Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search

Wasserstoff zwischen Ambitionen und Realität

Fabian Kauschke

Zwischen zwei Extremen bewegt sich der Hochlauf des grünen Wasserstoffs in Deutschland. Zum einen steigt die Anzahl und Leistung an Elektrolyseprojekten rasant an. Marktanalysen des Branchenverbands „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft“ zeigen, dass sich bereits jetzt erneuerbare H2-Projekte mit einer Leistung von über elf Gigawatt in der Planung befinden. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hatte 2023 in der Fortsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie zehn Gigawatt bis 2030 als Ziel ausgegeben. Gleichzeitig errichten Elektrolyseur-Hersteller Fertigungsanlagen mit einer Produktionskapazität von einem Gigawatt pro Jahr, etwa der Technologiekonzern Andritz in Erfurt, oder Stadtwerke nehmen die regionale Energiewende selbst in die Hand, wie der Bau eines Wasserstoffhubs in Stuttgart beweist. Es zeigt, die Branche ist ambitioniert, den Wasserstoffhochlauf zu bewerkstelligen.

11 Gigawatt Elektrolyseleistung befinden sich in Deutschland bereits in der Planung.

Gäbe es da nicht die andere Seite. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat 1.232 weltweit angekündigte Wasserstoffprojekte untersucht. Das Ergebnis: Nur sieben Prozent der ursprünglich für 2023 angekündigten Wasserstoff-Produktionskapazität wurden rechtzeitig fertiggestellt. Als einer der Hauptgründe für diesen Stand wird die fehlende Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff genannt. Ein Merkmal, das Unternehmen zu spüren bekommen und aus dem sie ihre Schlüsse ziehen. So hat beispielsweise der norwegische Energiekonzern Statkraft beschlossen, keine neuen Projekte zu entwickeln. Wir zeigen: Welche Leistungen und Lösungen bringen die Energiewende mit Wasserstoff dennoch voran?

Bedarfsgerechte Versorgungswege

Die schwierige Wettbewerbsfähigkeit weist grüner Wasserstoff auf, weil er aktuell zwei- bis dreimal so teuer wie grauer Wasserstoff ist. Eine Problematik, die der Energie- und Kraftstoffhändler Westfalen bemerkt. „Ein Preis, der trotz einer hohen Nachfrage gerade von vielen kleinen bis mittelständischen Unternehmen schnell zu einem K.-o.-Kriterium werden kann“, sagt Nicolas Dohn, Head of Hydrogen bei Westfalen. Eine Möglichkeit gegenzusteuern sei es, die von der Europäischen Union geforderten Kriterien Zusätzlichkeit und Gleichzeitigkeit zu lockern. In der aktuellen Form würden diese eine wirtschaftliche Produktion von grünem Wasserstoff massiv erschweren.

7 Prozent der ursprünglich für 2023 angekündigten weltweiten Wasserstoffprojekte wurden rechtzeitig vollendet.

Das Unternehmen bietet Leistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an und legt besonderen Wert auf die Versorgung von Kunden mit einer H2-Trailer-Flotte. Darin sieht Westfalen eine sinnvolle Ergänzung für das Wasserstoff-Kernnetz, das vor allem für Abnehmer mit hohem und konstantem Bedarf ausgelegt ist. „Für viele kleine und mittelständische Unternehmen sind flexible, bedarfsgerechte und dezentrale Versorgungswege über Trailer effizienter, da die Kosten für einen Netz­anschluss wirtschaftlich meist nicht im Verhältnis zur benötigten Menge stehen“, betont Nicolas Dohn. Der zukünftige Transport von Wasserstoff besteht für Westfalen aus einer Kombination aus zentralen und dezentralen Konzepten. Bereits seit 2016 betreibt der Kraftstoffhändler eine Wasserstoff-Tankstelle in Münster-Amelsbüren, die damit zu den ersten Versorgungsstätten in Nordrhein-Westfalen gehört hat. Sie wurde 2024 weiter aufgerüstet und um eine Vorkühlung ergänzt. Die Betankung eines Lkws mit 20 Kilogramm Wasserstoff dauert damit rund 15 Minuten. Weitere Tankstellen sollen zukünftig im Umfeld von Logistikzentren in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen entstehen. Damit die Nachfrage nach stationären Tankstellen, insbesondere aus dem Schwerlastverkehr, steigt und ein wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet werden kann, braucht es für Westfalen ein wesentlich größeres H2-Tankstellennetz, als wir es derzeit in Deutschland vorfinden.

