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Sanierung der Kreisverwaltung in Detmold

Mehr als nur ein Lippenbekenntnis

Sowohl was die Einwohnerzahl angeht, aber auch hinsichtlich der Fläche steht die Kreisstadt Detmold an der Spitze beim Städte-Ranking im Kreis Lippe. Und nicht zu vergessen: Im Stadtgebiet, genauer im Stadtteil Hiddesen, steht mit dem Hermannsdenkmal bis heute Deutschlands höchste Statue überhaupt. Mit einer Figurenhöhe von exakt 26,57 Metern und einer Gesamthöhe von 53,46 Metern war die 1875 erbaute Kolossalstatue elf Jahre lang sogar die höchste Statue der westlichen Welt – bis Frédéric-Auguste Bartholdi die Freiheitsstatue zusammengekupfert und sie mit tragfähiger Unterstützung Gustave Eiffels auf Liberty Island im New Yorker Hafen aufgebaut und am 28. Oktober 1886 eingeweiht hat.

„Lippe_Re-Klimatisiert“ das Kreishaus in Detmold

Bei weitem nicht so hoch, aber in der Fläche mit 27.379 Quadratmetern sich über fünf Finger in gegensätzlicher Richtung ausbreitend, stellt das Kreishaus in Detmold eine Landmarke dar. Erbaut 1980, fasste die von Professor Sigurd Scheuermann entworfene Kreisverwaltung verschiedene Dienststellen zusammen, die bis dahin auf 19 Gebäude in Detmold und Lemgo verteilt waren.

Ausgangspunkt für den Neubau auf dem Hiddeser Berg war das Bielefelder Gesetz, durch das die Kreise Lemgo und Detmold 1973 miteinander zum Kreis Lippe verschmolzen. Der damals gerade mal 32 Jahre junge und noch unbekannte Architekt hatte sich gegen große und renommierte Büros aus dem gesamten Bundesgebiet behauptet und den Bau binnen dreieinhalb Jahren umgesetzt. Die Überlegungen hinter dem Entwurf waren simpel, die Umsetzung durchdacht: Der Dienstleistungscharakter der Kreisverwaltung sollte sich im Gebäude widerspiegeln. So passen sich die gestaffelten Gebäudeflügel der Landschaft an und es gibt separate Eingänge, um den Publikumsverkehr zu entzerren.

Schon damals spielten ökologische Grundsätze beim Bau eine bedeutende Rolle. Durch die Gliederung und Öffnung der Gebäudeflügel in den Landschaftsbereich kam der Architekt den Prinzipien des ressourcensparenden Bauens, der natürlichen Durchlüftung und allseitigen natürlichen Belichtung nach.

Die Ideen zu Funktionalität und Gestaltung hat das Architekturbüro Pape oder Semke bei der Kreishaussanierung im Zuge von „Lippe_Re-Klimatisiert“ aufgegriffen. Uwe Schulte, Technisches Gebäudemanagement des Kreises Lippe, ergänzt: „Neben der energetischen Zielsetzung sorgt die Sanierung mit dem Low-Tech-Ansatz und der größeren Glasfläche der Fenster für ein natürliches Raumklima im Gebäude.“

2 Ein typisches Fassadenkind der 1980er Jahre – längst nicht mehr zeitgemäß.

Bild: Harald Semke

2 Ein typisches Fassadenkind der 1980er Jahre – längst nicht mehr zeitgemäß.

Die Lippische Klimafassade: nachhaltig und effizient

Die Herausforderungen waren umfassend: Hauptaufgabe war die klimagerechte Fassadensanierung, und wenn möglich, doch bitte schön, bei laufendem Betrieb, denn an eine – auch nur phasenweise – Auslagerung der rund 1.850 Mitarbeitenden war nicht zu denken. Darüber hinaus schrieb der Kreis Lippe in seiner Funktion als beauftragende Bauherrschaft auch eine Dachbegrünung, umfangreiche Brandschutzmaßnahmen sowie die Sanierung aller WC-Bereiche ins Aufgabenheft. Des Weiteren standen die zeitgemäße Anpassung der Barrierefreiheit und ein durchdachtes Gesamtgestaltungskonzept auf dem Plan.

