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Die negative Perspektive der Energieberatung

Man muss auch „Nein“ sagen ­können

Was ist zu tun? Was kann getan werden? Die Explosion der Energiepreise und die drohenden Engpässe in der Versorgung lösen bei vielen Kunden in der Energieberatung den Wunsch nach Handlungen aus. Keiner möchte wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange starren. Verbesserungen aktiv herbeizuführen, erscheint immer besser, als eine Entwicklung passiv zu erwarten. Aus diesem Grund werden Energieberater beauftragt. Sie sollen aufzeigen, wie und wo gehandelt werden soll, wobei der Zeitpunkt ohnehin festzustehen scheint: so schnell wie möglich.

Energieberater möchten ihre Beauftragung rechtfertigen, gegenüber den Kunden als auch gegenüber sich selbst, ihren Auftrag erfüllen, ihr Geld wert sein. Ist jedoch immer Handeln die richtige Option? Kann nach einer gründlichen Prüfung nicht die Erkenntnis stehen, dass zumindest in absehbarer Zukunft keine Aktionen durchgeführt, allenfalls geringe, vielleicht keine Investitionen getätigt werden? Angesichts langer Wartezeiten bei der Beauftragung von Handwerkern und unverändert steigenden Kosten vielleicht der richtige Hinweis. Wie aber könnte dies dem Auftraggeber erklärt werden? Ist eine solche Empfehlung überhaupt ihr Geld wert? Könnte darauf der Auftraggeber nicht selber kommen?

Keiner kann mit Gewissheit die Entwicklung der Energieversorgung, der Preise und der Versorgungssicherheit vorhersagen. Ein grundsätzliches Problem besteht jedoch bei allen Vorhersagen: Schlechte Dinge, die nicht passiert sind, sind wesentlich schwieriger zu quantifizieren als gute Dinge, die passiert sind.

Häufig werden Energieberater von Kunden beauftragt, die ohnehin bereits ein großes Bewusstsein beim Energieverbrauch erreicht haben. Kann dann nicht sogar die „Verschlimmbesserung“ drohen? Vielleicht reduzieren bestimmte Maßnahmen noch minimal den Energieverbrauch, stellen sich letztendlich aber als wirtschaftlich unsinnig heraus?

Populäre Perspektiven

Ein Blick auf die populären Veröffentlichungen über „Erfolge“,
sowohl einzelner Menschen als auch von Unternehmen, weist eindrucksvoll auf die Popularität des positiven Wissens hin. Immer wieder bis regelmäßig gelangen Erfolgsstories an die Spitze der Bestsellerlisten. Das mediale Dauerfeuer, in Büchern wie auch populären Wirtschaftsmagazinen bis hin zu den Versprechen der Berater, setzt auf das Credo des ­positiven Wissens. Unabhängig davon, ob es um finanziellen Erfolg, körperliche Leistungsfähigkeit oder die Energieversorgung bzw. -verbrauch geht.

„Wir wissen es“ und „Wir können es“ schallt es allerorten nicht ohne Wirkung auf den Einzelnen. Trotz aller Komplexität des Lebens erfreuen sich „Kochrezepte“ unveränderter Popularität. Eine andere Perspektive einzunehmen ist nicht einfach, bedarf zumindest der stringenten Begründung, nicht nur gegenüber den externen Ansprechpartnern, sondern auch innerhalb des eigenen Berufsfeldes. Der Handelnde wird geschätzt, nicht die Abwägende, die Macherin, nicht der Zögernde. In Stellenprofilen wird eine hands-on-Mentalität eingefordert, wo eine hands-off-Einstellung zumindest in bestimmten Fällen und Situationen die bessere Alternative wäre.

Diese Situation wird kein Energieberater grundsätzlich verändern. Damit liegt ein Grund vor, warum sie sich bei Projekten unwohl fühlen, die neben dem „Ja“ auch ein „Nein“ enthalten, unsicher sind und versuchen, dem Kunden doch irgendetwas anzubieten. Dabei wäre es viel zielführender und besser, das erforderliche Selbstbewusstsein aufzubauen, eine manchmal notwendige Ablehnung argumentativ begründen und offensiv vertreten zu können.

