Seit einigen Jahren führt meine Kanzlei diverse Prozesse im Zusammenhang mit sogenannten Hubschrauber-Tiefflugstrecken. Dabei handelt es sich um geheime Übungsstrecken der Bundeswehr, die vor allem im Süden Deutschlands häufig in Konflikt mit Windenergievorhaben geraten. Nach aktuellem Stand wissen wir von rund 1.000 Anlagen, deren Errichtung aufgrund derartiger militärischer Belange verhindert wird. Vor Gericht geht es uns dabei in erster Linie um informationsfreiheitsrechtliche Fragen, das heißt es wird darum gestritten, ob das Verteidigungsministerium dazu verpflichtet werden kann, zumindest Teile dieser Übungsstrecken zu veröffentlichen. Hierdurch könnten Wind-
energie-Projektierer vorausschauend planen und Konflikten vorbeugen. Diese Klagen führen wir ohne Mandanten. Sie sollen vielmehr bezwecken, auf eine abstrakte richterliche Untersuchung zu drängen, wie weit das öffentliche Interesse an der Energiewende in der rechtlichen Hierarchie öffentlicher Belange reicht.
Ukrainekrieg stärkte Bundeswehr, nicht aber die unabhängige Energieversorgung
Zugegebenermaßen haben sich die Chancen, diesen Zweck zu erreichen, mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine massiv verschlechtert. Gerichte wagen es seltener, sich Stellungnahmen der Bundeswehr entgegenzustellen, mögen sie noch so intransparent und oberflächlich begründet sein. Einigermaßen paradox mutete dies gerade in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn an: In gerichtlichen Schriftsätzen konnten wir Ausführungen über die erstarkte Bedeutung der Luftwaffe für die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik lesen; in Zeitungen hingegen sorgte man sich in erster Linie um die Sicherung ausreichender Energieversorgung. Die Bundesregierung haderte damit, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine auszuweiten, wohl insbesondere, da sie fürchtete, den ohnehin durch Inflation und Energiesparmaßnahmen verunsicherten Wählern weitere politische Brisanz zuzumuten.
Zwar entwickelte sich in Deutschland infolge der russischen Invasion rasch ein politischer Wille, die (zuvor chronisch vernachlässigte) Bundeswehr zu ertüchtigen, um unsere Verteidigungsfähigkeit im Angesicht der „Zeitenwende“ zu gewährleisten. Dies soll hier nicht kritisiert werden. Doch galt und gilt es, die Komplexität von ‚Verteidigungsfähigkeit‘ nicht aus dem Blick zu verlieren. Es ist fraglich, ob das deutsche Militär – selbst im Falle eines direkten Konflikts der EU mit Russland – tatsächlich jemals zum Einsatz käme. Denn moderner Krieg wird auf verschiedensten Ebenen ausgetragen, gerade zwischen systemisch und wirtschaftlich so ungleichen Parteien. Lange bevor russische Panzer die ukrainische Grenze überrollten, hatten „Bots“ im Internet die politische Landschaft auch Deutschlands unterwandert und Populisten den Rücken gestärkt; lange zuvor hatte Russland bereits seine Gaslieferungen in die EU gedrosselt, um die „Moral“ hierzulande und Solidarität mit der Ukraine zu schwächen. Demokratien, Wohlstandsgesellschaften sind weit einfacher – und günstiger – destabilisierbar als mittels Panzern und Drohnen.
Für Gesetz und Judikatur jedoch sind „verteidigungspolitische Belange“, wie sie einem im Energierecht vergleichsweise häufig begegnen, noch immer lediglich synonym zu „Belangen der Bundeswehr“. Paragraph 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz beispielsweise, auf den sich Anwälte der Energiewende gerne berufen, erklärt, die Erneuerbaren ständen im überragenden öffentlichen Interesse und setzten sich in juristischen Abwägungen regelmäßig durch. Gemäß Satz 3 der Norm ist diese allerdings schon a priori „nicht gegenüber Belangen der Verteidigung anzuwenden“, womit nach den Gesetzesmaterialien das Militär gemeint ist. Ähnliche ausschließende Disjunktion von Verteidigung und Energieversorgung hat die Rechtsprechung an verschiedenen Stellen entwickelt und hält noch immer an dieser fest.
Wenn sich Deutschland vor Kriegen schützen will, muss es aus den Erfahrungen des „heißen Herbstes“ 2022 lernen: Wir müssen verstehen, Verteidigungsfähigkeit ganzheitlich zu denken. Neben militärischen Fragen zählt hierzu insbesondere die Unabhängigkeit und Resilienz unserer Energieversorgung. Aus Sicht des Autors spricht etwa Vieles dafür, auch die Erweiterung und Modernisierung unserer Stromnetze unter das kürzlich durch die Nato beschlossene 1,5-Prozent-Budget für verteidgungsrelevante Infrastruktur zu subsumieren: Nicht nur beim Klimaschutz, auch gegen technische Manipulation setzt sich eine möglichst diverse und dezentrale gegenüber zentraler Energieversorgung durch. Vor allem aber darf die Diskussion über etablierte Abwägungsvorgänge vor Gericht kein Tabu bleiben. Auch die Energiewende schützt Demokratie und Freiheit.