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Die Rolle der Gebäudehülle für die Effizienzstrategie

Nicht alles über einen Kamm scheren!

Bezogen auf diese Bauministerkonferenz habe ich mich ein wenig geärgert, dass sich informierte -Fachleute wie Minister so äußern, denn „Gebäudedämmung“ kennt das Gesetz so gar nicht – es kennt nur wärmeübertragende Umfassungsflächen.

Jan Peter Hinrichs ist Geschäftsführer des BuVEG. In dem Verband haben sich die unterschiedlichen an der Gebäudehülle beteiligten Gewerke zusammengeschlossen.

Bild: BuVEG

Herr Saam, der Gebäudesektor hat als Einziger die Sektorziele für 2020 verfehlt. Nun hat die Bauministerkonferenz beschlossen, dass in einem novellierten Gebäudeenergiegesetz (GEG) nicht mehr vordringlich die Anforderungen an die Gebäudedämmung maßgeblich sein sollen, um den Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen zu senken. Es genügt also eine dünnere Jacke, wenn man mehr auf regenerative Energien setzt bzw. die Verbräuche ganzer Quartiere bilanziert anstatt einzelner Gebäude? Ist das nicht Augenwischerei?

Wolfgang Saam: Also, wir brauchen die Effizienz, die Erneuerbaren und darüber hinaus die Optionen aus dem Wasserstoffbereich. Die Anforderungen an die Gebäudehülle scheinen aus unserer nutzerorientierten Perspektive, also aus Sicht der Gewerbeimmobilienbesitzer und Projektentwickler, aber auch der Wohnungsgesellschaften, schon sehr weit zu sein. Auf der anderen Seite besteht erheblicher Nachholbedarf, um unsere Wärmenetze zu dekarbonisieren. Da müssen vordringlich die Kommunen stärker ran – diese Netze sind erst zu schaffen, und dann müssen die neuen Quartiere integriert werden. Auch wenn es ein Zukunftsthema ist, und weil es richtigerweise auch bereits im Koalitionsvertrag steht: Wo nicht elektrifiziert werden kann, sollte schon heute Wasserstoff mitgedacht werden. Für den Übergang muss der nicht zwingend grün sein. Wir brauchen für die nächsten 15 Jahre eine gewisse Brückenfunktion, denn in wie viel Millionen Wohnungen sind noch Gas-Brennwertthermen verbaut? Ich glaube es ist es wichtig, die Hülle zu optimieren, aber eben auch weit darüber hinaus zu denken. Wir gehen eher in die Richtung Quartiersansätze, also vom einzelnen Gebäude weg. Es kann nicht darum gehen, hier noch die letzte Kilowattstunde einzusparen und dort die letzte optimierte Gebäudehülle zu sanieren. Entscheidend ist doch: Wie kriege ich das im Quartiersansatz kosteneffizient und technologieoffen hin? Aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive erscheint es uns zielführender, die betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten zu minimieren.

Jan Peter Hinrichs: Bezogen auf diese Bauministerkonferenz habe ich mich ein wenig geärgert, dass sich informierte Fachleute wie die Bauminister so äußern, denn „Gebäudedämmung“ kennt das Gesetz so gar nicht – es kennt nur wärmeübertragende Umfassungsflächen. Das impliziert nicht nur Dämmung, sondern wesentlich mehr. Also eben auch Fenster und andere Bauteile. Es ist immer noch so, dass die Gebäudehülle eine Nebenanforderung ist. Die Hauptanforderung des GEG ist die Primärenergie. Übrigens: Was Herr Saam gesagt hat, finde ich absolut richtig. Man sollte sich genau überlegen, wie man denn Gebäude überhaupt gruppiert. Tatsächlich haben Nichtwohngebäude, wenn man sie genauer anschaut, ganz andere Bedürfnisse als ein Wohnhaus. Es ist aber unstrittig, dass sie ebenfalls eine gute Gebäudehülle brauchen. Hingegen alle Gebäude über einen Kamm zu scheren, ist sicher falsch.

Größter Problemfall für die Energie- und Wärmewende ist zweifellos der Bestand. Um diesen auf Effizienzhausstandard 70 oder 55 zu bringen, braucht es erhebliche Investitionen in Konzepte, und zwar in Gebäudehülle und Gebäudetechnik gleichermaßen. Diese beiden Pfade gegeneinander auszuspielen, bedeutet für die Energieberatung doch wohl einen Bärendienst, oder?

