Frau Kasper, Sie leiten den Bereich Nachhaltigkeit beim Öko-Zentrum NRW und bieten Fortbildungen zu nachhaltigem Bauen für Energieberaterinnen und Energieberater an. Wie ist Ihren Erfahrungen zufolge der Wissensstand zum Thema QNG?
Sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die sich schon seit längerem damit beschäftigen. Eingeführt wurde das Qualitätssiegel mit den NH-Klassen bereits 2021. Deswegen haben manche schon vor ein oder zwei Jahren Schulungen besucht. Wir bekommen aber auch Anfragen von Personen, die offensichtlich gerade erst begonnen haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen und kaum Kenntnisse mitbringen. Energieberaterinnen und Energieberater werden von Bauherren gefragt, was sie tun müssen, um eine Förderung für den klimafreundlichen Neubau KFN oder Wohneigentum für Familien WEF zu erhalten. Und da ist der Wissensstand teilweise wirklich sehr niedrig.
Was sind die Themen, bei denen die größte Unsicherheit besteht?
Zum einen die Anwendung der Berechnungsregeln und zum anderen, wie die Bauteile und die Baukonstruktion zu erfassen sind und in welchem Detaillierungsgrad. Denn bei den Ökobilanzberechnungen müssen auch die ganzen Innenbauteile – Decken, Innenwände, Treppen, und so weiter – erfasst werden. Man kann sie relativ grob angeben oder eben sehr detailliert bis zur Innenwandfarbe. Die Unterlagen, die für die Berechnung zur Verfügung gestellt werden, beschreiben die Anforderungen leider nicht so genau. Deswegen gibt es natürlich viele Unsicherheiten.
Das hört sich relativ kompliziert an. Würden Sie den Kolleginnen und Kollegen, die neu in der Energieberatung arbeiten – und das sind im Moment sehr viele –, raten, sich umgehend mit QNG zu beschäftigen oder braucht es zunächst ein paar Jahre Erfahrung, um sich in das Thema reinzufuchsen?
Man sollte sich schon jetzt damit beschäftigen. Erstens, weil es eine Ökobilanzberechnung zum Nachweis der Treibhausgasemissionen für die Förderung braucht. Zweitens, weil zu erwarten ist, dass sie in die gesetzlichen Anforderungen aufgenommen wird. Schließlich sind die QNG-Anforderungen bereits im Fortbildungskatalog der Energieeffizienzexperten unter dem Stichwort Ökobilanz oder Lebenszyklusanalyse LCA enthalten und Fortbildungen dazu sollen künftig in das Regelheft der Deutschen Energie-Agentur aufgenommen werden. Momentan handelt es sich um eine freiwillige Eintragung in der Energieeffizienz-Expertenliste, aber ich gehe davon aus, irgendwann wird Nachhaltigkeit zu den Fortbildungsanforderungen gehören. Mit der am 12. März 2024 vom Europäischen Parlament beschlossenen Neufassung der EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie gibt es auch einen Terminplan: Die Verpflichtung zur Berechnung und Darstellung des sogenannten Lebenszyklus-Treibhauspotenzials soll 2028 für alle Neubauten über 1.000 Quadratmeter und ab 2030 für alle Neubauten eingeführt werden.
Das heißt, Energieberatende sollten sich schon jetzt Basiswissen aneignen?
Genau, das ist auch für die Beratung der Bauherren wichtig, um erklären zu können, was dafür getan werden muss, und zumindest Grundlagenwissen für diese Beratungen zu haben.
Für Wohngebäude gibt es unterschiedliche Bewertungssysteme zur Nachhaltigkeit. Wo liegen die Unterschiede?
Die verschiedenen Stellen, die solche Bewertungssysteme entwickelt haben, setzen ihre eigenen Schwerpunkte. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen oder Vorgaben des Bundes. Das Bundesbauministerium hat aber festgelegt, es müssen bestimmte Themen mindestens enthalten sein – zum Beispiel, dass man sich mit der Rückbaufähigkeit von Gebäuden beschäftigt oder mit einer barrierefreien Zugänglichkeit. Die Systeme unterscheiden sich durchaus, sowohl was Umfang als auch die Inhalte angeht. So hat sich beispielsweise das Bau-Institut für Ressourceneffizientes und Nachhaltiges Bauen BiRN lange Zeit auf Ein- bis Fünffamilienhäuser konzentriert, während die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB beispielsweise auch die Zielsetzung eines klimaneutralen Gebäudebestands verfolgt.
Das heißt, bei der DGNB geht es eher in Richtung Quartierskonzepte?
