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Revitalisierung von Gebäuden

Neubelebung als Nachhaltigkeits­strategie

Das Planungs- und Beratungsbüro Arup wurde 1946 in London gegründet. Weltweit aktiv, wurde es in Fachkreisen bekannter durch die Zusammenarbeit ab 1957 mit dem dänischen Architekten Jørn Utzon, deren Ergebnis das ikonische Sydney Opera House war. Arup hat sich heute indes auf die Fahnen geschrieben, die nachhaltige Entwicklung von Immobilien und auch Infrastrukturen voranzutreiben, wozu unbedingt auch die Nutzung und Umnutzung bestehender Gebäude gehört, die große Mengen an grauer Energie und grauen Emissionen binden.

Wie das Unternehmen diese Revitalisierung angeht, wie man Bestandsimmobilien nicht nur an neue Bedürfnisse und Anforderungen der Kundschaft, sondern auch an die, vorsichtig formuliert, ganz anderen klimatischen Bedingungen des 21.  Jahrhunderts anpasst, erklärt im Interview mit dem Gebäude-Energieberater Rudi Scheuermann, bei Arup Deutschland Leiter des Bereichs Städte.

Was versteht man bei Arup unter Repositionierung beziehungsweise Revitalisierung? Wo genau liegen die Unterschiede zur Sanierung, zur Modernisierung oder zur Umnutzung? Und inwiefern ist Revitalisierung holistischer, also ganzheitlicher, als die letztgenannten, wie von Arup behauptet wird?

Rudi Scheuermann: Mit dem Begriff Revitalisierung fasst man Maßnahmen zusammen, die weit über eine reine Sanierung oder Modernisierung hinausgehen. Bei der Revitalisierung von Wohn-, Büro-, Gewerbe- und auch Industrieimmobilien geht es um die Anpassung der Gebäude an eine zeitgemäße und auf den jeweiligen Standort zugeschnittene Nutzung. Dabei kommen die unterschiedlichsten Strategien zum Einsatz, um das jeweilige Gebäude wieder marktfähig zu machen. So kann aus einer stillgelegten Fabrik in einem verlassenen Industriegebiet eine Kulturhalle, eine gemischt genutzte Immobilie oder eine exklusive Loftwohnung entstehen.

Wie wir alle wissen, ist der Gebäudebestand der größte Hebel, um Klimaneutralität im Gebäudesektor zu erreichen. Es erfordert Know-how und Investitionsbereitschaft, Immobilien energetisch so aufzurüsten, dass sie künftig CO2-neutral betrieben werden können. Durch Revitalisierungsmaßnahmen können und müssen im Vergleich zu Abriss und Neubau erhebliche Mengen an Emissionen eingespart werden.

Grundsätzlich ist ein gutes städtebauliches Verständnis für die sozialen Bedürfnisse vor Ort erforderlich, denn nur ein lokal verankertes Konzept hat Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus sollten Revitalisierungsmaßnahmen langfristig ausgerichtet sein. Sie sind so zu gestalten, dass auch in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren alle baulichen Aspekte ressourcenschonend verändert werden können, ohne vermeidbare Emissionen zu verursachen und unsere natürlichen Ressourcen zu belasten. Die Revitalisierung hat aber stets das primäre Ziel, die Verwertung mittels Vermietung oder Eigennutzung langfristig unter marktgerechten Bedingungen zu gewährleisten.

Auf der Arup-Website wird unter dem Punkt Retrofit zwischen Adaptive Reuse, Expansive Reuse und Proactive Reuse unterschieden. Wie würden Sie das übersetzen und – in Kurzform – definieren?

Im Rahmen von Revitalisierungen können diese drei Reuse-Varianten miteinander kombiniert werden. Proactive Reuse dockt an dem Gebäudezustand an, bevor Probleme akut werden. Anders formuliert: Das Gebäude wird mit modernen Gebäudesystemen und Technologien ausgestattet, um so die Lebensdauer bei gleicher Nutzung, aber mit zeitgemäßer Ausstattung zu verlängern, um Nutzeranforderungen langfristig wieder gerecht werden zu können.

Expansive Reuse bezeichnet die Erweiterung bestehender Flächen. Konkret bedeutet das: Aufstockungen und Erweiterungen verbessern die Nutzungsmöglichkeiten und erhöhen damit die Wirtschaftlichkeit. Der Quay Quarter Tower in Sydney, Gewinner des Internationalen Hochhaus-Preises 2022/23, zeigt, wie eine solche Revitalisierung besonders nachhaltig umgesetzt werden kann. Zusätzliche Geschossflächen von 45.000 Quadratmetern gingen bei diesem Projekt mit massiven CO2-Einsparungen einher: Im Vergleich zu einem Abrissszenario wurden 7.500 Tonnen CO2 eingespart.