So weit, so alltäglich für ein renommiertes Architekturbüro, allerdings gehörten zur Durchführung der Aufgabenstellung auch ein umfassender Gebäudescan als Basis für das Erstellen eines BIM-Modells, eine thermodynamische Gebäudesimulation, das Entwickeln eines Nachtkühlkonzeptes über Lüftungsklappen für den Sommerfall sowie die Konzeption einer nachhaltigen Fassadenlösung, die letztendlich als „Lippische Klimafassade“ in die regionale Baugeschichte einging.

Die Idee einer vorgefertigten Lösung in Holzbauweise mit Stegträgern, ausgeflockt mit 300 Millimeter Zellulose und am Ende der Lebensphase wieder komplett rückbaubar, entsprach in mehrfacher Hinsicht den Vorgaben: nachhaltig, geringes CO2-Emissionspotenzial, bei laufendem Gebäudebetrieb montierbar und energieeffizient.

Lego-Fassade: Rückbau- und Wiederverwertbar

Insgesamt 15.000 Quadratmeter zu sanierende Fassadenfläche kamen über die Außenwandflächen zusammen, oder wie der Architekt Harald Semke es bildhafter zu beschreiben pflegt: „Einmal den gesamten Baukörper entlang der Fassade umrunden, und man hat einen Kilometer zurückgelegt!“ Ein Grund mehr, das Heil in der Vorfertigung zu suchen, was mit der favorisierten Lösung in Holz-Elementbauweise und der Finish-Bekleidung aus recycelten Aluminiumblechen am Ende prima aufging. Immerhin ist es gelungen, durch die Kombination aus vorgefertigten Dämmelementen und der daran befestigen Blechbekleidung gegenüber konventionellen VHF-Fassaden die allfälligen Bohrlöcher um 85 Prozent zu reduzieren, was in der Wärmebrückenberechnung zu einem merklichen Vorteil gereichte.

In Summe waren zudem 2.400 Altfenster aus Aluminium gegen dreifach verglaste Holzfenster mit witterungsbeständiger Alu-Außenschale auszutauschen, die am Ende ihres Lebens aufgrund der geschraubten Montage ohne Schaum und Kleber einschließlich der Gläser wieder aufbereitet und wiederverwendet werden können – ebenso wie die Fassadenbleche und der Sonnenschutz.

Auch die eingeblasene Zellulosedämmung lässt sich auf dem gleichen Weg, wie sie eingebracht wurde, wieder heraussaugen und anderweitig verwenden. So entstand mit der „Lippischen Klimafassade“ eine Sanierungslösung nach dem Lego-Prinzip, deren einzelnen Bauteile mit üblichen Holzbau- und Metallwerkzeugen bedarfsbezogen an andere Abschnittslängen, Attika- und Geschosshöhen angepasst werden können. Was sich über Bauteilbörsen nicht verticken lässt, kann – einem möglichen Upcycling nachgeordnet – auch recycelt werden.

Zu bemerken wäre in dem Zusammenhang noch, dass die Verwendung von Holz und Zellulose bei den Fassadenelementen für die Gebäudeklasse 5 hinsichtlich Brandschutz keine Selbstverständlichkeit ist. Machbar wurde dies aufgrund der nicht brennbaren Alu-Blechfassade und der dahinter liegenden zementgebunden Spanplatten (Brandklasse A2-s1, d0, feuerbeständig und nicht brennbar), welche die vorgefertigten Dämmelemente mit hölzernen Stegträgern fassadenseitig abschließen.

3 Die fünf Finger des Verwaltungskomplexes mit ihren Fluchttreppenhäusern an den Kuppen prägen die Architektur des Gebäudes. Die Flachdächer sind teilweise begrünt und üppig mit PV-Modulen versehen.

Bild: pape oder semke

3 Die fünf Finger des Verwaltungskomplexes mit ihren Fluchttreppenhäusern an den Kuppen prägen die Architektur des Gebäudes. Die Flachdächer sind teilweise begrünt und üppig mit PV-Modulen versehen.

