Das Kürzel BIM, das eigentlich für Building Information Modeling steht, kann in bestimmten Zusammenhängen auch Building Information Management bedeuten. Denn BIM-Daten lassen sich mittels Computer-Aided Facility Management (CAFM) nicht nur für die Planung und den Bau nutzen, sondern ebenso für den Betrieb und die Verwaltung von Gebäuden, Gebäudekomplexen oder ganzen Liegenschaften.
Doch man muss nicht mit einem Neubau bei null anfangen. Genauso kann man Bestandsbauten ihren Digitalen Zwilling an die Seite stellen – mit den Daten zu Baustoffen und Bauteilen samt der enthaltenen Ressourcen und der grauen Energie, zu Lage und Ausrichtung des Baukörpers, zur Gestaltung, zu Grundrissen, zur Verglasungen und zu technischen Anlagen.
Ein Gebäude nur aus Bits und Bytes, anhand dessen man beispielsweise Energieverbräuche überwachen, Energieaudits nach DIN EN 16247-1 oder Lebenszyklusanalysen durchführen, Wartungen und Reparaturen planen und verschiedene Möglichkeiten der energetischen Modernisierung durchspielen kann – ohne die Gefahr einer Fehlsanierung, ohne Folgen, außer einem Erkenntnisgewinn.
Seit Anfang 2021 ist die Anwendung von BIM Pflicht bei Planung und Bau öffentlicher Infrastruktur, seit Ende 2022 auch bei Planung und Errichtung öffentlicher Hochbauten.
Das Zusammenführen von BIM und CAFM bildet das Hauptgeschäftsfeld der Keßler Group. Die Gruppe besteht aus den Unternehmen BCS, Keßler Ingenieur Consult Vermessungs- und Ingenieurgesellschaft sowie Keßler Real Estate Solutions. Letztere bietet unter anderem das CAFM-System FAMOS zum Management von Bestandsgebäuden an. Einblicke in die Welt des digitalen Gebäude- beziehungsweise Projektmanagements geben BCS- und Keßler Solutions-Geschäftsführer André Keßler, Keßler Solutions-Produkt- und Innovationsmanager Marcus Mühlberg und BCS-Geschäftsführer Matthias Thieme.
Herr Keßler, wie werden BIM und CAFM in der Bau- und Immobilienbranche angenommen und wie intensiv umgesetzt? Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Nachfrage nach Fort- und Weiterbildungen?
André Keßler: Das Interesse an BIM ist im Bereich öffentliche Verwaltung, Büroimmobilien und Industrie stark im Wachsen begriffen, vor allem das am Digitalen Zwilling. Die Nutzung von IoT und die Anbindung eines CAFM-Systems wie FAMOS als Schaltzentrale für BIM in der Bewirtschaftung stellt in diesem Zusammenhang den Gamechanger dar. Die Nachfrage durch die Architekten ist dabei jedoch noch schleppend. Sie vermuten einen hohen Zeit- und Kostenaufwand für die Erstellung solcher Modelle. Allerdings sind wir der Überzeugung, dass diese Berufsgruppe mehr in die Pflicht genommen werden muss.
An der Digitalisierung und der Nutzung von BIM-Modellen im Bauwesen kommt keiner vorbei. Insbesondere, wenn man den Nachhaltigkeitsgedanken lebt und für die Sustainable Development Goals eintritt. Die Firmen der Keßler Group beraten ihre Kunden in diesem Sinne, unter anderem beim Einsatz der BIM-Methode in der täglichen Arbeit, und stellen Werkzeuge zur Nutzung der Modelle in der Bewirtschaftung bereit.
Wie tief müssen Energieberatende in das Thema einsteigen, um seine Kunden zu den Nutzungsmöglichkeiten von BIM und CAFM beraten zu können?
Matthias Thieme: Um als Effizienzexperte zu BIM und CAFM beraten zu können, sollte man die DIN 276, die Norm zur Berechnung der Projektkosten nach HOAI, kennen und anwenden können. Über eine Schulung kann man sich mit einem CAFM-System vertraut machen. Dies ist zwingend notwendig, um die inneren Zusammenhänge zu verstehen, da es viele Reibungspunkte zwischen Energiemanagement-Modulen und CAFM gibt.
