In Deutschland werden immer mehr Windparks erweitert. Dabei steigen die Herausforderungen in der Planung durch die Wechselwirkungen zwischen neuen und bestehenden Windenergieanlagen.
Standortspezifische Lastnachweise – Nachweis Lebensdauererhaltung für Nachbar-Windturbinen bei Repowering und Standorterweiterungen
Deutschlands Windenergie befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Repowering und Standorterweiterungen gewinnen zunehmend an Bedeutung, um bestehende Flächen effizienter zu nutzen. Doch in der Praxis zeigt sich: Die Planung neuer Windenergieanlagen wirkt sich nicht nur auf die neu zu errichtenden Anlagen selbst aus, sondern auch auf deren Umgebung.
Zusätzliche Anlagen verändern die Wind- und Turbulenzbedingungen und führen zu neuen Belastungssituationen für bestehende Windenergieanlagen. Genehmigungsbehörden reagieren darauf häufig mit Auflagen wie Last- oder Sektormanagement, wenn Grenzwerte für Wind- oder Turbulenzen überschritten werden. Für Projektierer bedeutet das Planungsunsicherheit, mögliche Konflikte mit Betreibern benachbarter Anlagen und auch wirtschaftliche Einschränkungen bei den neuen Projekten.
Neue Anlagen verändern nicht nur den Wind – sie verändern auch die Belastung ihrer Nachbaranlagen.
Technische Hintergründe
Die Hauptursache liegt in den Wake-Effekten: Neue Anlagen erzeugen Nachlaufströmungen mit veränderten Windgeschwindigkeiten und erhöhten Turbulenzen. Diese veränderten Strömungsbedingungen treffen auf bestehende Bestandsanlagen und erhöhen deren Lasten. Besonders kritisch ist die Turbulenzintensität (TI). Sie bestimmt maßgeblich die Ermüdungsbelastungen, die über die Lebensdauer einer Anlage auftreten. Je höher die TI, desto stärker die Lasten auf die Komponenten der Windenergieanlagen.
In vielen Fällen reagieren Behörden mit Lastmanagementauflagen für die geplanten neuen Windenergieanlagen. Dies reduziert deren Volllaststunden und mindert den Ertrag. Dabei ist nicht immer klar, ob die Belastungen tatsächlich so gravierend sind, dass das Erreichen der zertifizierten 20 Jahre der Nachbar-Windenergieanlagen gefährden. Genau hier setzt der standortspezifische Lastnachweis an.
Standortspezifischer Lastnachweis – Methodik
Ein standortspezifischer Lastnachweis überprüft, ob bestehende Nachbar-Windenergieanlagen trotz der veränderten Wind- und Turbulenzbedingungen ihre 20-jährige Entwurfslebensdauer erreichen können.
Die Grundlage für den standortspezifischen Lastnachweis bildet ein aeroelastisches Simulationsmodell der betrachteten Windturbine. Damit lassen sich die Lasten im ursprünglichen Entwurfszustand und unter den veränderten Wind- und Turbulenzbedingungen am geplanten Standort berechnen. Entscheidend ist hier die Gegenüberstellung: Welche Mehrbelastungen treten durch die neuen Verhältnisse auf, und wie wirken sie auf Nachbaranlagen?
Für ältere Anlagentypen war die Regelung oft weniger komplex, sodass sich ihr Betriebsverhalten mit etablierten Modellen robust abbilden lässt. Damit kann mit überschaubarem Aufwand ein belastbarer Nachweis zur Einhaltung der Entwurfslebensdauer erbracht werden.
Bei neueren Anlagen-Typen gestaltet sich die Erstellung realitätsnaher Modelle aber zunehmend schwieriger. Der Grund liegt in den komplexeren Reglerstrategien moderner Anlagen: Statt starrer Steuerungen kommen heute lastoptimierte, adaptive und vorausschauende Regelungen zum Einsatz, die dynamisch auf Turbulenzen, Windverteilungen und Netzanforderungen reagieren. Dadurch beeinflussen diese Eingriffe die Lasten in der gesamten Struktur erheblich und verändern die Belastungen der Anlage.
Klassische Modellierungsansätze stoßen hier an ihre Grenzen, da sie die Wechselwirkung zwischen Strömung, Struktur und Regelung nur unzureichend abbilden. Für einen zuverlässigen Lastnachweis sind detailliertere Informationen über das Reglerkonzept, die Regelparameter und deren dynamische Anpassung erforderlich. In der Praxis heißt das: Je neuer und regelungstechnisch ausgefeilter die Anlage ist, umso aufwendiger wird die Modellierung – und desto wichtiger sind präzise Eingangsdaten.
Mit dieser Methodik lässt sich jedoch nachvollziehbar und standortspezifisch nachweisen, ob geänderte Wind- und Turbulenzbedingungen durch neue Anlagen die Lebensdauer benachbarter Bestandsanlagen verkürzen und ob Auflagen wie Last- oder Sektormanagement erforderlich sind.
Praxisnutzen für Projektierer und Betreiber
Der standortspezifische Lastnachweis schafft Planungssicherheit – sowohl für die Projektierer neuer Anlagen als auch für Betreiber bestehender Windenergieanlagen.
Vorteile für Projektierer:
Reduktion oder Aufhebung von Lastmanagementauflagen
Klarheit gegenüber Genehmigungsbehörden und Investoren
Höhere Wirtschaftlichkeit der geplanten Windenergieanlagen
Vorteile für Betreiber bestehender Anlagen:
Sicherheit, dass die eigene Anlage trotz neuer Nachbarturbinen ihre Lebensdauer erreicht
Transparenz im Genehmigungsverfahren
Grundlage für eine mögliche Weiterbetriebsplanung über 20 Jahre hinaus
Fazit und Ausblick
Standortspezifische Lastnachweise sind ein wichtiges Instrument, um bei Repowering und Standorterweiterungen Planungssicherheit zu schaffen. Sie ermöglichen es, technische Realität und Genehmigungsanforderungen in Einklang zu bringen.
Für Projektierer bedeutet das mehr Ertrag und weniger Einschränkungen, für Betreiber von Bestandsanlagen mehr Sicherheit und Transparenz.
Damit leisten standortspezifische Lastnachweise nicht nur einen Beitrag zur Genehmigungssicherheit, sondern auch zur nachhaltigen Nutzung bestehender Standorte – ein entscheidender Faktor für den weiteren Ausbau der Windenergie in Deutschland.
Autor:
Nico Kaldun, Simulation and Load Engineer, Idaswind GmbH
IDASWIND
Foto: immimagery - stock.adobe.com
Die komplexen Regelungen moderner Windenergieanlagen stellen eine Herausforderung bei der Erstellung realitätsnaher Modelle für die Lastsimulation dar.
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