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Energiepolitik in der Diskussion

Energiewende vor dem Stillstand?

Ernüchtert – so kann man im besten Falle die Reaktionen auf die ersten 100 Tage der schwarz-roten Regierungskoalition zusammenfassen, wenn es um die Energie- und Wärmewende geht. Zwar gibt es an der einen oder anderen Stelle auch Lob. Doch die Kritik überwiegt.

Ein großer Aufreger: Die Entlastung bei der Stromsteuer kommt zwar – aber nicht für alle. Dies widerspricht dem, was im Wahlkampf versprochen und im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. „Dass die Stromsteuer für private Haushalte nicht gesenkt wurde, ist ein klarer Wortbruch“, sagt Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Damit riskiere die Bundesregierung das Vertrauen der Menschen zu verspielen. „Ein einseitiger Fokus auf die Interessen von Unternehmen, wie etwa bei der Stromsteuer, enttäuscht Verbraucherinnen und Verbraucher.“

Aber nicht nur das Vertrauen der Bürger wird damit beschädigt. Eine Senkung der Stromsteuer hätte Technologien wie der Wärmepumpe im Wettbewerb mit Gas- und Ölheizungen einen weiteren Vorteil verschafft. Stattdessen spielt man mit der Abschaffung der Gaspreisumlage den fossilen Energieträgern einen zusätzlichen Trumpf zu.

Da fragen sich viele, ob es auch weiterhin ein klares Bekenntnis für die Erneuerbaren gibt. Beide Maßnahmen sorgten für Unklarheit beim Energiewendekurs, kritisiert etwa der Zentralverband der deutschen Elektro- und informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht zwar die Abschaffung der Gasumlage und die reduzierte Stromsteuer als sinnvolle Initiativen, um die Energiekosten zu senken. Aber auch er betont, dass die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß unbedingt für alle gelten müsse, um Elektrifizierung und Sektorenkopplung voranzubringen.

Verbraucherschützer befürchten steigende Strompreise

Eine mögliche Hin- oder auch Rückwendung zum Energieträger Gas erregt die Gemüter. So befürchtet der Verbraucherzentrale Bundesverband, dass sich mit den geplanten Subventionen für Gaskraftwerke die Strompreise für private Haushalte sogar erhöhen könnten – falls die Kosten auf die Stromkunden umgelegt werden. „Damit würden die Strompreise weiter steigen, statt zu sinken – das ist Politik an den Lebensrealitäten der Menschen vorbei“, heißt es in einer Mitteilung des Verbands.

Der befürchtete Gas-Rollback ist einer der Gründe für das vernichtende Urteil, das die Deutsche Umwelthilfe der Bundesregierung nach 100 Tagen ausstellt. Zentrale Maßnahmen seien in sämtlichen Bereichen verschleppt oder sogar rückabgewickelt worden. „Besonders hart unter dem Regierungswechsel leidet die Energiewende“, sagt Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Er kritisiert „die überdimensionierten Ausbaupläne für Gaskraftwerke genauso wie den Versuch, die Rahmenbedingungen für private Solaranlagen so unattraktiv wie möglich zu machen“.

Kampf um die Einspeisevergütung

Mit diesem Rundumschlag nennt er gleich weitere Punkte, die für viel Diskussionsstoff sorgen. Dazu zählt die Einspeisevergütung von privater Photovoltaik, die Bundeswirtschaftsministerium Katherina Reiche vor kurzem infrage gestellt hat. Gegenüber der Augsburger Allgemeinen hatte sie gesagt, dass sich neue kleine PV-Anlagen bereits im Markt rechnen und daher keiner Förderung bedürfen. Von den entsprechenden Branchenverbänden hagelt es Kritik. „Eine Streichung oder Kürzung der Einspeisevergütung für Solarstrom darf es nicht geben. Sie ist insbesondere für kleine Photovoltaikanlagen weiterhin notwendig, um Investitionen und Teilhabe zu sichern“, heißt es dagegen von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Photovoltaik trage bereits heute rund 14 Prozent zum Bruttostromverbrauch bei und sei damit eine tragende Säule der Energiewende.

