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Missstände beim Energie-­Contracting

Dem Wärmelieferanten ausgeliefert

Im Zuge der Energiewende ist Contracting bei der Wärmeversorgung von Wohn- und Nichtwohngebäuden mehr und mehr in den Fokus geraten und hat beträchtliche Marktanteile hinzugewonnen. Während innerhalb der EU und insbesondere in Deutschland oftmals der Eindruck entsteht, dass zu viele Gesetze, Richtlinien und Verordnungen bestehen, ist beim sogenannten Energie-Contracting das Gegenteil der Fall. Es bestehen erhebliche Regelungslücken; selbst der Begriff ist nicht hinreichend definiert.

Abhängig von den jeweiligen Vertragsmodulen und der damit abgebildeten Wertschöpfungskette bestehen unterschiedliche Produktansätze, und die einzelnen Bezeichnungen werden oftmals uneinheitlich oder sogar widersprüchlich verwendet. So finden sich etwa Verträge zum Finanzierungs-Contracting, dem Betriebs-Contracting, dem Energieliefer-Contracting und nicht zuletzt dem Energieeinspar-Contracting.

Ohne Regelungen keine Reform

Zwischenzeitlich hat der Begriff „Contracting“ einen derart negativen Beiklang erhalten, dass ihn seriöse Anbieter zunehmend vermeiden. Umgangssprachlich und im Marketing findet sich dann die Formulierung „gewerblicher Wärmeservice“, in der rechtlichen Umschreibung heißt es dann „gewerbliche Wärmelieferung durch Dritte“. Während auf anderen Energiesektoren – etwa der Nah- und Fernwärme – kurzfristig dringender Reformbedarf besteht, kann auf diesem Themenfeld nicht einmal von Reform gesprochen werden, da in wesentlichen Teilen seit Jahrzehnten keine Regelungen bestehen. Der Gesetz- und Verordnungsgeber sollte daher möglichst zeitnah erforderliche verbindliche Rahmenbedingungen erlassen - nicht zuletzt, um dem zunehmenden Missbrauch zu begegnen.

Die Problematik hat inzwischen die breite Bevölkerung erreicht und wird im aktuellen Bundestagswahlkampf thematisiert. Beim Forum Wohnungspolitik „Missstände im Contracting – für mehr Energiegerechtigkeit“ des Berliner Mieterbundes trat unter anderem der SPD-Bundestagsabgeordnete Helmut Kleebank auf. Er wies darauf hin, dass die allgemein bekannten Konflikte in der vergangenen Ampelkoalition dazu führten, dass seine detaillierten Vorschläge zur Verbesserung der Lage nicht umgesetzt werden konnten (siehe Zitat).

Für mich ist völlig klar: Con­tracting darf nur dann unter die Fernwärmeverordnung fallen, wenn tat­­sächlich in moderne, klimafreundliche Heiz­- anlagen investiert wird. Eine Novelle der Fernwärmeverordnung muss das – ­neben echten Preistransparenz-Vorgaben, klaren Regeln für Preisklauseln und einer Preisaufsicht sowie Schlichtungsstelle – dringend adressieren.

Helmut Kleebank, Bundestagsabgeordneter der SPD, Vorsitzender des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung und ordentliches Mitglied der Ausschüsse für Klimaschutz und Energie sowie Verbraucherschutz

Bild: Photothek

Wenn einzelne schwarze Schafe zu Rudeln werden

Werden einzelne konkrete Missstände in seriösen Medien veröffentlicht, findet sich von den Contracting-Befürwortern zeitnah und regelmäßig der Hinweis, dass es sich hierbei lediglich um Einzelfälle handele. Das investigative Medienzentrum Correctiv hat sich des Themas Contracting im Frühsommer 2024 angenommen und über mehr als sechs Monate recherchiert. Seine Ergebnisse hat es unter dem Titel Mieter in der Heizungsfalle veröffentlicht. Sie belegen, dass es sich nicht um bedauerliche Einzelfälle handelt. Auch eigene Recherchen zeigen diese Missstände – mit zunehmender Tendenz seit nunmehr über 20 Jahren.

