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Europas Solarindustrie vor dem Comeback?

Nicole Weinhold

Europa steht an einem Wendepunkt seiner Energiewende. Während Solarmodule heute größtenteils aus asiatischer Produktion stammen, zeigen neue Analysen, dass der Kontinent durchaus in der Lage ist, die Fertigung von Photovoltaikmodulen erfolgreich zurückzuholen – vorausgesetzt, wir setzen die richtigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Kleine Lücke in den Produktionskosten

Eine aktuelle Studie von Solar Power Europe und dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) mit dem Titel „Reshoring Solar Module Manufacturing to Europe“ belegt: Die Lücke in den Produktionskosten zwischen Europa und China ist kleiner, als viele denken – und könnte sich mit gezielten Maßnahmen weiter schließen. Die Botschaft ist klar: Europas Solarindustrie hat eine echte Chance auf ein Comeback.

Eine europäische Solarproduktion stärkt lokale Lieferketten und schafft Resilienz gegen Handelsrisiken.

Nach Jahren des Produktionsrückgangs in Europa macht der Bericht Hoffnung. Ein in der EU hergestelltes Solarmodul kostet derzeit rund 10,3 Eurocent pro Watt mehr als ein Modul aus China – ein Unterschied, der vor allem auf höhere Kosten für Personal, Material, Anlagen und Gebäude zurückzuführen ist. Doch entscheidend ist: Diese Kostendifferenz entspricht nur rund 14,5 Prozent höheren Stromgestehungskosten – und liegt damit innerhalb der zulässigen 15-Prozent-Grenze des neuen europäischen Net-Zero Industry Act (NZIA). Diese 15-Prozent-Grenze bezieht sich auf die zulässige Kostendifferenz bei der Berücksichtigung nichtpreislicher Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen und Auktionen für erneuerbare Energien. Der NZIA ermöglicht es, neben dem Preis auch qualitative Faktoren wie Nachhaltigkeit, Resilienz und Cybersicherheit zu berücksichtigen. Dabei darf die Gewichtung dieser nichtpreislichen Kriterien zwischen 15 und 30 Prozent des Gesamtbewertungsmaßstabs betragen.

Das bedeutet: Schon heute könnten europäische Module unter fairen Bedingungen in EU-Ausschreibungen wettbewerbsfähig sein. Mit zusätzlichen Förderinstrumenten ließe sich der Preis­ab­stand sogar auf unter zehn Prozent verringern. Der Bericht verweist auf internationale Beispiele – etwa den US Inflation Reduction Act (IRA) oder Indiens Production Linked Incentive Programme –, die zeigen, wie gezielte Förderprogramme binnen weniger Jahre eine starke heimische Industrie aufbauen können.

Auch für Europa schlagen die Studienautor:innen ein leistungsabhängiges Unterstützungsprogramm vor, das Zuschüsse, Darlehen und Risikominimierungsinstrumente kombiniert. Es soll nicht nur den Aufbau neuer Fabriken erleichtern, sondern auch den laufenden Betrieb unterstützen und damit Investitionen dauerhaft absichern.

Makroökonomische Gewinne

Ein starkes Argument liefert die volkswirtschaftliche Rechnung: Würde Europa die angestrebte Produktionskapazität von 30 Gigawatt pro Jahr bis 2030 erreichen, könnten nach Einschätzung der Studie 2.700 neue Arbeitsplätze pro Gigawatt und Jahr entstehen. Zugleich würden Steuer- und Sozialabgaben von jährlich rund 66 Millionen Euro pro Gigawatt in die europäischen Haushalte fließen.

Die Analyse spricht von einem makroökonomischen Rückfluss von bis zu 39 Prozent der Fördermittel – ein beachtlicher Wert, der zeigt, dass staatliche Unterstützung kein Zuschuss ohne Gegenwert wäre, sondern zugleich Investition in Zukunftsfähigkeit und Wachstum.

Technologische Souveränität

Neben den ökonomischen Effekten steht auch die technologische Souveränität im Fokus. Eine europäische Solarproduktion stärkt lokale Lieferketten, schafft Resilienz gegen Handelsrisiken und erlaubt eine nachhaltigere Fertigung – mit kürzeren Transportwegen, höheren Umweltstandards und besserer Rückverfolgbarkeit der Materialien. Im Zusammenspiel mit dem steigenden Bedarf an Solartechnik in Europa ergibt sich so eine glaubwürdige Perspektive für Energieunabhängigkeit und grünes Wachstum.

Das EU-Ziel im Rahmen des Net-Zero Industry Act ist ambitioniert: Bis 2030 sollen 30 Gigawatt Produktionskapazität entlang der gesamten Solarwertschöpfungskette aufgebaut werden – von Wafern über Zellen bis hin zu Modulen. Laut der Studie ist das technisch machbar. Benötigt werden dafür sechs bis zehn Großfabriken mit jeweils drei bis fünf Gigawatt Jahresleistung – verteilt über verschiedene Mitgliedsstaaten.

Europa verfügt über die nötige Forschungsbasis und Ingenieurskompetenz, um dieses Vorhaben umzusetzen. Das Fraunhofer ISE gilt als eines der führenden Solar-Forschungsinstitute weltweit, und zahlreiche europäische Unternehmen arbeiten bereits an innovativen Zelltechnologien, etwa mit höherem Wirkungsgrad oder besseren Recycling-Eigenschaften. Diese Kombination aus technologischer Tiefe, politischer Weichenstellung und Klimaneutralitätszielen schafft ein einzigartiges Momentum für den Neustart der Solarproduktion „made in Europe“.

14,5 Prozent höhere Stromgestehungskosten in der EU als in China. Dieses Verhältnis hat eine neue Studie errechnet.

Wettlauf mit der Zeit

So vielversprechend die Perspektiven auch sind – der Bericht verschweigt die Herausforderungen nicht. Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung zwischen 1,4 und 5,2 Milliarden Euro jährlich wird Europa kaum in der Lage sein, seine Module zu konkurrenzfähigen Preisen herzustellen. Zudem warnt die Studie, dass NZIA-konforme Module aus der EU derzeit bis zu 5,8 Eurocent pro Watt teurer sind als vergleichbare Produkte aus anderen Weltregionen, die ebenfalls Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.

Diese Situation könnte zu einem Paradoxon führen: Strenge EU-Vorgaben – eigentlich gedacht, um lokale Produktion zu fördern – könnten stattdessen dazu beitragen, dass Importe aus Drittländern mit ähnlichen Standards zunehmen.

Hinzu kommt der Faktor Zeit. Produktionskapazitäten in großem Stil aufzubauen, dauert zwei bis drei Jahre. Wenn Europa nicht zügig die richtigen Anreize schafft, könnten Investoren sich anderen Märkten zuwenden – und das Fenster für eine eigenständige Industrie bis 2030 schließen.

Es liegt an uns, wie Walburga Hemetsberger, CEO von Solar Power Europe, betont: „Europa kann bis 2030 30 Gigawatt Solarproduktion schaffen, Tausende Arbeitsplätze bieten und eine widerstandsfähige Lieferkette aufbauen – wenn wir jetzt handeln.“

Mit Smart Wire Connection Technology hergestellter Zellstring im Module-Tec des Fraunhofer ISE

Foto: Fraunhofer ISE / Dirk Mahler

Mit Smart Wire Connection Technology hergestellter Zellstring im Module-Tec des Fraunhofer ISE

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