„Private Solaranlagen sind ein niedrigschwelliger Einstieg zu Elektromobilität und Wärmewende“, sagt Carolin Dähling, Bereichsleiterin Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy, einem von Greenpeace gegründeten Energieversorger. Und sie seien eine der einfachsten Möglichkeiten, Stromverbrauch und -erzeugung zu synchronisieren, ohne das Netz zu belasten.

Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) stößt ins gleiche Horn. Durch die aktive Teilhabemöglichkeiten für alle gesellschaftlichen Akteure sei vor allem die Gebäude-Photovoltaik ein entscheidender Faktor für die nach wie vor ungebrochen hohe Zustimmung zur Energiewende in Deutschland. Eine Umfrage unter Solarinstallateuren hat laut BSW außerdem gezeigt, dass sich lediglich vier von zehn Kunden ohne eine Förderung noch eine Solarstromanlage im Heimsegment anschaffen würden.

Photovoltaik könnte zum Geldgrab werden

Die Geldberatung Finanztip hat die Auswirkungen durch einen Wegfall der Einspeisevergütung berechnet. Demnach amortisiert sich eine typische 10-kWp-Anlage mit 10-kWh-Stromspeicher in einem Beispielhaushalt mit hohem Stromverbrauch von 8.000 Kilowattstunden jährlich derzeit in rund 13 Jahren. Ohne Einspeisevergütung verlängert sich diese Zeit auf über 17 Jahre. Für einen Haushalt mit einem Stromverbrauch von nur 3.000 Kilowattstunden erhöht sich die Wirtschaftlichkeitsdauer bei derselben Anlage mit Speicher sogar von 17 auf über 31 Jahre. „Ohne Speicher amortisiert sich die PV-Anlage bei Wegfall der Einspeisevergütung gar nicht mehr“, heißt es in der Pressemitteilung. Das Fazit der Finanzexperten lautet daher: „Ohne Einspeisevergütung wird Photovoltaik für viele Haushalte zum Geldgrab.“

„Statt populistischer Debatten brauchen wir seriöse Vorschläge für das Strommarktsystem der Zukunft“, sagt Dähling von Green Planet Energy. Sie fordert eine sinnvolle Reform der Einspeisevergütung, die finanzielle Anreize so setzt, dass sich die Anlagen automatisiert systemdienlich verhalten. Und DGS-Experte Jörg Sutter fasst zusammen: „Deutschland braucht mehr Solarenergie, nicht weniger. Das Bundeswirtschaftsministerium ist gefordert, die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende zu schaffen.“

Monitoring braucht realistische Prämissen

Doch wie es mit dieser weitergeht, hängt auch vom Monitoring ab, das Ministerin Reiche in Auftrag gegeben hat und das den aktuellen Stand der Energiewende in Deutschland abbilden soll. Dass dieses ergebnisoffen durchgeführt wird, bezweifelt zumindest die Deutsche Umwelthilfe. Bundesgeschäftsführer Müller-Kraenner glaubt, dass Reiche damit den zukünftigen Bedarf an Strom aus erneuerbaren Energien künstlich kleinrechnen will. Und der Bundesverband Erneuerbare Energien mahnt, das Monitoring nach realistischen Prämissen auszurichten. „Dazu gehören ein weiterhin hoher Strombedarf, geringe Stromgestehungskosten von Wind und PV sowie ein starkes dezentrales Backup aus Erneuerbaren, Speicherpotenzialen, KWK und Power-to-X“, schreibt der BEE in einer Pressemitteilung.

Positive Reaktionen kommen aus der Energiewirtschaft. Im Tagesspiegel lobt Leonard Birnbaum, Vorstandschef des Energieversorgers Eon, das Monitoring und spricht sich dafür aus, solche Checks alle zwei Jahre durchzuführen. Mit Blick auf die Einspeisevergütung sagt er: „Wir sollten keine Technologien mehr fördern, die das gar nicht brauchen.“

Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, sieht in einer Bestandsaufnahme durch das Monitoring einen wichtigen Beitrag für eine sichere, bezahlbare und zukünftig klimaneutrale Energieversorgung. Aber auch sie fordert in dem Zusammenhang, nicht vom bisher eingeschlagenen Weg abzukommen: „Im Sinne der Kosten- und Systemeffizienz sollte es im Ergebnis des Monitorings um die Priorisierung von Vorhaben und die Modifizierung von Pfaden gehen, nicht jedoch um grundsätzliche Pfadänderungen.“ Es bestehe kein Zweifel am grundsätzlich erheblichen langfristigen Ausbaubedarf für erneuerbare Energien in Deutschland.

