Herr Lehmann, Sozialimmobilien bleiben bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestands noch weitgehend außen vor. Warum ist das so?
Wir sind mit Lava Energy in verschiedenen Segmenten unterwegs: Wohnimmobilien, Gewerbeimmobilien, Sonderimmobilien wie Hotels und eben auch Sozialimmobilien. Und es fällt auf, dass in dem letztgenannten Bereich noch nicht die gleiche Dynamik entstanden ist wie in den anderen Segmenten. Ganz allgemein gesprochen beschäftigen die Träger von Sozialimmobilien zur Zeit viele andere Themen, die ja hinlänglich bekannt sind, zum Beispiel Herausforderungen bei der Finanzierung oder bezüglich des Personal- und Fachkräftemangels. Daher beobachten wir, dass in diesem Sektor der Sanierungsstau noch relativ groß ist, weil Themen wie etwa Gebäudehüllen weniger im Fokus stehen. Doch auch diese Gebäude müssen klimaneutral werden, das steht außer Frage. Und daher wächst jetzt auch bei Sozialimmobilien der Druck, aktiv zu werden.
Gibt es denn besondere Herausforderungen, wenn es um die energetische Sanierung von Sozialimmobilien geht?
Ja, die gibt es. Das liegt zum einen daran, dass der Gebäudebestand häufig recht alt ist und dann über die Jahre gewachsen ist. Träger von Krankenhäusern oder Pflegeheimen haben das ursprüngliche Gebäude um zusätzliche Anbauten erweitert. Sozialimmobilien weisen häufig auch quartiersähnliche Strukturen auf. Also Strukturen mit mehreren Objekten, die vielfach noch dezentral versorgt werden und die möglicherweise über eine zentrale Versorgung zusammengefasst werden könnten. Zudem finden wir in diesem Segment oft verschiedene Gebäudesubstanzen vor – sowie unterschiedliche Qualitäten, was den Sanierungs- und energetischen Zustand anbelangt.
Gibt es weitere Punkte?
Es gibt bei Sozialimmobilien die große Besonderheit, dass man es eigentlich immer mit Einrichtungen zu tun hat, die sich im Betrieb befinden. Ein Krankenhaus zum Beispiel hat ja permanent Patienten, die versorgt werden müssen. Daher stellt sich bei einer Sanierung die Anforderung, dass man den Betrieb möglichst ohne Störungen weiter aufrechterhalten muss. Lärmbelästigung, Staub und Schmutz und ähnliche Dinge müssen gerade bei Pflegeheimen oder Krankenhäusern vermieden werden.
Sie haben schon gesagt, dass zu den Themen, die Verwalter von Sozialimmobilien umtreiben, auch finanzielle Fragen gehören. Stellt das auch eine Herausforderung dar?
Ja. Wenn es um die Finanzierung einer Sanierung geht, sind die Träger von Sozialimmobilien häufig limitierter als zum Beispiel ein Investmentfonds, der eine große Wohnimmobilie besitzt. Es fehlen also häufig die nötigen Mittel. Das lässt sich dann möglicherweise über Contracting lösen.
Bedeutet das, dass Projekte in diesem Segment häufig etwas länger dauern?
Das hängt natürlich immer von der konkreten Situation ab. Aber es kommt eher selten vor, dass ein Eigentümer, der meistens mehrere Gebäude verantwortet, sagt: „Wir investieren jetzt einmal richtig und sind dann in fünf Jahren mit unserem gesamten Portfolio klimaneutral.“ Sondern die gesamte energetische Modernisierung in seinem Verantwortungsbereich wird sich eher über Jahre hinziehen. Eine Komplettsanierung auf einen Rutsch wäre natürlich ideal für alle Beteiligten. Aber das setzt fast einen Leerstand voraus – gerade in den sensiblen Bereichen. Letztlich hängt das Vorgehen von den konkreten Dekarbonisierungszielen des Eigentümers ab und ob er erst dann tätig wird, wenn eine bestimmte Maßnahme unumgänglich ist – wie etwa der altersbedingte Austausch eines Kessels. Man muss letztlich einen individuellen Pfad mit dem Eigen-
tümer abstimmen. Und dabei ergibt sich meistens ein abschnittsweises oder gewerkeweises Vorgehen.
