Wir haben etwas Bemerkenswertes erreicht. Wir haben eine Blaupause für den Übergang zu einem emissionsfreien Gebäudebestand geschaffen.“ Mit diesen Worten feierte Ciarán Cuffe, der zuständige Berichterstatter des europäischen Parlaments, die Einigung zur Novellierung der europäischen Gebäuderichtlinie.
Die zentralen Punkte der Richtlinie, die EU-Parlament, europäischer Rat und EU-Kommission ausgehandelt haben sind: Der durchschnittliche Primärenergieverbrauch von Wohngebäuden soll bis 2030 um 16 Prozent und bis 2035 um 20 bis 22 Prozent gesenkt werden. Die Mitgliedsstaaten entscheiden dabei eigenständig, welche Maßnahmen sie ergreifen und auf welche Gebäude sich diese beziehen. Die nationalen Maßnahmen müssen zudem sicherstellen, dass mindestens 55 Prozent der Senkung des durchschnittlichen Primärenergieverbrauchs durch die Renovierung von Gebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz erzielt werden.
Hinzu kommen weitere Vorgaben. Dazu zählen, dass Maßnahmen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen getroffen werden müssen und die Installation von Solaranlagen vorangetrieben werden soll (siehe Kasten). „Mit diesem Plan fügen wir den Dekarbonisierungsplänen der EU eine wesentliche Stütze hinzu und beginnen den langen Weg zur Reduzierung der europäischen CO2-Emissionen um 36 Prozent“, sagte Cuffe weiter.
Doch das Resultat ist ein Kompromiss – und eine deutliche Abschwächung dessen, was ursprünglich einmal geplant war. Der Vorschlag der EU-Kommission sah vor, den Gebäudebestand in den Mitgliedsstaaten in Effizienzklassen zu unterteilen. Für die Häuser der untersten beiden Klassen sollte dann eine konkrete Sanierungspflicht gelten, um Mindesteffizienzstandards zu erreichen.

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Branchenreaktionen
Der Energieberatendenverband GIH spricht daher zwar von einem wichtigen Schritt, wie ihr politischer Referent Henning Marxen berichtet. Aber: „Wir hatten uns etwas ambitioniertere Ziele und moderate Pflichten für sich schnell amortisierende Maßnahmen erhofft“, so Marxen gegenüber dem Gebäude-Energieberater.
Vor allem die fehlenden Mindesteffizienzstandards sorgen für kontroverse Reaktionen. Kai Warnecke, Präsident des Verbands Haus & Grund, der die privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer vertritt, spricht von einem guten Ergebnis. „Es gibt den Hauseigentümern die notwendige Flexibilität, ihre Gebäude bis 2045 klimaneutral umzubauen“, argumentiert Warnecke. Mindesteffizienzstandards hätten seiner nach Meinung nach zu einem massiven Werteverfall, Vermögensverlust und zahlreichen Hausnotverkäufen geführt. Um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, benötige man in Deutschland keine weiteren ordnungsrechtlichen Maßnahmen.
Für Christian Noll, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), bedeutetder Verzicht auf die Standards dagegen eine Katastrophe. Diese seien ursprünglich wesentliches Element der Gebäuderichtlinie gewesen. Und sie seien notwendig, damit die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele – nämlich die Verdopplung der Energieeffizienz – erreichen könne. „Doch dies wird nicht gelingen, wenn man es nicht mit den dazu erforderlichen Instrumenten hinterlegt“, sagt Noll im Gespräch mit dem Gebäude-Energieberater. Er begrüßt zwar, dass immerhin für Nichtwohngebäude die Mindeststandards eingeführt werden. Aber: Diese machen nur einen kleinen Teil des gesamten Gebäudebestands aus.
Generell kritisiert Noll, dass das, was vom ursprünglichen Vorschlag für die Gebäuderichtlinie in Bezug auf Wohngebäude übrig geblieben sei, „eigentlich nur noch einer Absichtserklärung“ entspreche. Die Vorgabe, den durchschnittlichen Primärenergieverbrauch bis 2030 um mindestens 16 Prozent zu senken, ist aus seiner Sicht nur ein rein politisches Ziel. „Und selbst dieses Ziel ist noch nicht mal sonderlich ambitioniert“, so Noll.
Dass in der neuen Richtlinie vom Primärenergiebedarf die Rede ist, stört Barbara Metz besonders, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Denn beim Primärenergiebedarf wird die gesamte Energiemenge betrachtet, die für die Nutzung eines Energieträgers benötigt wird. Das betrifft auch die vorgelagerten Prozesse, bevor der Energieträger im Haus eingesetzt wird. Wenn man sich nun an dieser Größe orientiert – und nicht am Endenergieverbrauch eines Gebäudes –, dann bedeutet dies, dass die Sanierung nur eine von verschiedenen Möglichkeiten ist, um die Gebäuderichtlinie zu erfüllen. Die Reduzierung des Primärenergiebedarfs lässt sich zum Beispiel auch durch die Nutzung eines Wärmenetzes reduzieren.