Robustes Wissen

Menschen fällt es leichter, negatives Wissen zu generieren und zu nutzen, als positives Wissen zu schaffen. Menschen wissen eher, was nicht ist als was ist. Sie verstehen leichter, was falsch ist als was richtig ist. Sie kennen das Wort „Durst“, aber nicht das Gegenteil davon. Legen im Straßenverkehr häufig Höchstgeschwindigkeiten, selten aber Mindestgeschwindigkeiten fest. Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper entwickelt in seinem Konzept des „Kritischen Rationalismus“ einen theoretischen Unterbau dieser Perspektive. Der Finanzmathematiker und philosophische Essayist Nassim Nicholas Taleb [1] greift dieses Konzept in seinem Buch „Antifragilität“ auf: Wenn ich einen einzigen schwarzen Schwan sehe, kann ich mit Sicherheit aussagen, dass nicht alle Schwäne weiß sind, aber selbst, wenn ich noch nie einen schwarzen Schwan gesehen haben, kann ich nicht behaupten, dass alle Schwäne weiß sind. Fehlschläge sind informativer als Erfolge, negatives Wissen ist nicht perfekt, aber es ist robust.

Die oben angesprochenen Veröffentlichungen über beziehungsweise von Spitzenmanagern weisen eine Ausnahme auf: Thomas Middelhoff. Dessen Scheitern erlangte wegen der Verbüßung einer Haftstrafe und seiner privaten Insolvenz Aufmerksamkeit. Hier lässt sich erneut die Bedeutung des negativen Wissens aufzeigen: Middelhoff hätte seine persönlichen Probleme vermeiden können, indem er bestimmte Handlungen unterlassen hätte.

Die Beispiele zeigen: Energieberater können durchaus selbstbewusst eine negative Sichtweise vertreten. „Fußballspiele werden in der Offensive gewonnen, Meisterschaften in der Defensive“, heißt es nicht zu Unrecht.

Praktische Umsetzung

Die Umsetzung erscheint einfach, allen praktischen Herausforderungen zum Trotz öfter mal „Nein“ sagen. Laut und vernehmlich, offensiv anstatt verschämt. Mag der Kunde über notwendige finanzielle Mittel verfügen, sucht, ja giert er geradezu nach einer Investition, um seinen Energieverbrauch weiter nach unten zu bewegen: Was unsinnig ist, bleibt unsinnig. Dabei bedeutet die negative Perspektive nicht Passivität. Bestimmte Handlungen weglassen ist schnell umsetzbar und führt zu entsprechenden Ergebnissen. Manche Kunden sind jedoch eher bereit, möglichst sofort viel Geld zu investieren als passiv auf bestimmte Handlungen zu verzichten. Dies ist nicht verboten – wer mag, soll so vorgehen, und auch ein Energieberater kann diese Prozesse begleiten.

Allerdings sollte bereits zu Beratungsbeginn ein Hinweis von Nassim Taleb weitergegeben werden, der feststellt, woran man einen Scharlatan erkennt: Ein solcher gibt ausschließlich positive Ratschläge, sagt seinem Auftraggeber nur, was dieser tun, nicht aber, was er lassen soll. Oder, um es mit dem Dichter Wilhelm Busch auszudrücken: „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.“

Literatur und Quellen

[1] Nassim Ticholas Taleb, Antifragilität, Albrecht Knaus Verlag, 2013

Bei einer Energieberatung kann es durchaus dazu kommen, dass die Vorstellungen und Wünsche des Kunden eher zu einer Verschlimmbesserung führen. Dann sollte der Energieberater den Mut haben, abzuraten.

Bild: Maik Meid - stock.adobe.com

Bei einer Energieberatung kann es durchaus dazu kommen, dass die Vorstellungen und Wünsche des Kunden eher zu einer Verschlimmbesserung führen. Dann sollte der Energieberater den Mut haben, abzuraten.
Thomas Schneider
ist Diplom-Kaufmann und verantwortet die ­Compliance bei einem mittelständischen Stahl­großhändler in Essen.

Bild: Thomas Schneider

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