Klappe auf: Fenster und Lüftungsflügel als Konzept

Die farbig abgesetzten Lüftungsflügel in den Fensterbändern sind maßgeblicher Bestandteil des Lüftungskonzeptes, übernehmen aber durch ihre rhythmisierende Anordnung auch gestalterische Funktion. Die sowohl manuell bedienbaren, aber auch temperaturgesteuerten Lüftungsklappen ermöglichen – bei Bedarf einschließlich der öffenbaren Fenster – die Quer- und Nachtlüftung der einzelnen Gebäudefinger ganz ohne energiefressende Klimaanlage. Die Auftriebseffekte der schachtartigen Fluchttreppenhäuser erübrigen eine ventilatorengetriebene Luftströmung – das Lüftungskonzept funktioniert auch bei geschlossenen Bürotüren dank entsprechend dimensionierter Überströmungsschlitze. Auch die Begrünungsbalkone an den „Fingerkuppen“ links und rechts der Fluchttreppenhäuser tragen ihren Teil zur Raumlufthygiene bei – sofern sie nicht gerade als Raucherbalkone missbraucht werden.

Die sehr gut gedämmten, schlanken Profilgeometrien der Passivhausfenster (U-Wert: 0,68 W/m²K) optimieren durch einen entsprechend größeren Glasflächenanteil den Tageslichteinfall um rund 30 Prozent gegenüber den Altfenstern, die ja zudem nur zweifach verglast waren. Der in den Fassadenaufbau integrierte Sonnenschutz mit tageslichtoptimierter Steuerung und selektiv beschichteten Sonnenschutzlamellen schützt bei tief stehender Sonne vor Blendung am Arbeitsplatz und verhindert das Aufheizen der Büros in heißen Sommermonaten.

Um sicherzugehen, dass das Lüftungs- und Klimakonzept in allen Räumen des Kreisverwaltungsgebäudes beziehungsweise in jede Himmelsrichtung ohne Einschränkung funktioniert, hatte man für ein ausgesuchtes Büro, das den extremsten klimatischen Lasten ausgesetzt ist, sowohl eine Windsimulationsberechnung als auch eine thermodynamische Simulation veranlasst und nach diesen Anforderungen das Konzept ausgelegt. Dass es nicht schwer war, dieses „Problem-Büro“ nach nunmehr 40 Jahren Nutzererfahrungen mit dem Gebäude zu finden, ist eines der zum Vorteil gereichenden Privilegien einer Bestandssanierung gegenüber einem Neubau.

4 Insgesamt 2.400 Aluminiumfenster waren im Zuge der Fassadensanierung bei laufendem Betrieb auszutauschen – auch die Brüstungen entsprachen nicht mehr heutigen Anforderungen.

Bild: Harald Semke

4 Insgesamt 2.400 Aluminiumfenster waren im Zuge der Fassadensanierung bei laufendem Betrieb auszutauschen – auch die Brüstungen entsprachen nicht mehr heutigen Anforderungen.

Das Ergebnis: Klimapositiv und nachhaltig

Das Ergebnis der Sanierung kann sich sehen lassen: Insgesamt konnte der Endenergiebedarf der Verwaltung um mindestens 55 Prozent gesenkt werden, das entspricht rund 1,5 Millionen kWh/a. Die nicht mehr benötigte Fernwärme steht in Absprache mit den Stadtwerken Detmold künftig Verbrauchern im Quartier zur Verfügung. Der Fokus auf das Verwenden nachhaltiger, sortenrein trenn- und nahezu restlos wiederverwertbar Baustoffe, das Konzept der „Lippischen Klimafassade“, der Verzicht auf eine Klimaanlage, das natürliche Belüftungskonzept und nicht zuletzt die Beauftragung von Firmen aus der Region haben zu einer spürbaren Reduzierung der CO₂-Emissionen geführt. Angegeben wird eine projektbezogene Einsparung von 3.900 Tonnen CO₂ jährlich, was den Treibhausgasausstoß von über 500 Einwohnern kompensiert.

Unterteilt in dreizehn Abschnitte wanderte die Baustelle einmal um das verzweigte Kreishaus herum; zu keinem Zeitpunkt mussten die Mitarbeitenden in der Behörde ihre Arbeit unterbrechen oder gar in andere Räumlichkeiten umziehen, was das Budget für die Nebenkosten erheblich entlastet hat.

