Bester Auftrieb in richtiger und flexibler Formation – Vogelflug als denkbares Vorbild für Windparks?
Offshore-Turbinen in der deutschen Nordsee schöpfen sich den Wind ab. Die Branche behilft sich mit Raumplanung und technischen Maßnahmen.
Tilman Weber
Nur noch 2.500 Volllaststunden bei besonders ungünstiger geografischer Lage und 3.000 Stunden rechnerische Auslastung im Jahr als Normalfall drohen einigen der kommenden Nordsee-Windparks in Deutschland. Es sind sehr geringe Werte im Vergleich zu den anfänglichen Ertragswerten der ersten deutschen Meereswindparks, die zusammengerechnet mehr als 4.000 Erzeugungsstunden bei voller Leistung versprachen. Doch tatsächlich könnten die Offshore-Windparks in den meisten der in den vergangenen beiden Jahren ausgeschriebenen Nordsee-Entwicklungszonen um diese 1.000 bis 1.500 Jahresstunden in ihrer Auslastung abfallen. Das deuteten vom Windenergieforschungsinstitut Fraunhofer IWES errechnete Szenarien schon 2023 an. Alleine künftige niederländische Windparks, die bezogen auf die Hauptwindrichtung stromaufwärts der deutschen See ab 2030 entstehen sollen, könnten mehr als 10 bis fast 18 Prozent der Erträge kosten. Denn ihre Rotoren verlangsamen im Szenario die Luftströmung über der See, verwirbeln sie und entziehen ihr Energie. Und schon die im europäischen Vergleich mit besonders dichtem Bestand geplanten deutschen Windparks erzeugen ertragsmindernde Nachlaufeffekte, weil ihre Turbinen sich gegenseitig den Wind abgraben.
18 Prozent weniger Erträge könnte die Windverschattung durch niederländische Windparks einige Offshore-Projekte in Deutschland vielleicht sogar kosten.
Wissenschaftler und Ingenieure mit Kenntnissen über Windströmung und Aerodynamik bekommen nun viel Arbeit, zum Beispiel erneut das Fraunhofer IWES im dreijährigen Forschungsprojekt Euro Wind Wakes: Bis Ende 2027 sollen die Forscher in einem Verbundprojekt mit Partnern in Dänemark und den Niederlanden bei einer Förderung von 800.000 Euro erreichen, dass sich die Nachlaufeffekte genauer berechnen lassen. Bisher gehen Windschattenkalkulationen mit Unsicherheiten von 20 bis 30 Prozent einher. Das Ende 2024 gestartete Projekt soll die Unwägbarkeit auf 10 Prozent senken, weil sonst Bieter in Ausschreibungen der Meereswindparkentwicklungsrechte ihre Gebote nicht präzise kalkulieren können und vor Auktionsteilnahmen künftig vielleicht zurückschrecken. Nutzen sollen genauere Kenntnisse der Wake Effects, wie dieWindschatten heißen, auch für volkswirtschaftliche und internationale Berechnungen über bessere Raum- aufteilungen der Nordsee-Windkraftzonen.
Das Jahr 2027 als Enddatum des Forschungsprojektes dürfte kein Zufall sein. Denn 2026 soll die Regierungsbehörde der Europäischen Union (EU), die EU-Kommission, einen Bericht über die Meeresraumplanungen der EU-Länder mit maritimen Raumordnungen erstellen. Und der könnte ab 2027 zu Empfehlungen der EU-Kommission für mehr grenzüberschreitende gemeinsame maritime Raumplanung führen. Also womöglich zu abgestimmten Offshore-Windkraft-Entwicklungsgebieten?
International abgestimmte Raumplanung
Auf der Offshore-Windenergiekonferenz Windforce im Juni in Bremerhaven ließen deutsche und niederländische Branchenakteure in einem Podiumsgespräch erkennen, wie schwierig eine international abgestimmte Raumplanung werden würde. Aber auch dass es weder technisch noch wirtschaftlich eindeutig ist, wie mit der Windverschattung umzugehen ist. „Vermutlich ist es der richtige Ansatz, dass sich die Europäer 2027 darüber verständigen“, wie sie sich bezüglich der Nachlaufeffekte über eine Zusammenarbeit in der Raumplanung verständigen, sagte die Geschäftsentwicklungs-Leiterin bei RWE Offshore, Anja Schmelz. Dennoch wolle sie die deutsche maritime Raumplanung mit ihrer geplanten hohen Leistungsdichte nicht grundsätzlich als ein Problem bezeichnen. Eine grenzüberschreitende Raumplanung sei wichtig, sagte der strategische Berater der niederländischen Unternehmensförderagentur Ruud de Bruijne, dennoch werde realistischerweise jedes EU-Land nach den Vorteilen fürs eigene Land schauen. Andere deutschen Branchenakteure wie der Geschäftsführer der deutschen Offshore-Windkraft-Sektion des dänischen Energieunternehmens Ørsted, Jörg Kubitza, plädierten schon vor der Konferenz für weniger dicht bestückte Offshore-Windparks in Deutschland. Kubitza will allerdings nicht auf die in Deutschland politisch anvisierte Nennleistung von 70 Gigawatt (GW) bis 2050 verzichten. Er plädiert stattdessen für einen zeitlich gestreckten Ausbau in Deutschland von 55 GW bei weniger nah aneinandergereihten Anlagenparks und mit Installation der noch zum deutschen Ziel fehlenden Nennleistung im benachbarten Dänemark. Hier konnten bisherKüstenstreifenstrecken noch unbeplant bleiben, weil das Land nicht den gesamten Meeresraum zur Versorgung einer viel kleineren Bevölkerung braucht. Stattdessen sollten in Dänemark errichtete Kapazitäten dann den Strom direkt nach Deutschland leiten, erklärt Ørsted.