Die ARD hatte zuletzt über die Thematik im Sendeformat Plusminus berichtet. Wegen der aktuellen Bedeutung wurde der Beitrag Schlechte Aussichten für Fernwärmekunden zwischenzeitlich in der Mediathek unter tagesschau.de veröffentlicht.

Unseriöse Beispiele von Hamburg bis München

Nachstehend eine kleine Auswahl konkreter Sachverhalte, bei denen es sich ausdrücklich nicht um Einzelfälle handelt – sie finden sich zwischenzeitlich bundesweit von Hamburg bis nach München.

Neueste Technik – nur auf dem Papier

In einzelnen Verträgen steht beispielsweise die konkrete Verpflichtung des Contractors „zum Einsatz neuester Technik“. Gerichtlich bestellte und vereidigte unabhängige Sachverständige konnten jedoch den Nachweis erbringen, dass alte Anlagen im Bestand von Contractoren übernommen wurden und nachfolgend unverändert über 20 Jahre in Betrieb blieben.

So wurden in einem Fall, um in laufenden Gerichtsverfahren die entsprechenden Nachweise zu erschweren, sogar zeitnah vor den gerichtlich angeordneten Ortsterminen die Typenschilder entfernt. Der hinzugezogene Sachverständige konnte jedoch über die Produktbezeichnung und die jeweilige Seriennummer das konkrete Baujahr nachweisen.

Erstmals hat die Correctiv-Recherche öffentlich gemacht, dass einzelne Contractingfirmen ­offenbar rechtliche Schlupflöcher ausnutzen, um Profit zu machen. Deutschlandweit ­könnten Hunderttausende betroffen sein.

Gesa Steeger ist Teil der Correctiv--Redaktion und arbeitet als investigative Reporterin zu den Themen Klima, -Wirtschaft und Finanzen.

Bild: Photothek

Wenn Kellerraummiete die Bezugskosten erhöht

Ein weiterer Missstand: unseriöse „Kellerraummieten“. Es liegen Fälle vor, in denen Contractoren den Gebäudeeigentümern Kellerraummieten für die Technikräume entrichten, welche die Mieten in den betroffenen Objekten um ein Vielfaches übersteigen. Diese Kosten wurden und werden auf die Wärmebezugskosten der Mieter umgelegt.

Es finden sich konkrete Fälle, bei denen die Wärmeversorgung aus gebäudenahen Fernwärmeleitungen erfolgt und der Contractor diese Fernwärme, die er selbst nicht erzeugt, zu individuellen Einzelpreisen vermarktet. So kommt es vor, dass aufgrund der „umgelegten Kellerraummieten“ die Fernwärmepreise aus ein und demselben Heizkraftwerk und der gleichen Fernwärmleitung um mehr als 100 Prozent abweichen.

Weiterhin sind Fälle aufgetreten, in denen der Contractor mit dem Gebäudeeigentümer – zur Vermeidung der sogenannten Kellerraumiete – einen „gewerblichen Wärmelieferungsvertrag“ abgeschlossen hat. Analog zur Kellerraummiete wird die Provision aus diesem Vertrag über die Contracting-Vertragslaufzeit auf die Mietnebenkosten umgelegt und schlägt sich somit in den Energiekosten nieder. In Berlin führte dies bei einer Mietanlage mit 1.833 Wohnungen zu Mehrkosten in Millionenhöhe für die Mieter.

Kein Zutritt, aber zahlen bitte!