Ja, mit dem Ansatz der DGNB lassen sich auch ganze Quartiere bewerten. Die anderen Systeme nehmen bei der Bewertung vorrangig einzelne Gebäude in den Fokus.
Wie relevant sind denn diese Unterschiede in der Praxis? Muss man alle Systeme kennen, wenn man sich auf die Nachhaltigkeitsberatung spezialisieren will?
Also für die Erstberatung ist es schon wichtig, Unterschiede zu kennen, damit die Bauherren entscheiden können, welches System sie anwenden wollen und sie sich die entsprechenden Schritte überlegen können. Die Bauherren müssen ja eine der Zertifizierungsstellen beauftragen und mit ihr einen Vertrag schließen, dass sie dort ihre Unterlagen einreichen wollen. Deshalb ist es sicherlich sinnvoll, einen Überblick zu bekommen. Die Inhalte und Anforderungen sind bei den Zertifizierungsstellen einsehbar. Vom Umfang her ist das System der DGNB aktuell sicherlich am modernsten, aber auch am umfangreichsten, kann deshalb aber die meisten Nutzungen abdecken. Bei den anderen Zertifizierungsstellen, zum Beispiel dem Verein zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau NaWoh, können nur Gebäude ab sechs Wohneinheiten bewertet werden. Ein- oder Zweifamilienhäuser kann ich damit gar nicht zertifizieren.
Wie unterschiedlich sind die Anforderungsniveaus?
Alle Systeme verfolgen das Konzept, höhere Qualitäten als die gesetzlichen Anforderungen anzustreben und nachzuweisen. Aber im Detail unterscheiden sie sich dann eben doch darin, was gefordert wird und was genau nachzuweisen ist. Und auch die Auszeichnungsstufen unterscheiden sich. Bei NaWoh bekommt man entweder das Gütesiegel oder nicht. Die DGNB hat die Qualitätsstufen Silber, Gold und Platin eingeführt und das BiRN bewertet mit gut, sehr gut oder exzellent. Bei allen Zertifizierungen genügt zurzeit die niedrigste Auszeichnungsstufe für die Förderung.
Lassen sich die Auszeichnungsstufen miteinander vergleichen?
Sie lassen sich teilweise vergleichen. Es gibt natürlich ähnliche Vorgaben, zum Beispiel für den Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes, damit sie den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Oder die Zertifizierungssysteme nutzen übliche Berechnungsverfahren, etwa für den Sonneneintragskennwert beim Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes. Aber andere Inhalte sind im Detail doch unterschiedlich geregelt.
Wechseln wir vom Neubau zur Sanierung. Wie kann man sich eine Modernisierung vorstellen, für die es ein QNG-Siegel gibt?
Zu Beginn sollte die Anwendbarkeit geprüft werden, also ob der Umfang der Modernisierungsmaßnahme groß genug ist. Die Zertifizierung solcher Gebäude funktioniert nur, wenn praktisch bis auf das Tragwerk zurückgebaut wird, ansonsten ist es eine Sanierung zum Effizienzhaus ohne NH-Klasse oder Förderung als Einzelmaßnahmen, für die keine QNG-Zertifizierung möglich ist. Wenn der Umfang entsprechend geplant ist, sollte er zur Leistungsphase 1 bis 2 HOAI festgelegt werden und eine Beratung stattfinden, um frühzeitig festlegen zu können, welche Qualität tatsächlich umgesetzt werden soll. Das müssen schließlich die Planer wissen. Das lässt sich in der Genehmigungsplanung nicht noch nachträglich erledigen. Die Begleitung beinhaltet bis zur Fertigstellung des Gebäudes, dass Unterlagen, die zu bestimmten Zeitpunkten anstehen, gesammelt werden und geprüft wird, ob die Anforderungen eingehalten sind. Dazu gehört auch die Berechnung nach Gebäudeenergiegesetz, weil daraus Werte wie beispielsweise die mittleren Wärmedurchgangskoeffizienten oder die Nachweise zum sommerlichen Wärmeschutz verwendet werden, um die voraussichtlich erreichbare Qualität einzuschätzen.
Sie sagen, es geht um einen Rückbau bis auf die Tragkonstruktion. Doch eigentlich will man durch eine Sanierung ja gerade nicht den Abbruch. Halten Sie das für sinnvoll?