Zertifizierung im Aufwind

Während einige Bereiche der Wasserstoffbranche auf politische Signale warten, kann die Zertifizierung Fortschritte verbuchen. Seit Februar 2025 können von dem Umweltbundesamt anerkannte Zertifizierungsstellen RFNBO-Produzenten und -Händlern Nachweise für nicht biogene, erneuerbare Kraftstoffe ausstellen. TÜV Süd gehört zu den zugelassenen Zertifizierern und hat bereits erste Zertifizierungen nach allen drei zugelassenen Zertifizierungssystemen (Certifhy EU, ISCC EU und Redcert EU) erfolgreich abgeschlossen. Um ein Zertifikat zu erhalten, müssen Produzenten oder Händler ein System vorweisen, das die Anforderungen des gewählten Zertifizierungssystems vollständig erfüllt. Damit die Ausstellung von Nachweisen nicht wegen der personellen Möglichkeiten zurückbleibt, bieten digitale Plattformen Hilfsmittel, um die Automatisierung und Standardisierung der Prozesse voranzutreiben. „Wir sehen, dass digitale Werkzeuge den Zertifikatnehmer sowohl bei der Einführung eines zertifizierfähigen Systems als auch bei den Berechnungs- und Dokumentationspflichten während einer laufenden Zertifizierung unterstützen können“, sagt Michael Landspersky, Umweltgutachter bei TÜV Süd. Der zeitliche Aufwand für die Einführung eines zertifizierfähigen Systems von drei bis sechs Monaten wird nach Erfahrungen der Gutachter häufig unterschätzt. „Da Nachhaltigkeitszertifizierungen für einige Unternehmen vollständiges Neuland sind, kann in solchen Fällen die Einschaltung eines in diesem Bereich erfahrenen Beratungsunternehmens eine in Summe effizientere und schnellere Lösung darstellen“, verdeutlicht Landspersky.

Gesamte Wertschöpfungskette abgedeckt

Standardisierte Zertifizierungen gewinnen insbesondere dann an Bedeutung, wenn die Produktionskapazitäten wachsen. So entsteht beispielsweise in Emden eine der ersten Elektrolyseanlagen in Deutschland im industriellen Maßstab. Die 320-Megawatt-Anlage ist Teil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Großprojekts „Clean Hydrogen Coastline“. ILF Consulting Engineers unterstützt das Projekt mit der Detailplanung sowie der Bau- und Inbetriebnahmeüberwachung. Das Beratungs- und Ingenieursunternehmen ist an Vorhaben beteiligt, die die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Ein entscheidender Bestandteil davon ist der Infrastrukturausbau. Die Planungsleistungen der Ingenieure umfassen sowohl 100-prozentige Wasserstoffleitungen als auch H₂-ready-Pipelines, die perspektivisch auf Wasserstoff umgestellt werden können. Der Ausbau von Transportmöglichkeiten für Wasserstoff gehört somit zu den wichtigsten Voraussetzungen für den H₂-Hochlauf. ILF betont: „Ein funktionierender Wasserstoffmarkt benötigt aus unserer Sicht einheitliche Investitionsanreize, die notwendige H₂-Infrastruktur und einen CO₂-orientierten europäischen Marktrahmen, der Investitionssicherheit durch eine stabile Energiepolitik ermöglicht.“

„Ein regionales Wasserstoffkonzept kann die Basis bilden für die ökonomische und strukturelle Entwicklung einer Region.“

Thomas Kattenstein,
Manager Competence Center Hydrogen

Dass die gesamte Wertschöpfungskette auch in einem geschlossenen System abgedeckt werden kann, zeigt ein Projekt von Eurowind Energy in Stadtallendorf. Ein Elektrolyseur erzeugt Wasserstoff, der über Leitungen mit dem Produktionsbereich einer Eisengießerei verbunden sein wird. Das Wasserstoffwerk erhält außerdem eine Verdichtungsstation sowie ein Lager für gasförmigen Wasserstoff. Der für die Elektrolyse notwendige Strom wird mittels Direktleitungen aus neu zu errichtenden Windkraft- und Photovoltaikanlagen bereitgestellt. Das Projekt wird mit 5,8 Millionen Euro gefördert. Eine Unterstützung, die für Eurowind Energy wesentlich zum Erfolg des Projekts beiträgt, da das Vorhaben ansonsten nicht realisierbar wäre.