20 Prozent Unsicherheit, bis sogar 30 Prozent, enthalten die Prognosen zur Beschreibung der Nachlaufeffekte hinter Windparks und zwischen den Turbinen. Das Forschungsprojekt Euro Wind Wakes soll die Unwägbarkeit auf 10 Prozent senken.
Dabei ist es volkswirtschaftlich und unternehmerisch sogar nicht immer sinnvoll, die Leistungsdichte zu senken. Zwar erhöhen weniger Turbinen deren Auslastung. Doch Beispielrechnungen des Fraunhofer IWES verdeutlichen, dass mehr Anlagen auf einem Windfeld auch dessen Erträge insgesamt erhöhen, vor allem in den rund 2.500 Stunden im Jahre eines Betriebs nahe der Nennleistungen der Anlagen. Zudem steigt der Ertrag mit höherer Leistungsdichte prozentual deutlich stärker an, als die Volllaststundenzahl dann relativ sinkt. Und selbst bei eine Installation von um die Hälfte weniger Turbinen – kalkuliert am Beispiel der 2025 zur Ausschreibung anstehenden Entwicklungsfelder N-9.4 und N-9.5 – steigert es die Volllaststunden und ebenso stark die Erträge der leicht im Windschatten dahinter gelegenen drei Felder nur um fünf Prozent. Diese, N-9.1, N-9.2 und N-9.3, mit zusammen 5,5 GW sind bereits mit Zuschlägen an Projektierer vergeben. Doch in den beiden neu zu vergebenden Zonen mit jeweils bis zu 1,2 GW würde der Ertrag bei halbierter Nennleistung um 40 Prozent zurückgehen, obwohl um 19 Prozent mehr Volllaststunden herausspringen würden.
Die Berechnung dieses Beispiels hat einen realen raumplanerischen Hintergrund: Die Bundesnetzagentur wird die zwei ursprünglich für je zwei GW ausgelegten Felder nur an einen einzigen Netzanschluss einer typischen Zwei-Gigawatt-Umspannstation anlegen und somit die Netzanschlusskosten halbieren. Zugleich soll in beiden Windfeldern eine Nennleistungsüberplanung von bis zu jeweils 1,2 GW erfolgen. Dies wirddie Anschlussstation sehr häufig voll auslasten und eine stabile Grundleistung an Land liefern lassen. Aufgrund einer Leistungsspitzenkappung zum Schutz vor einer Überlastung des verknappt ausgelegten Anschlusses müssen die Windparks auf Teilerträge verzichten.
Nichts ist umsonst zu haben
Was letztlich wirtschaftlicher ist oder technisch anlagenschonender, müssen wohl Strommarkt und Betriebsführung dieses Modells noch belegen. Doch auf der jährlichen Wake Conference im schwedischen Visby machen sich längst Wissenschaftler auch Gedanken darüber, wie sich durch kluge Parksteuerung die Nachlaufeffekte wenn nicht unschädlich machen so doch als weniger ertragsbremsend umdesignen lassen.
Luftstromdesign mit dem Rotor
Dieses Luftstromdesign sei durch einen asymetrisch eingestellten Rotor möglich, sagt der Aerodynamiker Peter Schaffarczyk von der Hochschule FH Kiel. Würde ein Rotorblatt durch eine leicht andere Stellung als die anderen die Windströmung etwas anders umformen, als die beiden Nachbarblätter, könnte ihr Nachlauf statt den Nachlauf der anderen Blätter zu verstärken diesen Nachlauf ablenken. „Dann würde ein mäandernder Luftstrom entstehen, mit weniger starker Wirkung auf nachfolgende Anlagen“, erklärt Schaffarczyk. Auch durch gezielt gegenläufig rotierende Nachbarwindturbinen ließe sich so ein Effekt erzielen. Allerdings könne die Folge eine instabilere Anlagenführung mit möglicherweise höheren Lasten für die Turbine sein. „Nichts ist umsonst zu haben“, sagt Schaffarzyk.
