240930

[2] Behörden-Spiegel: Suffizientes Wohnen für Klimaschutz, https://t1p.de/GEB240931

[3] Ralph Wortmann, Klaus Wember, Tim Wenhake: Tiny houses – Ein positiver Beitrag zum Klimaschutz?, https://t1p.de/GEB240932

[4] Forschungsinstitut für Wärmeschutz: Metastudie Wärmedämmung,
https://t1p.de/GEB240933

[5] Verbraucherzentrale NRW: Kleiner wohnen heißt nicht nachhaltiger leben,
https://t1p.de/GEB240934

[6] Van Bo Le-Metzel: Kleinstwohnungen first!, in: Kleiner wohnen 2024/2025, S.81 ff

[7] Van Bo Le-Mentzel: 100-Euro-Wohnung, https://t1p.de/GEB240935

[8] Jan Finzi, Janine Kuhnt: Tiny Houses als Symbole von Selbstverwirklichung und ­Solidarität auf der Prämisse von Selbstaktivierung, https://t1p.de/GEB240936

Bei allem Minimalismus sollen Tiny Houses doch Gemütlichkeit bieten. In diesem Minihaus soll vor allem der Stückholz-Kaminofen dazu beitragen.

Bild: Jürgen Rösner / Messe Karlsruhe

Bei allem Minimalismus sollen Tiny Houses doch Gemütlichkeit bieten. In diesem Minihaus soll vor allem der Stückholz-Kaminofen dazu beitragen.
Der Heizwärmebedarf pro Quadratmeter fällt bei Tiny Houses sehr viel höher aus als bei Immobilien mit verschiedenen energetischen Standards.

Bild: Wortmann & Wember / GEB

Der Heizwärmebedarf pro Quadratmeter fällt bei Tiny Houses sehr viel höher aus als bei Immobilien mit verschiedenen energetischen Standards.

Selbstverwirklichung im Minihaus

Ein gewisser Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit kennzeichnet die Tiny-House-Bewegung. Ihre Vertreter:innen sehen die kleinen Häuschen vor allem als einen Weg aus der Wohnungskrise. In der Realität allerdings sind es nicht die einkommensschwachen Gruppen oder die Wohnungslosen, die ihr Tiny House bekommen, sondern die Mittel- bis Gutverdienenden. Aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive ist das wenig überraschend: Die Tiny-House-Begeisterten drücken laut einer Forschungsarbeit von 2021 einerseits mit dem demonstrativ bescheidenen, minimalistischen Wohnen ihre echte Solidarität mit den von Wohnungsnot Betroffenen aus. Andererseits geht es ihnen in hohem Maße um Selbstverwirklichung. Sie wollen für sich einen authentischen Lebensstil realisieren, einen der Freiheit und Unabhängigkeit [8]. Ebenso jedoch dürfte der Wunsch nach Überschaubarkeit in einer vermeintlich immer komplexeren Welt eine Rolle spielen.

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