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Vom Gebäudemodell zum Digitalen Zwilling

Datenschätze heben

In der Planungsphase eines Gebäudes werden akribisch die unterschiedlichsten Daten der verschiedenen Gewerke zusammengetragen, immer wieder aktualisiert und mit zusätzlichen Details angereichert. Wo verlaufen die Lüftungs­kanäle? Welche haustechnischen Geräte werden verbaut? Wie groß ist die Fensterfläche, wie hoch die Heizlast? Praktisch alles, was die Projektbeteiligten wissen müssen, um das energetische Verhalten eines Gebäudes zu beschreiben, ist in einem 3-D-Modell hinterlegt, geometrisch sauber strukturiert.

Doch während des Baus oder spätestens bei der Fertigstellung reißt der Datenfluss häufig ab. Späte Änderungen werden in der Praxis bisweilen gar nicht mehr in das BIM eingepflegt. Auch Datenblätter und Seriennummern werden selten verknüpft. Meist werden sie einfach in Excellisten gesammelt oder in Ordnern im Dateimanager abgelegt. Sie landen in einem digitalen Archiv, auf das nur wenige Menschen Zugriff haben – wenn sie die Daten überhaupt noch finden können.

Auch der Betrieb von modernen Gebäuden mit komplexer Technik funktioniert heutzutage in hohem Maße digital. Computer Aided Facility Management (CAFM) ist weit verbreitet. In manchen Fällen hilft sogar ein Digitaler Zwilling, den Betrieb zu optimieren. Doch bisher verfügen die digitalen Welten vor und nach der Fertigstellung des Gebäudes nur selten über eine Schnittstelle. Auf diese Weise verschwinden wertvolle Datenschätze im virtuellen Nirvana.

Plattform optimiert Gebäudebetrieb mit Planungsdaten

Mit Building Twin haben die beteiligten Partner nun eine offene Plattform entwickelt, um Building-Information-Modeling-Daten (BIM-Daten) direkt in die Betriebsphase eines Gebäudes übernehmen zu können. Die Software funktioniert internetbasiert, sodass der Zugang leichtfällt und auch vom Smartphone oder Tablet aus möglich ist. Dabei setzt das Team von AEE Intec auf den etablierten und offenen BIM-Standard IFC, mit dem sich Daten zwischen BIM-Anwendungen verschiedener Hersteller austauschen lassen. Neben dem österreichischen Forschungsinstitut beteiligten sich die Bundesimmobiliengesellschaft, die steirische Landesimmobiliengesellschaft, das Versorgungsunternehmen Energie Steiermark, die Planungsbüros Nussmüller Architekten und pde Integrale Planung sowie der Baukonzern Porr Bau. Das Projekt leitete die Österreichische Bautechnik Vereinigung.

Nutzerinnen und Nutzer können bei Building Twin nicht nur 3-D-Ansichten eines Gebäudes aufrufen, sondern ebenso Änderungen eingeben, was schon in der Bauphase hilfreich sein kann. So können beispielsweise Fachunternehmen auch ohne spezielle BIM-Software die Datenblätter der von ihnen verbauten Komponenten direkt in das System hochladen. Das vereinfacht später die Wartung und die Fehlersuche. Mit einem flexiblen Berechtigungsmanagement lässt sich sicherstellen, dass der Zugriff auf das nötige und sinnvolle Maß begrenzt bleibt.

Im Betrieb lassen sich die Echtzeitdaten aus verschiedensten Quellen sammeln, aufbereiten und analysieren. Die Plattform kann unterschiedliche Protokolle lesen, unter anderem BACnet, HTTP oder MQTT. Beim Nachrüsten im Bestand bietet es sich an, die verschiedenen Datenquellen im Gebäude über ein LoRaWAN-Netzwerk (engl. Long Range Wide Area Network) zu verbinden, denn es kann Daten über mehrere Kilometer übermitteln. So genügt es, nur an einer Stelle einen Internetzugang einzurichten.

Visualisierung der CO₂-Messwerte in einem 3-D-BIM-Modell. Die Funktionsbezeichnung der Räume stammt aus BIM-Daten. So lässt sich auf einen Blick erkennen, wo und wann CO₂-Spitzen in der Raumluft auftreten.

Bild: AEE Intec

Visualisierung der CO₂-Messwerte in einem 3-D-BIM-Modell. Die Funktionsbezeichnung der Räume stammt aus BIM-Daten. So lässt sich auf einen Blick erkennen, wo und wann CO₂-Spitzen in der Raumluft auftreten.