Hinrichs: Der Gebäudebestand wird überhaupt nur sehr geringfügig im GEG abgedeckt. Es wäre sicher sinnvoll, hier noch einmal einen genaueren Fokus auf den Bestand zu richten, da sich der Großteil mit dem Neubau beschäftigt. Aber die Gebäudehülle gegen Erneuerbare oder gegen Anlagentechnik auszuspielen, macht in der Tat gar keinen Sinn. Wirklich zielführend ist hier das Miteinander. Vieles davon, was wir in Zukunft wollen, setzt eine gute Gebäudehülle voraus, damit Anlagentechnik und auch erneuerbare Energien anständig funktionieren. Dass diese immer dort und dann zur Verfügung stehen, wenn sie benötigt werden, wird die Herausforderung der Zukunft sein. Die Verfügbarkeit der erneuerbaren Energie wird ein wenig überschätzt, deren Kosten werden hingegen unterschätzt.

Saam: Das ist richtig. Efficiency first ist ein Baustein. Schon rein physikalisch-naturwissenschaftlich. Der Markt der erneuerbaren Energien ist sehr ambitioniert, deswegen ist es umso klüger, gewisse Optionen wie Wasserstoff im Fokus zu behalten, egal wo er irgendwann erzeugt wird. Auch wenn wir ein dafür geeignetes Gasnetz haben, heißt das nicht, dass das alles schon technologisch möglich ist. Man könnte zum Beispiel langfristig profitieren – denken Sie nur an die Rechenzentren in verdichteten Gebieten.

Efficiency first ist ein Baustein. Lasst uns technologieoffen bleiben und nicht zu schnell Pfade verschließen.

Seit dem 1. -September 2021 leitet Wolfgang Saam die Abteilung „Klimaschutz-, Energiepolitik und Nachhaltigkeit“ beim ZIA.

Bild: ZIA

Im Gebäudebestand – vorzugsweise bei den zahlreichen Nachkriegsbauten der 1950er- und 1960er-Jahre – haben wir aber nicht nur fehlende Dämmung, sondern auch veraltete Technik. Diese zu erneuern ist kaum sinnvoll, ohne auch die Hülle anzufassen. Wie lässt sich der Bestand denn möglichst rasch effizient machen, wenn man die Dämmung nicht mehr priorisiert, wie das die Bauminister beschlossen haben?

Saam: Aus der Nutzerperspektive kann man sicherlich sagen, es ist schwierig, nur die Neubauanforderungen hochzuschrauben. Das sehen wir in Bezug auf die Hülle kritisch. Das ist aus unserer Sicht zu wenig systemisch gedacht und lässt außerdem die Standortfaktoren außer Acht, aber auch die Immobilienart und die Nutzungstypologie. Da benötigen wir eher differenziertere Lösungen als „one size fits all“. Es kommt darauf an, dass man alles zusammen denkt.

Hinrichs: Nochmal: Ich glaube, ganz wichtig ist tatsächlich, dass man bei dem Thema nicht alles über einen Kamm schert. Ein- oder Zweifamilienhäuser sind mit einer größeren Büroimmobilie nicht vergleichbar. Die Voraussetzungen sind vollkommen verschieden. Büroimmobilien haben in der Regel einen professionellen Betreiber. Der ist intrinsisch schon daran interessiert, dass alles zusammen super funktioniert. Das ist bei einem Einfamilienhausbesitzer etwas anders, weil der Eigentümer oft nicht weiß, wie das alles zusammenhängt. Ganz speziell bei der immer ambitionierteren Technik, die heutzutage eingebaut wird. Von den insgesamt 15 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser liegen 6,4 Millionen in den schlechtesten Effizienzklassen – das ist ein Drittel! Da müssen wir zuerst einmal ran. Deren Technik ist noch von Vorgestern, in den Heizkellern wummern noch alte Öl- und Gaskessel. Wenn man diese Immobilien nun mit dem Wissen um die Klimaschutzziele 2045 saniert, dann richtig, denn zweimal anfassen kostet doppelt Geld. Das erkennt jeder, der wirtschaftlich denken kann. Wichtig ist aber auch, die Kategorien voneinander zu trennen. Nichtwohngebäude haben andere Anforderungen als Ein- und Mehrfamilienhausbesitzer.