Regionale Wasserstoffkonzepte

Wo bislang keine großen Produktionsanlagen geplant werden und der Anschluss an das Wasserstoff-Kernnetz in weiter Ferne liegt, nehmen Kommunen und Stadtwerke die regionale Energiewende mit grünem Wasserstoff in die eigene Hand. „Ein regionales Wasserstoffkonzept kann die Basis bilden für die ökonomische und strukturelle Entwicklung einer Region“, sagt Thomas Kattenstein, Manager Competence Center Hydrogen bei DMT Energy Engineers. Das Unternehmen der TÜV-Nord-Gruppe unterstützt unter anderem lokale Projekte bei dem Aufbau einer regionalen Wasserstoffwertschöpfung. Im Rahmen des Konzepts werden mögliche Versorgungswege – entweder via Elektrolyse, Kernnetz oder Derivat – geprüft, in mögliche Business-Cases überführt sowie die Verteilinfrastrukturen analysiert. Beides wird in das Gesamtkonzept integriert und in konkreten Handlungspfaden sowie Zeithorizonten festgehalten. Neben den Versorgungs- und Infrastrukturanforderungen sei vor allem der Einbezug der lokalen Akteure entscheidend für den Erfolg. „Jedes Konzept ist eine individuelle Leistung, die die Region sowie ihre spezifischen Anforderungen in den Mittelpunkt stellt“, erklärt Thomas Kattenstein.

Gleichstromquellen für jede Anwendung

Die Komplexität von Elektrolyseprojekten zeigt eine notwendige Schnittstelle, die gern übersehen wird: die Gleichstromanlage. Diese sorgt bei Elektrolyseanwendungen dafür, dass elektrischer Strom in einer konstanten Richtung durch die Elektrolytlösung fließt, und garantiert damit einen reibungslosen Ablauf der chemischen Reaktion. Plating Electronic fokussiert sich auf Gleichstromlösungen für alle gängigen Elektrolyseverfahren, Power-to-X und Chlorelektrolyse-Anwendungen. Die Gleichstromquellen gewährleisten eine dynamische Anpassung der Ausgangsleistung bei einem Wirkungsgrad über 96 Prozent bei Nennleistung.

„Wir befinden uns immer noch in einer Übergangsphase von Pilot- zu Großanlagen.“

Sebastian Rieder,
Sales Engineer bei Plating Electronic

Nach derzeitigem Entwicklungsstand kann Plating Electronic Gleichstromquellen bis zu einer elektrischen Leistung von fünf Megawatt realisieren. Die anwendungsspezifische Konfiguration der Quellen ist aktuell notwendig, da der Hersteller keine einheitlichen Standards bei den Elektrolyseverfahren feststellen kann. Insbesondere bei Wasserstoffanwendungen würden die erforderlichen Spannungs- und Stromvorgaben durch die Stacks erheblich variieren. „Wir befinden uns immer noch in einer Übergangsphase von Pilot- zu Großanlagen. Dieser Übergang ist teilweise sehr komplex, weil eine einfache Skalierung doch noch einige technische Hürden überwinden muss“, sagt Sebastian Rieder, Sales Engineer bei Plating Electronic. Weiterentwicklungspotenzial sieht er in der Verbesserung der Systemeffizienz und der Haltbarkeit von Elektroden und Membranen.

Neben der Gleichstromquelle ist ebenso der Kompressor ein entschiedenes Bauteil für die Er­zeugung von Wasserstoff. Die meisten industriellen Anwendungen, bei denen Wasserstoff zum Einsatz kommt, erfordern eine mechanische Verdichtung, um den Druck von 20 bis 30 Bar auf 50 bis 200 Bar, je nach Anforderungen der End­anwendung, zu erhöhen. Das Produktportfolio des mittelständischen Unternehmens Neuman & Esser beinhaltet daher neben Elektrolyseuren auch Kompressoren sowie Reformer. Damit der Wasserstoffhochlauf weitergehen kann, ist für Neumann & Esser besonders die Preisstabilität von grünem Wasserstoff ausschlaggebend: „Unserer Überzeugung nach wäre es am wichtigsten, mithilfe staatlicher Förderung die Wirtschaftlichkeitslücke zwischen der fossilen und der grünen Energie zu schließen.“

Jetzt weiterlesen und profitieren.

Mit unserer Future Watt Firmenlizenz top informiert und immer auf dem neuesten Wissenstand in ihrem Fachgebiet.

+ Unbegrenzter Zugang zu allen Future Watt Inhalten
+ Vergünstigte Webinarteilnahme
+ E-Paper Ausgaben
+ Sonderhefte zu speziellen Themen
+ uvm.

Wir haben die passende Lizenz für Ihre Unternehmensgröße!

Mehr erfahren

Tags