Gebäude intuitiv verstehen können

Da die BIM-Daten bereits ein dreidimensionales Gerüst bieten, können die Messwerte nicht nur in Form von Zeitreihen, sondern auch in 3-D-Grafiken angezeigt werden. Das hilft, das Gebäude intuitiv besser zu verstehen. Farben und Grenzwerte der Visualisierung lassen sich frei einstellen, um unterschiedlichen Anwendungen gerecht zu werden. Da die Echtzeitdaten und die Planungswerte im selben System hinterlegt sind, lassen sich Abweichungen schnell aufspüren.

Auch Bild- und Videoformate lassen sich hochladen und räumlich zuordnen. Auf diese Weise kann man leicht verfolgen, wie sich die Eigenschaften im Laufe der Zeit verändern und Daten sind schnell auffindbar. Im Backend können die Dateien je nach den Ansprüchen und Präferenzen der Nutzergruppe auf einem lokalen Server oder in der Cloud abgelegt werden.

Neben der räumlichen Struktur sind die Daten in sogenannten Gruppen geordnet, zum Beispiel Energieverbräuche oder Temperaturen. Auch auf diesem Weg lassen sich schnell und intuitiv Daten finden, die wiederum analysiert werden können. Über eine Web-API lassen sich auch externe Daten importieren. Das können zum Beispiel aktuelle oder prognostizierte Wetterdaten sein, oder auch Daten aus einer parallel ablaufenden Simulation, wie zum Beispiel die gefühlte Temperatur an einem Arbeitsplatz.

Wie’s funktioniert

Eine mögliche Anwendung zeigt das Bürogebäude eines Projektpartners, das nachträglich mit Sensoren für Temperatur und CO2-Konzentration ausgestattet wurde. Um immer für eine gute Luftqualität zu sorgen, startet die Lüftung automatisch, sobald der CO2-Gehalt einen bestimmten Schwellenwert – zum Beispiel 900 Parts per million (ppm) – überschreitet. Sinkt der Messwert unter 500 ppm, schaltet die Lüftung ab.

Gleiches Gebäude, andere Anwendung: Im Sommer kann nächtliches Lüften helfen, das Gebäude kühl zu halten und Energie für die Klimatisierung zu sparen. Liegt die Bürotemperatur nachts über dem Sollwert und ist zugleich die Außentemperatur geringer, springt die Lüftung an. Die auf diese Weise erreichten Werte lassen sich im Building Twin darstellen.

Diese Regelung hätte sich grundsätzlich auch mit einer „normalen“ Gebäudesteuerung umsetzen lassen. Erst durch den Einsatz von Building Twin fiel aber auf, dass die vom Wetterdienst gemessene Umgebungstemperatur mit der des außenliegenden Gebäudesensors gut übereinstimmt. Durch das Nutzen externer Daten ließe sich somit ein Sensor einsparen.

Durch die Verknüpfung der Messwerte mit den 3-D-Daten werden weitere Optimierungen deutlich einfacher. Für Büros kann man zum Beispiel eine andere Lüftungssteuerung festlegen als für einen Lagerraum. Und indem man die Daten der Lüftungssteuerung mit denen des Strom- und Wärmemengenzählers verknüpft, lässt sich herausfinden, wie sich eine gute Frischluftzufuhr mit möglichst niedrigem Energiebedarf erreichen lässt.

Das Projekt Building Twin endete im März 2024. Die Plattform kann als Grundlage für weitere Projekte verwendet werden, in denen sie für spezielle Anwendungen weiterentwickelt wird. Interessierte Unternehmen können sich für eine Demonstration oder weitere Zusammenarbeit in einem Folgeprojekt an das Team von AEE Intec wenden.

Architektur der Building Twin-Internetplattform: Das Frontend ist von jedem Gerät mit Webbrowser zugänglich. Zum Backend gehören neben dem Application Server die Datenbank und die Schnittstellen zu anderen Programmen. Der Server kann lokal oder in der Cloud verortet sein.

Bild: AEE Intec

Architektur der Building Twin-Internetplattform: Das Frontend ist von jedem Gerät mit Webbrowser zugänglich. Zum Backend gehören neben dem Application Server die Datenbank und die Schnittstellen zu anderen Programmen. Der Server kann lokal oder in der Cloud verortet sein.
Dr. Andreas Riffnaller-Schiefer
promovierte in Informatik an der Technischen Universität Graz. Dort forschte er an Geometrieverarbeitung sowie an Anwendungen für Augmented und Virtual Reality. Seit 2021 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei AEE Intec an der digitalen Verarbeitung und Visualisierung von Gebäuden.

Bild: AEE Intec

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