Metz sieht dies als Problem: „Wir brauchen die Sanierung von Gebäuden, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen.“ Denn selbst wenn erneuerbare Energien im ausreichenden Maß vorhanden sind, muss der Energieverbrauch ja auch bezahlbar sein. Und dies erreiche man durch einer Verbesserung der Energieeffizienz mit Hilfe von Sanierungsmaßnahmen, so Metz. „Wir werden sowohl Klimaschutz als auch Bezahlbarkeit nur dann voranbringen können, wenn wir auf der einen Seite die Gebäudehüllen verbessern und auf der anderen Seite die Erneuerbaren in die Häuser bringen.“
Metz hatte vor den Verhandlungen auf ordnungsrechtliche Vorgaben in Form der Mindesteffizienzstandards gehofft. Denn solche verbindliche Vorgaben sind ihrer Meinung nach notwendig, um die Menschen dazu zu bringen, auf klimafreundliche Technologien zu setzen. „Wir warten ja seit Jahrzehnten auf die intrinsische Motivation der Eigentümer mit Anreizsystemen“, sagt Metz. „Und jetzt kann man da weiter darauf warten. Oder man blickt die letzten 20 Jahre zurück und stellt fest: Das hat nicht funktioniert.“
Einen Impuls für die geringe Sanierungstätigkeit erwartet Deneff-Mann Noll von der neuen EU-Gebäuderichtlinie deshalb nicht. Den Verzicht auf Mindestenergiestandards im Wohngebäude sieht er als verpasste Chance, denn gerade hier seien große Mengen CO2 zu geringen Kosten einsparbar und die Sanierungen würden die Menschen unmittelbar entlasten.Durch das Fehlen der Standards gebe es für die Mitgliedsstaaten auch keine Notwendigkeit mehr, „eine ordentliche Förderkulisse aufzubauen“, ergänzt DUH-Geschäftsführerin Metz. Stattdessen lasse man jetzt diejenigen alleine, die sich um ihre Häuser kümmern müssen.
Laut Cuffe hat die Einigung jedoch gerade die Menschen in den Fokus genommen. „Wir müssen den Bürgern helfen, Geld zu sparen, und sie vor schwankenden Energiepreisen schützen. Deshalb haben wir einen Weg gewählt, der die Energierechnungen für alle senken kann, für Hausbesitzer und Mieter gleichermaßen, und der die Ursachen der Energiearmut angeht.“
Metz befürchtet dagegen das genaue Gegenteil. Die Gebäuderichtlinie könnte gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen. „Wir sehen die Gefahr einer Gettoisierung – also dass ganze Stadtteile verfallen, weil dort keine hohen Mieten gezahlt werden und es daher kein Interesse gibt, diese Gebäude zu sanieren.“ Mieter, die ohnehin finanzschwach sind, hätten also weiterhin hohe Energiekosten, weil sie in schlecht gedämmten Häusern leben.
Welchen Nutzen hohe Anforderungen bei der energetischen Sanierung bringen, hat die Deneff vor Kurzem in einer Studie dargelegt. Wenn Deutschland bis 2033 in die gezielte Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude investiere, heißt es in der Untersuchung, seien die Energiekosteneinsparungen nach 20 Jahren 55 Prozent höher als die erforderlichen Sanierunginvestitionen. Bei europaweit sehr hohen Ambitionen könnten die gesamten Energiekosteneinsparungen bis zu 345 Milliarden Euro betragen.
In den meisten Fällen könnten die diskutierten Sanierungsanforderungen mit kostengünstigen Maßnahmen erfüllt werden, heißt es weiter. Laut der Studie fallen Investitionen zwischen wenigen tausend Euro für eine Maßnahme und unter 15.000 Euro bei zwei Maßnahmen an. Als Grundlage der Berechnung dienten Mindesteffizienzstandards, wie sie von der EU-Kommission definiert worden waren.
Nach der Einigung auf die neue EU-Gebäuderichtlinie geht es nun darum, diese in den einzelnen Mitgliedsstaaten umzusetzen. Laut GIH ist es in Deutschland dafür wichtig, baldmöglichst Klarheit bei der Wärmeplanung zu bekommen, damit die Verbraucher wissen, woran sie sind. „Das GEG und die Förderprogramme BEG EM, WG und NWG unterstützen den Weg dorthin, reichen aber vermutlich in ihrer Wirkung noch nicht aus“, sagt Marxen. Ein zeitnahes Monitoring der Programmeffizienz und Bürokratieabbau bei den Förderungen würde helfen bei der Nachsteuerung. Die Programme sollten außerdem weiter digitalisiert werden, damit die Abrufzahlen erhöht werden.
Auf die Frage, was die neue EU-Gebäuderichtlinie für die Energieberatenden bedeutet, antwortet Marxen: „Die Energieberatenden müssen weiterhin den Bürger im Fokus haben und ihre Dienstleistungen so gestalten, dass sich die Ergebnisse der Beratung an CO2-Einsparung und der Reduktion der Energiekosten orientieren.“ Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass die Investitionen wirtschaftlich darstellbar sind. „Im Ergebnis bedeutet dies, dass Sanierungen unter Berücksichtigung von Energieeinsparungskrediten sogar größer ausfallen könnten, als man zu Beginn der Beratung geglaubt hat.“

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