Sein Leibarzt äußerte sich über das Wärmebedürfnis Johann Wolfgang von Goethes recht anschaulich: „Licht und Wärme waren für ihn die unentbehrlichsten Lebensreize; bei hohem Barometerstande befand er sich am wohlsten. Den Winter detestirte er und behauptete oft scherzend, man würde sich im Spätsommer aufhängen, wenn man sich da von der Abscheulichkeit des Winters eine rechte Vorstellung zu machen im Stande wäre.“ [1] Den Goethe’schen Wärmebedürfnissen entsprach das 1709 errichtete Weimarer Haus Am Frauenplan im Winter kaum. In vielen Zimmern war es „…außerordentlich kalt. Der Mann [Goethe] fror…“. [2]
Die Bausubstanz bestand aus Naturstein, Ziegel, Holz und Lehm, die Außenwände im Erdgeschoss bestanden aus Mischmauerwerk und im Obergeschoss aus dünnem Fachwerk. Sie verfehlen mit U-Werten von zirka 1,9 und 2,8 W/(m²K) das physikalische Optimum des Wärmeschutzes um fast das Zwanzigfache. Nur noch übertroffen von den einscheibenverglasten Fenstern und ungedämmten Dachschrägen. Die große, offene Kutschendurchfahrt im Erdgeschoss und davon abgehende zwei Innenhöfe kühlten das Haus zusätzlich aus.
Das Gebäude ragte zwar in seiner Größe, nicht aber in seiner Bauqualität aus den Weimarer Gebäuden des 18. Jahrhunderts heraus: „…außer den zwei Kirchen und dem Rathaus waren es auch ausschließlich fürstliche Gebäude, die die schiefen, winzigen Bürgerhäuser Weimars überragten. (…) Die Wohnkultur in den kleinen, oft nur ein- oder zweistöckigen Weimarer Bürgerhäusern, bei denen nur das Erdgeschoß aus Stein gemauert, das Obergeschoß in Fachwerk ausgeführt war, hatte ein relativ niedriges Niveau. Die oft sehr engen, winkligen und dunklen Räume waren nur zum Teil heizbar; die sanitären Verhältnisse ließen häufig zu wünschen übrig, eigene Brunnen waren sehr selten, so daß das Wasser von den öffentlichen Plätzen herbeigetragen werden mußte. Die Toiletten, die ‚heimlichen Gemächer‘, befanden sich in der Regel außer Haus, über den Hof.“ [3]
Folgerichtig beschrieb der Journalist Zacharias Konrad Lecher 1849 Goethes Wohnhaus als Zumutung: „Diese eigentlichen Wohnräume des großen Mannes sind, gerade herausgesagt, ein hygienischer Scandal sondergleichen; keine Sanitätscommission von heute […] würde den Wohnungsconsens für solche Anlage geben. […] Welche eiserne Gesundheit musste Goethe von seinem Urgroßvater, dem Grobschmied, ererbt haben, dass er da nicht vorzeitig an Rheumatismus und dessen Folgeleiden dahinsiechte …“ [4]. Und der Schriftsteller Karl Immermann stellte 1837 den Kontrast zwischen Werk und Wohnumgebung des Dichterfürsten so heraus: „Dieses kleine, niedrige, schmucklose, grüne Zimmerchen mit den dunkeln Rouleaux von Rasch, den abgeschabten Fensterbrettern, den zum Theil morsch gewordenen Rahmen war also der Ort, von dem aus sich eine solche Fülle des glänzendsten Lichtes ergossen hatte!“ [5]

Bild: Werner Eicke-Hennig
Goethe musste haushalten
Bei dem schlechten Wärmeschutz der Außenbauteile und der großen Abkühlfläche wurde „Kälte zur existenziellen Bedrohung“, und „ohne eine entsprechende Feuerstelle wäre es, wie Goethe einmal bemerkte, ‚selbst zum Schreiben nicht häuslich‘.“ [6] Im Haus wohnten mit Gesinde bis zu 15 Personen mit ihren Wärmeansprüchen. Einige Standorte der drei Kamine und acht Öfen sind im Obergeschoss-Grundriss farblich markiert (Abb. 1).