Befindet sich die Wärmeerzeugungsanlage in den Kellerräumen des Gebäudeeigentümers, steht diese regelmäßig im Eigentum des Contractors. In der Folge darf der Gebäudeeigentümer selbst auf die wesentlichen Betriebsparameter – Vorlauftemperaturen, Zirkulationsbetrieb, Sommer-/Winterbetrieb, Außentemperatursteuerung und Nachtabsenkung – keinen Einfluss nehmen. Zwischenzeitlich finden sich zahlreiche Fälle, in denen die Heizanlagen mehr oder weniger unreguliert 365 Tage im Jahr mit maximaler Leistung betrieben werden.

Auch auf entsprechende Hinweise und Beschwerden der Mieter, etwa dass die Heizung sogar im Hochsommer bei über 30 Grad Celsius Außentemperatur mit über 80 Grad Celsius Vorlauftemperatur betrieben wird, darf der Gebäudeeigentümer nicht eingreifen. Entsprechende Hinweise der Gebäudeeigentümer an den Contractor waren über Monate hinweg unbeantwortet beziehungsweise unbearbeitet geblieben.

Das „Hanauer Modell“ zum Contracting zeichnet sich durch hohe Transparenz aus und trägt den Interessen der Vertragsparteien – Energieversorgungsunternehmen und Immobilien­eigentümer – angemessen Rechnung. Der Contracting­-Kunde erhält verbindlich die Mög­lich­ keit, auf die Betriebsparameter der Wärme­erzeugungsanlage in seinem Gebäude Einfluss zu nehmen und so einen aus seiner Sicht über­mäßigen Energieverbrauch zu vermeiden.

Martina Butz, seit 2019 Geschäftsführerin der Stadtwerke Hanau, ist hessische Vorsitzende des Landesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft Hessen/Rheinland-Pfalz.

Bild: Stadtwerke Hanau

Zu heiß geduscht

Weiterhin finden sich zahlreiche Fälle aus der Praxis, bei denen in Verbindung mit dem Wärmeliefer-Contracting neben den Heizungstemperaturen auch das Trinkwarmwasser mit signifikant überhöhten Temperaturen bereitgestellt wird. So wurden etwa an den Duscharmaturen Temperaturen von deutlich über 70 Grad Celsius nachgewiesen, die für den Nutzer eine konkrete Verbrühungsgefahr bedeuten. Dieses Temperaturniveau lässt sich auch nicht mit einem Hinweis auf den Legionellenschutz rechtfertigen.

Es gibt auch positive Beispiele

Die problematischen Entwicklungen im Contracting-Sektor sind nicht neu und wurden vom Gebäude-Energieberater bereits vor fünf Jahren in den Ausgaben GEB 01-2020, In hohem Grade ausgeliefert und GEB 06-2020, Fernwärme in Eigenregie nutzen detailliert beschrieben.

Es finden sich auch positive Beispiele aus der Praxis, wie zum Beispiel das „Hanauer Modell“. Hier erhält der Gebäudeeigentümer auch im Contracting durch die Stadtwerke das Recht, selbst aktiv die relevanten Betriebsparameter für sein Gebäude verbindlich vorzugeben. Der Contractor ist somit nicht mehr dem Verdacht ausgesetzt, Energie in das Gebäude zu liefern, welche zum ordnungsgemäßen Betrieb nicht erforderlich ist – eine vorbildliche Win-win-Situation, welche auch im Sinne der Mieter ist. Auch professionelle Immobilienverwalter wie die AR Verwaltungs GmbH engagieren sich in dieser Thematik.

Die AR Verwaltungs GmbH berät und unterstützt ihre Kunden aus der Immobilienwirtschaft auch bei der Anpassung und Optimierung von Fernwärmelieferverträgen und Contracting-Vereinbarungen. Wir sehen hier erheblichen Handlungsbedarf und Optimierungspotenziale, die auch im Interesse der Mieter nicht ungenutzt bleiben sollten. Wir finden regelmäßig Heizungsanlagen vor, die entgegen vertraglicher Vereinbarungen veraltet sind und deren Betriebsführung durch die Contractoren zum Nachteil der Kunden mangelhaft ist.