Der seit September 2023 in den Ruhestand gewechselte emeritierte Professor für Strömungsmechanik und Strömungsdynamik bei Windturbinen hat bis 2024 aber noch selbst in einem Forschungsprojekt an der Entwicklung eines Rotorblattprofils gearbeitet, das womöglich weniger anfällig gegen Nachlaufeffekte wäre und vor allem bis zu vier Prozent mehr Ertrag einbringen könnte. „Diese vier Prozent kämen sogar schon einer Verdoppelung des Gewinns gleich“, sagt der Kieler Forscher.
Das von Schaffarczyk angeleitete Forschungsteam entwickelte ein Blattprofil für den Bereich im inneren Rotorfünftel nahe der Nabe, wo die Blattdesigner gewöhnlich auf Profile verzichten. Doch die Kieler Wissenschaftler ermittelten einen tropfenförmigen Querschnitt, der eine maximale Beschleunigung der Luftumströmung und dadurch einen Auftrieb erreicht, und der zugleich eine unproblematische Blattfertigung erlaubt. Denn bisher verzichteten Rotorblattbauer auch deshalb auf ein Profil nahe der Nabe, weil die Fertigung in den Blattschablonen damit bisher viel aufwändiger geworden wäre. Nun konnte Schaffarczyks Team vorrechnen, wie sich eine Profilspitze in der Nabennähe schräg abschneiden lässt und damit zu Materialeinsparungen führt und die Kantenbruchgefahr reduziert – ohne dass der Vorteil des tropfenförmigen Profils verloren geht. „Der Wind nimmt es nicht übel, dass wir das spitze Ende der Tropfenform abgeschnitten haben. Denn er fließt bei unserem Profil genauso ums Blatt, als wäre die Spitze noch dran.“
Geeignete Instrumente zur Reduzierung des Wake-Effekts sind gemäß Aerodynamikern wie Schaffarczyk und offenbar auch gemäß Entwicklern der Windturbinenbauer weitere Windparksteuerungskonzepte. Dazu zählen Steuerungen, die bei vorhandener Hauptanströmrichtung die erste Turbinenreihe schräg in den Wind stellt. Das würde zwar die Erträge dieser ersten Reihe senken. Doch würde es Nachläufe umso mehr verringern.
Digitale Steuerung mindert Effekte
Jörge Schneemann an der Uni Oldenburg warnt vor zu hohen Erwartungen über eine tatsächliche Umsetzung von Anti-Wake-Maßnahmen in der Betriebsführungspraxis. Der Windkraftwissenschaftler lobt zwar, dass „mit Ingenieursmodellen für die Windparkplanung“ immerhin die Windschatten der Anlagen in einem Windpark aufeinander „sehr genau prognostiziert“ werden könnten. Doch Maß- nahmen wie andere Blattprofile, individuelle Einzelmaßnahmen wie andere Blattprofile, individuelle Einzelturbinensteuerung, Schrägstellung von Anlagen zur Windrichtung mit dem Ziel schmalerer Nachläufe oder zum Beispiel ein Wechsel von höheren und tieferen Nabenhöhen „werden derzeit nicht oder höchstens sehr vereinzelt umgesetzt“.
Dem widerspricht aber grundsätzlich zum Beispiel das Offshore-Windparks entwickelnde und betreibende Energieversorgungsunternehmen EnBW. Unter anderem setze EnBW „hierfür künstliche Intelligenz ein. Die Lieferanten von Windkraftanlagen bieten auch Features an, die Wake-Effekte durch digitale Steuerung und physikalisch-aerodynamisch angepasste Konstruktionen mindern“.
Foto: pxhere.com (CC0)
Windschatten, optimaler Auftrieb oder schlicht entschiedener sauberer Flug im kraftgebenden Gleichtakt. Was für Offshore-Windturbinen das beste wäre, müssen Forschung und Windparkbetreibende herausfinden.
Foto: Raake - FRS Helgoline
Windkraftfläche mit reichlich Durchzug oder verwirbelte Nachbarschaft im Windschatten eines dichten Turbinenforstes?
Leistungsdichte
Megawatt/Quadratkilometer ist die Vermessungsgröße, mit der sich die enge Planung mit viel Nennleistung in der deutschen Nordsee berechnen lässt. Sie wird nach Ausbau von geplanten 70 Gigawatt Windkraft bis 2050 im Mittel 9,2 Megawatt pro Quadratkilometer betragen.
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