Welche Vorteile bieten BIM im Allgemeinen und der Digitale Zwilling im Bestand im Besonderen für Energieberater, zum Beispiel in puncto Energiecontrolling, Erstellung von Modernisierungsoptionen, Erstellung eines iSFP?
Marcus Mühlberg: Keßler Solutions ermöglicht es, BIM-Modelle sowie einen Digitalen Zwilling direkt über die Schnittstelle BIMflow für Revit an das CAFM-System anzubinden. Der Datenaustausch und die Synchronisierung zwischen Modell und Betrieb erfolgt dabei bidirektional. In Bezug auf Energie können so Medienverbräuche aus dem CAFM ins BIM beziehungsweise in den Digitalen Zwilling übertragen und sichtbar gemacht werden.
Durch die Zusammenführung des Modells und der Medienverbräuche werden beispielsweise die Flächen oder Anlagen sichtbar, die über einer Norm liegen oder Anomalien aufweisen. Das Modell kann auch versioniert vorgehalten werden und macht so Sanierungen, Modernisierungen oder energetische Maßnahmen messbar. Es zeigt Veränderungen grafisch an. Für individuelle Sanierungsfahrpläne liegt ein weiterer Vorteil darin, dass Ergebnisse aus der Sanierung ins Gesamtportfolio einfließen und als Blaupause auch für andere Bestandsgebäude und deren Optimierung genutzt werden können.
Was gilt es, im Rahmen der Datenerfassung zu beachten, damit aus den Daten Informationen werden können, immer wieder neue Zusammenhänge hergestellt werden können, unter immer wieder neuen Aspekten?
Thieme: Man sollte standardisierte Kataloge verwenden, beispielsweise die DIN 276 für technische und bauliche Anlagen, Kostengruppen 300, 400 und 500. Daten sollten strukturiert und nicht zu kleinteilig aufgenommen werden, das heißt man sollte versuchen, nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, sondern die Anlagen auf der obersten Ebene beschreiben. Auch sollte man sie nicht mittels Baugruppen und Bauteilen charakterisieren, da sie später kaum einer Pflege unterliegen. Neue Zusammenhänge und Aspekte ergeben sich durch Überschneidungen in diversen Bereichen wie Wartungsplanung, Ausschreibung, Energiemanagement.

Bild: Keßler Group
Wie sieht die Datenaufnahme bei älteren, vielleicht sogar historischen Gebäuden aus. Mit welchem Aufwand muss man rechnen? In welchem Fall würden Sie ein tachymetrisches Aufmaß empfehlen, in welchem den 3-D-Laserscan?
Keßler: Für die Erstellung eines Digitalen Zwillings eignen sich viele Verfahren. Sind bereits Pläne in analoger Form vorhanden, sollten diese digitalisiert werden und durch tachymetrisches Aufmaß oder Handlaser stichprobenartig überprüft werden. Bei dieser Vor-Ort-Begehung werden dann zusätzlich die Höhendaten der Objekte erfasst, die zur Erstellung des 3-D-Modells wichtig sind. Diese Vorgehensweise ist in der Regel sehr kostengünstig und liefert die benötigte Genauigkeit. Neben den Geometriedaten sollten gegebenenfalls die TGA-Daten erfasst werden. Der 3-D-Laserscan sollte zum Einsatz kommen, wenn keine Grunddaten vorhanden sind und das Modell auch für Sanierung oder Umbau genutzt werden soll.
Thieme: Unser bisher ältestes Objekt war ein Gründerzeitbau in Leipzig, dort ging es um die Vorbereitung eines Energieaudits. Wir arbeiten dabei immer zerstörungsfrei, lokalisieren etwa den Verlauf der Installationen mit Leitungsscannern.
Dass ein Digitaler Zwilling mindestens drei Dimensionen hat, ist bekannt. Was aber ist unter den BIM-Dimensionen 4 bis 7 zu verstehen?