Andreas Roßnagel ist Geschäftsführer der AR Verwaltungs GmbH Hanau

Bild: A. Roßnagel

Beratungsbedarf durch qualifizierte Energieberater

Beim Energie-Contracting besteht erheblicher Handlungsbedarf und somit auch das Potenzial für eine qualifizierte Energieberatung vor Ort. Hierbei sollten Gebäudeenergieberater – gegebenenfalls mit juristischer Unterstützung – zunächst die vorhandenen schriftlichen Dokumente auswerten. Neben den eigentlichen Verträgen zählen hierzu insbesondere die Abrechnungen aus den vergangenen Jahren sowie Unterlagen zum energetischen Zustand der jeweiligen Gebäude.

Eine seriöse und belastbare Untersuchung sollte in jedem Fall eine Besichtigung der betroffenen Immobilien, insbesondere der Technikräume, umfassen und den Zustand der dort vorhandenen Technik und die relevanten Einstellparameter dokumentieren. So werden oftmals Brennstoffe beziehungsweise Energieträger abgerechnet, welche vor Ort nicht oder nur in einem unerheblichen Umfang verwendet werden. Weiterhin finden sich zahlreiche Beispiele, bei denen die Außentemperaturfühler an ungeeigneten Standorten montiert sind.

Zu klären ist zudem vor Ort, ob und eventuell wie die Heizenergie und der Strom erzeugt werden beziehungsweise die Trinkwarmwassererwärmung konkret erfolgt. Auch die Wärmemengenzähler sollten vor Ort überprüft werden. So finden sich Beispiele, bei denen die gesetzlichen Eichfristen deutlich überschritten beziehungsweise Kalt- und Warmwasserzähler verwechselt wurden. Die Ergebnisse der Überprüfung vor Ort sollten möglichst umfassend und sorgfältig dokumentiert werden. Hierbei helfen Fotos der Einstellparameter.

Bei fernwärmeversorgten Contracting-Modellen werden zum Teil Gebäudeanschlusswerte vereinbart, die für die Wärmeversorgung der betroffenen Immobilien nicht näherungsweise erforderlich sind. Diese überhöhten Anschlusswerte führen regelmäßig zu überhöhten Leistungs- und Grundpreisen, welche dann verbrauchsunabhängig und somit auch bei einem sparsamen und effizienten Betrieb zu unnötigen Kosten führen. Weiterhin sollte vor Ort überprüft werden, ob die verbindlichen Vorgaben aus dem Gebäudeenergiegesetz eingehalten werden. Noch heute finden sich beispielsweise warmwasserführende Rohrleitungen in ungeheizten Räumen, die nicht oder nur unzureichend gedämmt sind.

Unterversorgung vermeiden!

Die anstehende und wiederholt angekündigte Reform der Allgemeinen Versorgungsbedingungen für die Fernwärmeversorgung (AVBFernwärmeV) wurde zuletzt mehrfach verschoben, bereits bestehende Entwürfe kurzfristig geändert. Gegenwärtig besteht noch das Recht auf eine Anpassung überhöhter Gebäudeanschlusswerte. Auch in diesem Kontext sind qualifizierte Gebäudeenergieberater gefragt, da eine sinnvolle Absenkung im Einzelfall nicht zu einer späteren Unterversorgung führen darf.

Im Rahmen der Wärmewende wird die Fernwärmeversorgung – auch in Contracting-Modellen – kurzfristig signifikant an Bedeutung gewinnen. Werden in der Praxis Gebäudeanschlusswerte in einem zu hohen Maße reduziert, kann dies dazu führen, dass der vorgelagerte Wärmelieferant die freiwerdenden Kapazitäten an Neukunden weitergibt, und diese dann für eine eventuell notwendige Erhöhung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Ass. jur. Werner Dorß
ist Gründer und Inhaber des Beratungsbüros Ejur.

Bild: privat

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