Apropos Heizkesselaustausch – unterscheiden sich Sozialimmobilien von anderen Gebäuden, wenn es um die konkreten Sanierungsmaßnahmen geht?
Ich sehe da eigentlich keinen großen Unterschied. Man hat es vielleicht häufiger mit Themen wie Lüftung und Klimatisierung zu tun. Und die Barrierefreiheit spielt bei Sozialimmobilien meistens eine wichtige Rolle.
Wenn ich das richtig verstehe, liegen die großen Herausforderungen bei Sozialimmobilien also weniger beim Gebäude selbst, sondern eher auf der Betreiberseite.
Das stimmt. Man muss sich einfach vor Augen halten, dass sich die Träger von Sozialimmobilien nicht immer mit einem klassischen Wohnungsunternehmen vergleichen lassen. Das bedeutet, dass sie oft etwas mehr Handreichung und Beratung brauchen, zum Beispiel was die Fördermittelgenerierung betrifft. Sie benötigen häufiger mehr Unterstützung dabei, die Modernisierung strukturiert, effizient, ressourcenschonend und möglichst in der idealen Kombination von verschiedenen Maßnahmen anzugehen.
Der Betrieb von Sozialimmobilien ist ja oft sehr energieintensiv, wenn man zum Beispiel an Krankenhäuser denkt. Heißt das im Umkehrschluss, dass sich mit einer Sanierung auch besonders große Einsparpotenziale heben lassen?
Ja. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir uns jetzt verstärkt mit diesem Segment beschäftigen. Die Einsparpotenziale sind aufgrund der vielfach höheren Verbräuche, der höheren Raumtemperaturen, der elektrischen Einrichtungen oder der besonderen Gerätschaften zur Betreuung von Patienten oder Bewohnern sehr groß. Hinzu kommt dann noch der Sanierungsstau. Und es gibt verschiedene Ansätze, dieses Potenzial zu heben.
Das heißt konkret?
Es ist häufig sinnvoll, die Modernisierung der Versorgungsanlage im Sanierungsfahrplan vorzuziehen. Das heißt beispielsweise, eine Öl- oder Gasheizung gegen eine Wärmepumpe auszutauschen, vielleicht am Anfang in Kombination als hybride Lösung. Auf diese Weise ist der CO2-Minderungseffekt im Verhältnis zum investierten Kapital besonders groß. Erst später geht man dann an die Gebäudehülle, um die Verbräuche zu reduzieren. So werden sinnvolle Maßnahmen aufeinander aufbauend realisiert – und Fehlinvestitionen vermieden.
Ist das der Ansatz, den Lava Energy in der Regel empfiehlt?
Unser Ansatz lautet: Investitionen am Anfang gering halten, aber dabei die CO2-Minderung maximieren. Heute muss man das ganze Gebäude im Blick haben und die Hülle mitdenken, wenn man eine Heizung modernisieren und/oder eine nachhaltige Versorgungslösung aufbauen will. Wir helfen unseren Kunden, für ein Portfolio oder für ein konkretes Objekt eine Roadmap aufzustellen, um ihnen aufzuzeigen, mit welchen Maßnahmen und Investitionen sie welche Effekte erzielen können und welche Fördermittel herangezogen werden können. Dabei arbeiten wir vielfach mit Energieberatenden zusammen, die für uns die Analysen, Sanierungsfahrpläne und Fördermittelthemen erarbeiten.
Sie haben bereits das Thema Contracting angesprochen. Warum ist Contracting auch bei der energetischen Sanierung von Sozialimmobilien sinnvoll?
Contracting bedeutet ja, dass der Dienstleister mit dem Kunden einen festen Preis vereinbart – zumindest bei dem Modell, das wir anbieten. Das ganze Betreiberrisiko liegt also beim Contracting-Dienstleister. Es gibt ein Leistungsversprechen, zu einem festen Preis und den übrigen im Vertrag vereinbarten Servicelevels das Gebäude zu versorgen. Im Eigenbetrieb ist es häufig nicht möglich, ein Gebäude wirklich effizient und ressourcenschonend zu versorgen. Der Heizungsbauer, der einmal im Jahr die Wartung durchführt, kümmert sich gewöhnlich nicht um eine ganzjährige Effizienz. Nach Modernisierungen hat man außerdem vielfach multivalente Anlagen im Einsatz, also einen Spitzenlastkessel in Kombination mit einer Wärmepumpe und einer PV-Anlage. Das muss orchestriert, aufeinander abgestimmt werden, damit die Anlagen in ihrer Gesamtheit effizient laufen. Und es ist ein großer Vorteil, dass professionelle Energiedienstleister dies gewährleisten. Hinzu kommen Themen wie Finanzierung, Projektierung, Ausschreibung, Vergabe, Projektrealisierung und schließlich die Überleitung in den laufenden Betrieb. Dies alles deckt ein Contractor ebenfalls ab.