Das Heizen mit Holz war zur Goethezeit recht teuer. Der Holzpreis wurde von der Inflation in die Höhe getrieben, Holzdiebe wurden an den Pranger gestellt. Goethe verwahrte den Schlüssel zum Holzschuppen nachts unter dem Kopfkissen, sein Tagebuch dokumentiert penible Kontrolle: „27. Dezember: Übergab ich dem Kutscher die Schlüssel zum Holzstall und ließ für alle Heizungen Scheite tragen. Erhielt die Schlüssel zurück.“ [7] Auch als Weimarer Spitzenverdiener musste er beim Heizen haushalten: „Bei weitem nicht alle Räume in Goethes Haus wurden beheizt, einige Zimmer verfügten über gar keine Heizmöglichkeit.“ [8] Dennoch lagen die Heizkosten für das große Gebäude mit seinen zirka 1.000 Quadratmetern Nutzfläche mit 250 Talern pro Jahr bei 15 bis 20 Prozent des vom Weimarer Fürstenhof bezogenen Jahreseinkommens des Hausherrn.
Goethes Schlafzimmer war mit acht Quadratmetern sehr klein. Fotos zeigen an zwei Bettseiten an Innenwänden zu unbeheizten Nebenräumen einen „ … gegen die Kälte schützenden Wandteppich …“ [9]. Solche Wandteppiche wurden nicht nur zur Verschönerung genutzt, sondern dienten seit der Burgenzeit auch als Abhilfe gegen die Auskühlung. Neben dem in jedem Herbst anstehenden Umzug in wärmere, besser beheizbare Räume gab es weitere Hausmittel. „Man zog sich in kleinere Räume zurück und behalf sich mit dicker Kleidung und Decken! Des Nachts machten Molton-Schlafsack und Nachtmütze den Aufenthalt im Bett ebenso erträglich und angenehm wie eine Wärmflasche oder gar eine mit glühenden Kohlen gefüllte Bettpfanne aus Kupfer. Goethe trug Gesundheits-Flanell und besaß einen dicken Schlafrock. Tagsüber beugten der Kälte, die vom Fußboden heraufzog, dicke Socken, Fußhocker oder aus Ton gefertigte ‚englische Fußwärmer‘ vor. Zu Beginn der dunklen Jahreszeit wurden außerdem (.,.) Teppiche und ‚wollene Fußdecken‘ ausgerollt. Durch die damals üblichen, einfach verglasten Fenster zog, trotz der dicken Textilien, die von innen davorgehängt wurden, kalte Luft herein.“ [10]
Auch in der Wohnung blieb man im Winter warm angezogen. Ein Porträt des Dichters mit seinem Schreiber im Arbeitszimmer zeigt beide in Mänteln (Abb. 4). Auf einem anderen, das eine Szene an einem Musikabend im (beheizbaren) Junozimmer wiedergibt, tragen die Zuhörende ebenfalls überwiegend Mäntel. Auch auf den sonstigen Gemälden, Stichen, Zeichnungen der Epoche sieht man die Menschen in ihren vier Wänden fast durchweg warm gekleidet, oft in Jacke, mit Schals und mit festem Schuhwerk. Der Wärmeschutz wurde am Körper getragen.