Adaptive Reuse zielt darauf ab, alte Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen. Die Anpassung der Leistungsfähigkeit und Funktionalität an neue Nutzungen ist dabei meist aus mehreren Gründen notwendig. Sie machen die Objekte nicht nur fit für eine neue Nutzung, sondern vermeiden auch den enorm ressourcenintensiven Abriss und Neubau. Die Akademie des Jüdischen Museums Berlin beispielsweise wurde in einer ehemaligen Blumengroßmarkthalle errichtet. Bei der Planung galt es, die vorhandene Bausubstanz so weit wie möglich zu nutzen. Da wir uns für eine Leichtbauweise entschieden haben, konnten sogar die vorhandenen Betonbodenplatten ohne Verstärkungsmaßnahmen weiterverwendet werden.

Rudi Scheuermann ist Cities Business Leader bei Arup in Deutschland und arbeitet im Rahmen seiner Tätigkeit für Architektur- und Ingenieurbüros in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Er hat daneben Lehraufträge an mehreren Universitäten, unter anderem in Hannover sowie an der RWTH Aachen.

Bild: Michael Buchmann / Arup

Rudi Scheuermann ist Cities Business Leader bei Arup in Deutschland und arbeitet im Rahmen seiner Tätigkeit für Architektur- und Ingenieurbüros in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Er hat daneben Lehraufträge an mehreren Universitäten, unter anderem in Hannover sowie an der RWTH Aachen.

Hohe Kosten und enorme Komplexität in der Umsetzung schieben der Revitalisierung oft einen Riegel vor. Bekannte Lösungsansätze zur Beschleunigung der Modernisierung sind unter anderem serielle Sanierung beziehungsweise Modernisierung, Vereinfachung der Sanierung, der Modernisierung gemäß zum Beispiel der von Architects for Future vorgeschlagenen Umbauordnung. Wie sieht der Ansatz von Arup aus?

Die Wirtschaftlichkeit ist in der Regel entscheidend, um Investoren von einem Bauvorhaben zu überzeugen. Revitalisierungen müssen sich über den Lebenszyklus eines Gebäudes rechnen und gleichzeitig nachhaltig sein. Da sind oft kreative Lösungen gefragt. Ein spannender Ansatz bei Revitalisierungen ist, nicht nur gebäudebezogen, sondern quartiersbezogen zu denken. So können Gebäude mit unterschiedlicher Nutzung und unterschiedlichem Kühl- und Heizbedarf miteinander vernetzt und einmal eingesetzte Energie mehrfach genutzt werden. Dies ermöglicht deutliche Kosteneinsparungen und eine Verbesserung der CO2-Bilanz.

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main etwa besteht aus der ehemaligen Großmarkthalle von 1928, dem sogenannten Skytower mit Nord- und Südturm und einem Eingangsgebäude, das Halle und Türme verbindet. Für das Quartier haben wir eine Energierezyklierungsstrategie entwickelt. Sie sieht vor, die Abwärme des Rechenzentrums in der ehemaligen Großmarkthalle zur Beheizung und Kühlung der Skytower zu nutzen. Solche Lösungen sind für viele Quartiersentwicklungen denkbar.

Um die Gebäudeeffizienz zu steigern, müssten nicht zuletzt Wärmeschutz wie Hitzeschutz verbessert werden, um den Energieaufwand zum Heizen und – in Zukunft wichtiger – siehe oben, zum sommerlichen Kühlen in Grenzen halten zu können. In welchem Maße gehört das mit zum Konzept der Revitalisierung?

Ein wesentlicher Aspekt bei der Revitalisierung von Gebäuden ist die Gebäudehülle. Sie gibt dem Gebäude nicht nur ein neues Erscheinungsbild beziehungsweise wertet das bestehende auf, sondern hat auch einen großen Einfluss auf den tatsächlichen Energieverbrauch des Gebäudes, da Energieverluste und Aufheizung im Wesentlichen über die Gebäudehülle erfolgen. Dies muss bei der Planung berücksichtigt werden.