Aber was wäre denn nun konkret einem Eigentümer eines Gebäudes aus den 1950er- oder 1960er-Jahren zu raten? Die Wasserstofftechnologie ist auf Jahre hinaus noch nicht marktreif. Und eine Wärmepumpe einzubauen, ohne die Hülle anzufassen – ist das vertretbar?

Hinrichs: Jedes Gebäude ist individuell. Ich sage in so einem Fall: Holen Sie sich einen Energieberater, der kann alle Möglichkeiten aufzeigen. Wenn Sie ein Auto kaufen gehen, lassen Sie sich doch auch beraten. Es sind immer Einzelfallentscheidungen, die zu treffen sind. In Zukunft ist durchaus in vielen Fällen eine Wärmepumpe die Lösung, wenn man denn die Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Die Experten streiten sich darüber, ob ich bei einem Einfamilienhaus eine Effizienzanforderung stellen muss, bevor ich eine Wärmepumpe einbaue. Aber nicht, weil sie nicht funktioniert, sondern weil den Bewohnern sonst die Nebenkosten durch die Decke schießen. Im verdichteten Stadtraum ist hierzu unbedingt eine Wärmeplanung nötig, was Herr Saam auch angesprochen hat. Da sollte man sich genau anschauen, welche Optionen und Möglichkeiten es gibt. Ich bin noch sehr vorsichtig mit Wasserstoff. Bis 2030 werden wir das im Gebäudebereich weitestgehend nicht sehen, glaube ich.

Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen hat untersucht, was die Kostentreiber für energieeffizientes Bauen sind. Demnach sinkt der Kostenanteil von Dämmung mit höheren Effizienzstandards drastisch. Die gestiegenen Effizienzstandards haben zwischen 2000 und 2017 die Baukosten um 182 Euro/m² Wohnfläche verteuert – davon entfielen nur 25 Euro auf Dämmarbeiten, also 13,7 Prozent. Und eine Dämmung erfüllt ihre Funktion mit 50 bis 80 Jahren deutlich länger als die viel kurzlebigere Technik. Ein WDVS lässt sich überdies bei einer Sanierung aufdoppeln, eine Heizung muss ich komplett austauschen. Das spricht nicht gerade dafür, die Technik weiter zu Lasten der Dämmung zu forcieren. Zumal, das BEG fördert die Heizung bis zu 45 Prozent, die Dämmung mit 20 Prozent. Insofern läuft’s beim Förderhebel doch schon in die von der Bauministerkonferenz geforderten Richtung. Oder?

Hinrichs: Also die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in Kiel untersucht im Großen und Ganzen nur Mehrfamilienhäuser, kaum Einfamilienhäuser. Das Problem an der ganzen Sache ist: Wir wissen nicht so ganz genau, wie es denn in Zukunft im Hinblick auf die Energiekosten, die Verfügbarkeit und sonstigen Kosten laufen wird. Daher finde ich es ein wenig gewagt, von einer Kostenberechnung auf Basis von Mehrfamilienhäusern auf den gesamten Bestand Rückschlüsse zu ziehen. Zumal diese auch nur einen kleinen Teil des gesamten Bestandes ausmachen. Ein ganz wichtiger Punkt ist hier der Ausgangszustand. Bei den Mehrfamilienhäusern wurde - gerade in Ostdeutschland - in den letzten Jahren schon sehr viel gemacht. Der Wohungswirtschaftsverband GdW hat dazu ein sehr gutes Papier veröffentlicht, das zeigt, dass bei Mehrfamilienhäusern bereits ein sehr guter Standard erreicht ist, der aber für 2045 nicht ausreicht. Jetzt ist es natürlich schwer zu entscheiden: Was macht man jetzt? Ertüchtige ich noch einmal die Hülle, oder versuche ich die Versorgungssysteme zu ändern, sie zu dekarbonisieren, um nachher das Gebäude mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Das ist ein Blick in die Glaskugel, weil man die Energiekosten in zehn Jahren nur schwer abschätzen kann. Steigen die Kosten deutlich an, hat man eine Fehlinvestition getätigt.