Bild: Jörg Klaus
Starke Teilbeheizung
Die Lösung in Sachen Heizkosten lag aus Sicht der Zeit in der Einschränkung, die repräsentativen Räume der Wohnung blieben unbeheizt. „Passiv“ genutzt wurde die Sonneneinstrahlung durch die Fenster. Goethe „ … liebte die Sonne und wohnte deswegen in den Südzimmern des Hinterhauses. (…) Die Räume, in denen seine naturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Sammlungen waren, wurden im Winter nicht geheizt. (…) Er schreibt im Winter oft, daß er fast nur sein Arbeitszimmer und sein Schlafzimmer benutze.“ [11]
Ein Mittagessen mit einem Gast beschreibt der Germanist und Literaturhistoriker Erich Trunz so: „Vermutlich saß man in dem ‚kleinen Eßzimmer‘, das dem Familienkreis zu diesem Zweck diente. Die Räume zum Frauenplan, nach Norden gelegen, waren an einem sonnigen April-Tag kalt und unfreundlich. Die Südzimmer dagegen waren dann sonnig und warm.“ [12] Als warm wurde damals ein Zimmer bereits bei nur 15 Grad Celsius Innenlufttemperatur empfunden. Ein besonders kalter Raum war laut Trunz das Brückenzimmer. „Es führt vom Gelben Saal zum Garten, deswegen ging man im Sommer oft hindurch. […]. Im Winter war der Raum sehr kalt. Er war unbeheizbar, und da er als ‚Brückenzimmer‘ über dem Hof lag, hatte er vier Außenwände (oben, unten, rechts, links).“ [13]
Rückzug auf den beheizten Kern
Goethe unterschied zwischen Sommer- und Winterwohnung. Sein beheizbares Arbeitszimmer war die „Dachshöhle“, in die er sich in der kalten Jahreszeit zurückzog. Dazu gehörte auch das angrenzende, unbeheizbare Schlafzimmer: „Nun muß ich mich den Winter durch in meine Dachshöhle vergraben und zusehen, wie ich mich durchflicke.“ [14] Der Kunsthistoriker und Museumswissenschaftler Jan Mende: „Im Winter bei starker Kälte ließ er hier das Mittagessen auftragen (Tagebuch 10 – 15. Januar 1826), denn die Vorzimmer waren dann bei Nordostwind recht unfreundlich.“ [15] Goethe selbst schildert die eingeschränkte Raumnutzung im Obergeschoss mit einiger Bitterkeit: „Sehen Sie dieses Zimmer und diese angrenzende Kammer, in der Sie durch die offene Tür mein Bett sehen, beide sind nicht groß, sie sind ohnedies durch vielerlei Bedarf, Bücher, Manuskripte und Kunstsachen eingeengt, aber sie sind mir genug, ich habe den ganzen Winter darin gewohnt und meine vorderen Zimmer fast nicht betreten. Was habe ich nun von meinem geräumigen Haus gehabt und von der Freiheit, von einem Zimmer ins andere zu gehen, da ich nicht das Bedürfnis hatte, sie zu benutzen.“ [16]

Bild: Klassik Stiftung Weimar, Fotothek / Alexander Burzik
Die Alten bauten nicht besser
Das Bauen wird in jeder Epoche von den verfügbaren Techniken und Materialien bestimmt sowie vom jeweiligen Einkommen der Auftraggeber. Darüber hinaus jedoch auch von den Traditionen, den ungeschriebenen Regeln und den unreflektierten Anschauungen der Zeitgenossen. Die winterliche Kälte im Haus wurde als Naturbedingung hingenommen und Wärme vom Ofen erwartet. Die Zustände im Goethehaus zeigen: Selbst bei hohem Einkommen wurde zur Begrenzung der Heizkosten gefroren. Sir Walter Scott, erfolgreicher Autor historischer Romane, behauptete etwas verklärend von den Altvorderen: „Behaglichkeit kannte man kaum und sie wurde, da man sie nicht kannte, auch nicht vermißt.“ [17] Goethe vermisste sie schon, wenngleich der Begriff damals eine weiter gefasste Bedeutung hatte.
Winterliche Not und Holzknappheit führten immerhin zu Bemühungen um effizientere Nutzung des Brennstoffs, 1780 etwa zur Entwicklung eines Holzsparofens in Ballonform. Irrtümlich wurde sie von den Zeitgenossen sogar Goethe selbst zugeschrieben. Der korrigierte, der Erfinderruhm gebühre „… dem Hof-Kupferschmiede Herrn Pflug in Jena … .“ [18] Auf das Naheliegendste konnte der Weimarer Staatsbeamte, der sich ebenso als Naturforscher verstand wie als Dichter und Schriftsteller (siehe seine Studien zur Geologie, zur Pflanzenkunde und seine „Farbenlehre“) allerdings noch nicht kommen: auf die Idee eines umfänglichen Wärmeschutzes des Gebäudes, der die „Suffizienz“ ohne Einbußen an Komfort und Wohngesundheit erst möglich macht. Niemand konnte sich zu Goethes Lebzeiten Gedanken über die wärmetechnische Gebäudequalität machen, da Theorie, Techniken und Termini fehlten. Schließlich brachte im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Energieträgerwechsel das Ende der Abhängigkeit vom Holz – die Erschließung der Kohle. Und so dauerte es noch einmal gute 150 Jahre, bis man endlich die wärmedurchlässige Gebäudehülle als Ursache des Heizenergieverbrauchs entdeckte und begann, diese Ursache abzustellen. ■