Gekostet hat die umfassende energetische Sanierung des Kreishauses insgesamt rund 30 Millionen Euro. Die Sanierung war Teil der Umsetzungsstrategie „Lippe_Re-Klimatisiert“, die beim Wettbewerb „KommunalerKlimaschutz.NRW“ einen Zuschlag erhielt. Gefördert wurde das Projekt mit rund 16 Millionen Euro durch das Land NRW mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union.

5 Nun prägen Holz-Alu-Fenster mit Lüftungsklappen und eine weiße Brüstung die „Lippische Klimafassade“.

Bild: Harald Semke

5 Nun prägen Holz-Alu-Fenster mit Lüftungsklappen und eine weiße Brüstung die „Lippische Klimafassade“.
6 as ausgeklügelte Lüftungskonzept macht eine konventionelle Klimaanlage überflüssig.

Bild: pape oder semke

6 as ausgeklügelte Lüftungskonzept macht eine konventionelle Klimaanlage überflüssig.

Bild: pape oder semke

8 Die farblich changierenden Lüftungsflügel rhythmisieren die Klimafassade.

Bild: Harald Semke

8 Die farblich changierenden Lüftungsflügel rhythmisieren die Klimafassade.
9 Die Grundrisse der fünf Gebäudefinger wiederholen sich in ihrer Struktur. Jeweils an der Fingerkuppe sind die Fluchttreppenhäuser angeordnet, flankiert von den Begrünungsbalkonen.

Bild: pape oder semke:

9 Die Grundrisse der fünf Gebäudefinger wiederholen sich in ihrer Struktur. Jeweils an der Fingerkuppe sind die Fluchttreppenhäuser angeordnet, flankiert von den Begrünungsbalkonen.
10 Die Sonnenschutzanlage ist hinter der Brüstungsbekleidung verborgen.

Bild: Harald Semke

10 Die Sonnenschutzanlage ist hinter der Brüstungsbekleidung verborgen.

GEB Dossier

Grundlegende Informationen zum -Thema -finden Sie auch in unserem Dossier Dämmung mit -Beiträgen und News aus dem GEB:

www.geb-info.de/daemmung

Bautafel

Bauherr: Kreis Lippe – Der Landrat, 32756 Detmold, www.kreis-lippe.de

Architekt/Fassadenplanung: Architekturbüro Pape oder Semke, 32578 Detmold, www.papeodersemke.de

Haustechnikplanung: Mies + Reichelt GmbH, 33649 Bielefeld, www.mr-bielefeld.de

Bauphysik: e & u Energiebüro GmbH, 33602 Bielefeld, www.eundu-online.de

Tragwerksplanung: Lingk & Partner, 32719 Lage (Lippe), www.ib-lingk.de

Brandschutz/Prüfstatik: Engels Ingenieure, 32756 Detmold, www.engels-detmold.de

Gebäude- und Energiekennwerte

  • Nutzung: Nichtwohngebäude (Bestandssanierung)
  • Baujahr: 1980
  • Nettogrundfläche: 27.379 m²
  • Volumen Ve: 103.020 m³
  • Hüllfläche A: 27.930 m²
  • Fensterfläche: 6.494,5 m²
  • Jahres-Primärenergiebedarf qP: 28,37 kWh/m²a
  • Primärenergieeinsparung: 21.692 kWh/a
  • Endenergiebedarf: 3.586.684 kWh/a
  • Endenergieeinsparung: 1.739.675 kWh/a
  • CO2-Emissionen*: 1.125.654 kg/a
    *keine CO2-Emissionsfaktoren nach GEMIS/UBA
  • CO2-Einsparungen: 490.640 kg/a
  • Transmissionswärmeverlust H’T: 0,944 W/m²K
  • mittlere U-Werte:
    – opake Außenbauteile/Außenwände: 0,22 W/m²K
    – transparente Außenbauteile (Fenster): 0,74 W/m²K
    – Außentüren: 0,85 W/m²K
    – Dachoberlichter/Dachflächenfenster: 0,84 W/m²K
  • Beheizung: Fernwärme
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