Aus Nachhaltigkeitssicht ist natürlich jedes Gebäude, das so lange wie möglich genutzt wird, besser, als einen Neubau zu errichten. Die Schwierigkeit ist, dass ich viele Kriterien für die Nachhaltigkeitszertifizierung habe, die ich nur bewerten und beeinflussen kann, wenn ich tatsächlich so stark zurückbaue und Neues eingebaut wird, weil sich nur in diesem Fall eine bestimmte Qualität sicherstellen lässt. Ansonsten werden Sie an Grenzen stoßen, weil bestimmte notwendige Qualitäten nicht zu erreichen sind. Das ist der Hintergrund, warum man festgelegt hat, dass die Nachhaltigkeitsklasse bei der Sanierung zu einem Effizienzhaus nur funktioniert, wenn der Modernisierungsumfang einen Rückbau bis mehr oder weniger auf die Tragstruktur bedeutet.
Eigen sich alle momentan vorhandenen Siegel auch für die Sanierung?
Im Moment können Wohngebäude bei einer Sanierung nach den Kriterien des BiRN bewertet werden. Das gilt für Wohngebäude jeglicher Größe. Bei der DGNB ist es aktuell so, dass nur Sanierungsprojekte von größeren Wohngebäuden bewertbar sind. Es ist aber angekündigt, dass im Frühjahr ein Katalog auch für Wohngebäude mit bis zu fünf Wohneinheiten veröffentlicht wird. Die Kriterien von NaWoh als dritte zugelassene Stelle erlauben momentan nur eine Bewertung von Neubauten.
Was kostet eine QNG-Bewertung in der Sanierung?
Die QNG-Siegel erfordern die komplette Bewertung mittels eines frei zu wählenden Zertifizierungssystems. Dafür kommt man bei Zertifizierungen von Wohngebäuden üblicherweise auf einen hohen fünfstelligen Betrag. Allerdings können bei Sanierungen auch die Kosten für die Nachhaltigkeitsberatung zu maximal 50 Prozent gefördert werden – zusätzlich zur Förderung der energetischen Baubegleitung.
Das ist immer noch eine Stange Geld. Welche Bauherren nehmen solche Leistungen in Anspruch? Für wen ist ein Nachhaltigkeitssiegel interessant?
Unserer Erfahrung nach handelt es sich unter anderem um Fertighaushersteller, die dann letztendlich eine Reihen- oder Serienzertifizierung umsetzen. Sie lassen ihre Gebäude einmal bewerten, um für weitere Projekte den Zertifizierungsprozess praktisch nicht noch einmal von vorne beginnen zu müssen, sondern einen Großteil der schon vorhandenen Unterlagen weiterverwenden können - und nutzen das Siegel für ihre Vermarktung. Größere Wohnungsbaugesellschaften nutzen die Zertifizierung für die Qualitätssicherung ihrer Projekte und ebenso für die Vermarktung. Die großen Wohnungsbaugesellschaften haben teilweise eigene Fachleute im Haus, die diese Begleitung übernehmen können.
Die Informationen zur technischen ökonomischen Qualität, die man für ein QNG-Siegel braucht, entsprechen teilweise denen, die Energieberatende für Sanierungsfahrpläne erheben müssen. Können sie diese Informationen doppelt nutzen? Ist es also unter Umständen sinnvoll, Informationen aus dem Sanierungsfahrplan zu nehmen oder sind diese zu oberflächlich?
Einige Informationen kann man sicherlich gut für beides nutzen. Der Hauptunterschied ist, dass die Bewertung nach QNG eben nicht nur Gebäudehülle und Energieversorgung im Blick hat, sondern zusätzlich die Innenbauteile und andere Elemente.
Lässt sich denn die klassische Vor-Ort-Beratung zu einer guten QNG-Beratung ausbauen?
Ja, allerdings müssen Kenntnisse zu vielen anderen, für die Bewertung relevanten Aspekten vorhanden sein. Die energetische Beratung ist häufig der Einstieg, um mit Bauherren über Maßnahmen zu sprechen. Aber man kann sich natürlich weitere Geschäftsfelder aufbauen. Auf dem Portal www.qng.info können sich Energieberaterinnen und Energieberater, aber auch Bauherren zur QNG-Zertifizierung informieren. Bauherren bekommen mit den Informationen einen Eindruck, was eine solche Zertifizierung bedeutet. Mein Tipp an Energieberatende lautet deshalb, die Bauherren auf die Internetseite hinzuweisen, damit sie nicht alles von Grund auf zeitaufwändig erklären müssen. Auch auf den Internetseiten der KfW gibt es nützliche Informationen.■
Die Fragen stellte Pia Grund-Ludwig.

Bild: Öko-Zentrum NRW
GEB Dossier
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