Mühlberg: Die vierte Dimension steht für Prozess-Zeit-Informationen, die fünfte für Kosten, Mengen und Volumen, die sechste für Informationen rund um Nachhaltigkeit und Effizienz, die siebte für solche zu Betrieb und Facility Management.
Geklagt wird in der Praxis häufig über Probleme bei der Datenübergabe, die Schnittstellen seien oft benutzerunfreundlich, gar unzuverlässig. Wie vermeiden Sie eventuelle Reibungsverluste?
Mühlberg: Reibungsverluste sind aktuell immer noch ein Problem, auch wenn dieses inzwischen durch Standards deutlich entschärft wurde. Nach unserer Erfahrung sollte eine Nachbearbeitung beim Übergang vom Bau in den Betrieb vorab einkalkuliert werden. Eine Baudokumentation während der Bauphase kann diese Aufwände reduzieren, genauso wie die Einführung des CAFM-Betriebs vor Bauabnahme und Gewährleistungsübergängen.
Das CAFM-Systems FAMOS soll auch beim Ausfall einzelner Sensoren oder bei einem Teilausfall des Datenflusses funktionieren? Wie genau muss man sich das vorstellen?
Keßler: Das Architekturmodell des IoT-Servers kann Werte einzelner Sensoren puffern und auch später nach einer Störung noch auslesen und synchronisieren und an FAMOS übertragen. Die IoT-Umgebung sorgt dazu für eine Normalisierung der Daten und Verdichtung in Bezug auf zeitliche Abhängigkeiten.
Der Digitale Zwilling kann teils sensible Daten enthalten. Wie wird für den Datenschutz gesorgt?
Mühlberg: Keßler Solutions stellt dies über Benutzer- und Rollenkonzepte sicher. Die CAFM-Software FAMOS bietet zusätzlich die Option, zwischen einer REVIT®-Anbindung und verschiedenen BIM-Viewern im Betrieb zu differenzieren. Eine übliche Option ist dabei, auch Layer und Ebenen im Modell an Rechte zu knüpfen.
BIM und CAFM als Mittel der CO2-Reduktion, der Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Nachhaltigkeit – das müsste doch überaus förderwürdig sein, oder? Beraten Sie zu Fördermöglichkeiten?
Keßler: Keßler Solutions und BCS beraten Kunden auch zur Akquisition von Fördermitteln. Hier existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten. Ein Beispiel sind die umfangreichen Optionen des Bafa bei der Unterstützung im Bereich Energiemanagement.
Thieme: KMU wie Nicht-KMU stehen dabei verschiedene Fördermöglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel zur Refinanzierung der Beschaffungsmaßnahmen oder Ausgleichsregelungen, aber auch zur Nutzung von Steuervorteilen. Die nachhaltige Gestaltung vor allem im Gebäudesektor ist dann wiederum Basis für die zukünftige Finanzierung, siehe EU-Taxonomie.
Auf der Internetseite 4builders.net findet man einen erhellenden, vor allem mutigen Artikel mit dem Titel „Was ich bisher über BIM nicht zu fragen gewagt habe“. Die Autorin heißt Vanessa Möller vom Rudolf Müller Verlag. Könnte es sein, dass viele Architekten, Energieberater und Planer zwar interessiert sind, es jedoch nicht wagen nachzufragen, weil sie von der Fachsprache und den vielen Kürzeln abgeschreckt werden?
Keßler: Den Beitrag von Frau Möller können wir vollkommen unterstützen, ihre Meinung teilen wir. Überdies jedoch scheint das Thema bei vielen Bauherren leider an der Kostenfrage zu scheitern. Auch stellen sich wie oben erwähnt viele Architekten äußerst schwerfällig an und lassen so die vielen Möglichkeiten von BIM-Modellen ungenutzt. Aus unserer Sicht zu kurz gedacht. Betrachtet man die Chancen gerade in Hinblick auf die Bewirtschaftung, so ergeben sich umfangreiche Einsparmöglichkeiten und Synergien.

Bild: Keßler Group