GEG-Zukunft ist unklar

Doch es gibt Zweifel – und zwar, wie der Weg in Richtung Energiewende grundsätzlich weiter beschritten wird. Die Verunsicherung, die sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahre zieht – hervorgerufen unter anderem durch das Stop-and-Go bei der Förderung oder den Politikwechsel durch die Bundestagswahl –, ist weiterhin groß. Dazu trägt auch bei, dass bisher noch unklar ist, wie es mit dem Gebäudeenergiegesetz weitergeht. Dessen im Koalitionsvertrag angekündigte Überarbeitung sorge für fehlende Planungssicherheit, bemängelt der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie.

Erst kürzlich hat er die Zahlen für den aktuellen Heizungsmarkt verkündet. Und die sehen nicht gut aus. Im ersten Halbjahr 2025 ist der Absatz um 22 Prozent zurückgegangen – nach dem bereits massiven Einbruch im vergangenen Jahr um 46 Prozent. Die zentrale Ursache dafür sieht der Branchenverband in der anhaltenden Verunsicherung der Verbraucher.

Auch ZVEH-Hauptgeschäftsführer Alexander Neuhäuser klagt: „Die aktuellen widersprüchlichen Signale und die offene Planlosigkeit schüren massive Verunsicherung und hemmen Investitionen.“ Man brauche ein klares Bekenntnis zu Klimaschutz und Energiewende – auch weil beides wirtschaftspolitische Notwendigkeiten seien. „Jede Kursänderung führt nicht nur zu Verunsicherung. Sie kostet auch mehr, als in den Wandel zu investieren. Und sie beeinträchtigt den Wirtschaftsstandort Deutschland als Anbieter von Zukunftstechnologie.“

Die Stromsteuer sinkt – aber nicht für private Haushalte. Dies widerspricht dem, was im Wahlkampf versprochen und in den Koalitionsvertrag geschrieben wurde.

Bild: Wolfilser - stock.adobe.com

Die Stromsteuer sinkt – aber nicht für private Haushalte. Dies widerspricht dem, was im Wahlkampf versprochen und in den Koalitionsvertrag geschrieben wurde.
Werden künftig weniger Solarmodule montiert? Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche stellt die Einspeise­vergütung für private Photovoltaik infrage. Dafür hagelt es Kritik.

Bild: Elenathewise - stock.adobe.com

Werden künftig weniger Solarmodule montiert? Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche stellt die Einspeise­vergütung für private Photovoltaik infrage. Dafür hagelt es Kritik.

Kritik: Bau-Turbo wird nicht zünden

Nicht nur die Energiepolitik der Bundesregierung löst kontroverse Diskussionen aus, auch der sogenannte Bau-Turbo. Mit der Neueinführung des Paragrafen 246e im Baugesetzbuch soll der Wohnungsbau in Deutschland an Tempo gewinnen – unter anderem durch ein Abweichen von bauplanungsrechtlichen Vorschriften. Der Bundesverband der Immobilienwirtschaft begrüßt zwar die beschleunigenden Ansätze, kritisiert jedoch neue Hemmnisse wie Zustimmungspflichten der Gemeinden und die Befristung bis 2030.

Probleme anderer Art mit dem Bau-Turbo formulieren Architects for Future, die Bundesarchitektenkammer, die Deutsche Umwelthilfe und der Paritätische Gesamtverband in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Der Entwurf umgeht planungsrechtliche Standards, überfordert Kommunen und schafft rechtliche Risiken, ohne zentrale Ursachen der Krise wie Bodenpreise, Baukosten, Spekulation und soziale Ungleichheit anzugehen.“ Es sei zweifelhaft, ob dadurch wirklich schneller mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Die Verbände fordern daher Nachbesserungen des Gesetzesentwurfs. Dazu zählen sie etwa eine Begrenzung auf angespannte Wohnungsmärkte, ein verbindliches Baugebot von eineinhalb bis drei Jahren und eine verbindliche Quote von mindestens 50,1 Prozent dauerhaft bezahlbarem Mietwohnungsbau.

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