Und was ist der besondere Vorteil für die Träger von Sozialimmobilien?
Sie können sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren und müssen sich nicht um das Thema Versorgung kümmern. Wir entwickeln eine Kundenbeziehung oft über ein Pilotprojekt. Die Kunden erkennen sehr schnell den Nutzen einer Contractinglösung. Sie sehen, dass der Dienstleister alle anfallenden Aufgaben übernimmt und sie sich beispielsweise selbst nicht um die Wartung der Anlagenkomponenten oder die Anmeldung der Stromeinspeisung kümmern müssen. Diese Themen werden ohnehin vielfältiger und komplexer. Das macht man nicht mehr mal so nebenher – vor allem wenn man sich eigentlich um eine bessere Versorgung von Patienten oder Heimbewohnern kümmern möchte.
Gibt es Beispiele von Projekten mit Sozialbauten, in die Lava Energy involviert ist?
Wir haben es in verschiedenen Projekten mit Sozialimmobilien zu tun, zum Beispiel ein Zentrum für behinderte Menschen in Stuttgart. Bei einem anderen geht es um eine Mittelschule in Neunkirchen am Brand, nördlich von Nürnberg. In Schulen gibt es ja ähnliche Anforderungen, und je nach Definition zählen auch diese zu den Sozialimmobilien. Wir hatten für einen Projektentwickler eine Versorgung für 170 Wohnungen in Neunkirchen aufgebaut. Daraufhin wurden wir vom Bürgermeister angesprochen, ob es die Möglichkeit gebe, auch eine Schule im Ort anders zu versorgen. Wir haben das Projekt übernommen und haben eine 700 Meter lange Nahwärmeleitung zu dieser Schule
gelegt. Außerdem wurde gemeinsam mit der Kommune eine Solarthermieanlage auf das Dach der Schule aufgebracht und auch ans Nahwärmenetz angebunden. Im Sommer kann damit die Schule versorgt werden. Und wenn nur Warmwasser benötigt wird, gibt es eine Rückeinspeisung ins Netz. Es ist uns auch gelungen, noch weitere Anrainer an die Nahwärmeleitung anzubinden. So können wir das ganze Quartier mitversorgen.
Merken Sie eigentlich, dass das Thema energetische Sanierung jetzt auch bei den Sozialimmobilien langsam ankommt?
Das ist unbedingt so. Es hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Wir nehmen verstärkt wahr, dass die Finanzierungsseite – also die Banken – auch mit den Trägern von Sozial-
immobilien zunehmend über Themen der Taxonomie sprechen. Das heißt, die Finanzierung von Gebäuden hängt inzwischen auch davon ab, ob es einen Plan zur Reduzierung von CO2-Emissionen gibt – und zwar für die kommenden zehn, 15 oder 20 Jahre. Die Entscheider werden von verschiedenen Seiten sensibilisiert. Aber wenn man erst mal damit beginnt, sich mit der energetischen Modernisierung zu beschäftigen, dann entsteht eine Eigendynamik. Und die Potenziale, die sich heben lassen, sind enorm.
Die Fragen stellte Markus Strehlitz.

Bild: Lava Energy
Sozialimmobilien
Für Immobilien, in denen Menschen betreut, gepflegt oder medizinisch versorgt werden, die also sozialwirtschaftlichen Aktivitäten unterliegen, gibt es keine allgemein gültige Definition. In der Regel werden zu den Sozialimmobilien unter anderem Pflegeeinrichtungen. Seniorenresidenzen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Wohnheime, Kitas oder Horte gezählt. Gesundheitsimmobilien wie Krankenhäuser und Reha-Zentren lassen sich als Unterkategorie von Sozialimmobilien bezeichnen.