Saam: Dass fossile Energien steigen, ist ja klar, allein schon durch die CO₂-Bepreisung und den europäischen Emissionshandel, in den ja auch die Gebäude integriert werden sollen. Deswegen kann ich bei den erneuerbaren Optionen insbesondere im Strombereich die künftigen Kosten wesentlich besser kalkulieren. Ich kenne erstens die Investitionskosten, zweitens die Förderung. Und wenn ich auf Eigenverbrauch setze, kopple ich mich ja von gewissen Preisentwicklungen ab.

Hinrichs: Nun, mit Photovoltaik kann ich nur über die Sommermonate den eigenen Verbrauch decken. In den sieben Monaten, in denen wir in Deutschland heizen, nützt mir die PV-Anlage wenig, um mich vom Stromnetz abzukoppeln. Mir ist noch kein elektrischer Speicher bekannt, der in der Lage wäre, mich über so einen langen Zeitraum zu retten. Mit der Volatilität werden sich die Strompreise sehr unterschiedlich entwickeln. Wir werden in den Wintermonaten relativ hohe Stromkosten haben, was es schwierig macht, diese Zukunftsentscheidung zu treffen. Irgendwo müssen die sommerlichen Erträge ja gespeichert werden, und dieses Speichern könnte unheimlich teuer werden. Wenn dann in den sieben Monaten alle auf Wärmepumpenstrom setzen, kann das problematisch werden. Auch die BMWi-Langzeitstrategie macht deutlich: Es sind schwierige Entscheidungen, die anstehen und die man treffen muss. Also ich würde da immer zuerst auf die Effizienz setzen - mich allein auf die Versorgung mit erneuerbaren Energien zu bezahlbaren Kosten zu verlassen, das ist mir zu heiß. Diese Eigenverbräuche sind ein kritisches Thema.

Saam: Die großen Unternehmen denken da ganz anders. Handelsunternehmen oder große Bestandshalter im Wohnungsbereich betrachten stets ihr gesamtes Portfolio. Je größer und internationaler die sind, desto mehr investieren sie direkt in Erneuerbare. Auch wenn sich das alles nur bilanziell auswirkt: Die gewerblichen Flächen bieten einfach mehr Optionen, aber natürlich bleibt bei Solarstrom die angesprochene Speicherproblematik. Wenn ich regional diversifiziere, schlägt sich das nur bilanziell im Konzerngewinn nieder, wenngleich hier die CO₂-Bilanzierung immer stärker in den Fokus rückt. Eine Kilowattstunde in Südafrika fließt dann erst mal dort ins Netz, ist also nicht direkt bei uns abgreifbar – und schon streifen wir die globalen Energiemarktprobleme. Professionelle Betreiber verfügen hinsichtlich der Konzeptentscheidungen über weitaus größere Systeme und können zum Beispiel Abwärmepotenziale nutzen, die haben technologisch und investiv ganz andere Möglichkeiten. Daher: Wir müssen viel stärker differenzieren bei den Instrumenten.

Es gilt doch grundsätzlich: Je besser die Hülle, je weniger der Energiebedarf. Dass zuerst die Hülle zu optimieren ist, bevor ich mir die Technik genauer anschaue, gilt doch für alle Immobilien. Es geht doch um die Randbedingungen.

Saam: Sicherlich, aber die Verbrauchsoptimierung gehört eben auch zur Energieeffizienz. Eine gute Hülle eröffnet mehr Optionen in der TGA und bietet somit bessere Chancen für Erneuerbare. Ich appelliere: Lasst uns technologieoffen bleiben und nicht zu schnell Pfade verschließen.

Hinrichs: Ich kann zu dem Ergebnis der Bauministerkonferenz nur noch einmal sagen: Es ist bedauerlich, dass die Damen und Herren ihr Gesetz nicht kennen. Andere Ministerien denken da ganz anders drüber. Nichtsdestotrotz ist dieses Signal für Energieberater fatal. Effizienzmaßnahmen sind die Voraussetzung, um die Klimaziele zu erreichen.

Ich resümiere: Es bleibt spannend! Herr Hinrichs, Herr Saam – herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch!

Nur die Neubauanforderungen hochzuschrauben, sieht der ZIA in Bezug auf die Hülle kritisch, weil zu wenig systemisch gedacht.

Bild: WestPic - stock.adobe.com

Nur die Neubauanforderungen hochzuschrauben, sieht der ZIA in Bezug auf die Hülle kritisch, weil zu wenig systemisch gedacht.


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https://www.geb-info.de/themen/gebaeude-und-energiekonzepte

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