Darüber hinaus kann die Gebäudehülle einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigen Revitalisierungen leisten. Gebäudebegrünung schützt vor Belastungen und Schäden durch Hitze, Kälte, Sonneneinstrahlung und Niederschlag. Durch die temperaturausgleichende Wirkung können zudem Kosten und Energie für die Beheizung und Klimatisierung von Gebäuden eingespart werden. Gebäudebegrünung hat noch weitere positive Effekte. Sie verbessert das Stadtklima, hält Regenwasser zurück, bindet Schadstoffe und mindert die Lärmbelastung. Es empfiehlt sich, solche natürlichen Lösungen in ein Revitalisierungskonzept zu integrieren.

Revitalisierung beziehungsweise Sanierung – Modernisierung – Umnutzung ist ein Gegenentwurf zum Ersatzneubau. Wie hoch wäre allein in Deutschland das CO2-Einsparpotenzial, dürfte ab morgen neue Wohn- und Gewerbekubatur nur noch aus dem Bestand geschaffen werden?

Das lässt sich nur grob schätzen. Bezüglich des Wohnsegments besagen Quellen, dass bis zu 200.000 neue Wohnungen heute in Deutschland durch das Revitalisieren von Gebäuden entstehen können. Die CO2-Einsparungen liegen im Vergleich zum Neubau theoretisch bei bis zu 4,2 Millionen Tonnen.

In Großbritannien ist vermutlich 1 Triton Square in London eines der wichtigsten Referenzprojekte von Arup für Revitalisierung, oder? Wie sieht es in Deutschland in dieser Hinsicht mit Referenzen aus?

1 Triton Square in London ist sicherlich eines unserer Vorzeigeprojekte, auf das wir auch sehr stolz sind. Es gibt aber noch viele weitere Projekte, von denen ich einige schon genannt habe. Aber ganz wichtig: Revitalisierung ist kein neues Thema. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten werden sie nur immer relevanter.

Eines meiner persönlichen Lieblingsprojekte ist die Entwicklung des GSW-Hochhauses nach dem Entwurf der Architekten Sauerbruch-Hutton. Dieses Projekt ist bereits vor 25 Jahren entstanden. Vor ein Punkthochhaus aus den frühen 60er Jahren wurde eine Hochhausscheibe gesetzt und mit einer anspruchsvollen Blockrandbebauung umgeben. So entstand ein neues Quartier. Schon damals mit dem Anspruch, besonders energieeffizient zu sein: Das seinerzeit „erste ökologische Hochhaus Deutschlands“ erhielt die seinerzeit größte solare Abluftfassade Europas. In den letzten Jahren haben wir außerdem verstärkt Revitalisierungsprojekte für Kunden aus Industrie und Forschung realisiert. Über diese sehr spannenden Projekte dürfen wir leider nicht berichten.

Greift Arup auf Know-how und Dienstleistungen im Bereich des zirkulären Bauens zurück, etwa auf die Expertise von Concular oder auf den Urban Mining Index?

Wir arbeiten mit einer Vielzahl von Partnern zusammen, um eine nachhaltige Zukunft für die gebaute Umwelt zu entwickeln. Denn nicht immer gibt es nur eine Lösung. Oft ist eine auf den jeweiligen Markt ausgerichtete Strategie mit mehreren Partnern gefragt, deren Leistungen sich gut ergänzen. Seit Ende letzten Jahres haben wir zum Beispiel eine strategische Partnerschaft mit Concular. Damit bündeln wir unsere Kompetenzen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft. Gemeinsam bieten wir unseren Kunden eine End-to-End-Lösung für zirkuläre Bauprojekte an, die ihnen sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile bringt.

Ein weiteres Beispiel: In Zusammenarbeit mit der Ellen Mac­Arthur Foundation haben wir das Circular Buildings Toolkit entwickelt. Diese Open-Source-Plattform soll Nutzern den Einstieg in die zirkuläre Immobilienwirtschaft erleichtern und deren Mehrwert verdeutlichen. Dies sind nur zwei Beispiele für zahlreiche Partnerschaften, mit denen wir eine nachhaltige Zukunft gestalten wollen. Uns ist bewusst, dass wir dieses Ziel nur gemeinsam erreichen können.

Die Fragen stellte Alexander Borchert.

Der Quay Quarter Tower in Sydney (Mitte): Anstatt den Originalbau – ein schlichter, schlanker Quader – abzureißen, wurde er durch Erweiterung mit leicht „verrückten“ Geschossebenen interessanter gemacht.

Bild: Adam Mørk

Der Quay Quarter Tower in Sydney (Mitte): Anstatt den Originalbau – ein schlichter, schlanker Quader – abzureißen, wurde er durch Erweiterung mit leicht „verrückten“ Geschossebenen interessanter gemacht.

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