Rohreinzug: Im EWE-Gebiet sind viele Kunden vom Gas abhängig.
Das Erdgasnetz soll zum Teil für Wasserstoff umgerüstet werden. Dennoch macht die Wärmewende wohl viele Rohre überflüssig.
Katharina Wolf
Die Nachricht sorgte für bundesweites Aufsehen: Im vergangenen Jahr kündigte der Mannheimer Versorger MVV Energie an, er wolle sich bis 2035 aus dem Gasnetz der Stadt Mannheim zurückziehen. Das Land Baden-Württemberg will zwar erst 2040 Klimaneutralität erreichen, aber: „Wir erwarten, dass Erdgas und damit auch das Gasverteilnetz schon deutlich früher stark an Bedeutung verlieren wird“, sagt Alexandra Halkenhäuser, Projektleiterin Wärmewende bei der MVV. Deshalb habe das Unternehmen seinen Kunden einen zeitlichen Korridor mit dem Jahr 2035 als Orientierungspunkt nennen wollen.
Diese Ankündigung zeigt, wie die Wärmewende bereits an Fahrt aufgenommen hat. Die Kommunen arbeiten an Wärmeplanungen, die einen Ausstieg aus fossilen Heiztechniken ermöglichen, oder haben sie, wie die Stadt Mannheim, bereits fertiggestellt. Demnach sollen dort vor allem zwei Möglichkeiten genutzt werden: Fernwärme und Wärmepumpen. Schon jetzt werden 60 Prozent des Wärmebedarfs über Fernwärme gedeckt, 2035 sollen es dann laut MVV 75 Prozent sein. Und das Erdgasnetz, das derzeit noch rund 18.000 Gebäude und 25.000 Gasheizungen versorgt? Wird dann wohl nicht mehr für die Versorgung von Haushaltskunden gebraucht.
60 Prozent des Wärmebedarfs der Stadt Mannheim werden über Fernwärmenetze gedeckt.
Wie der MVV AG geht es vielen der über 700 Gasverteilnetzbetreibern in Deutschland. Aktuell verfügt Deutschland laut Energiewirtschaftsverband BDEW über ein Gasnetz von mehr 600.000 Kilometern Länge, davon rund ein Drittel Niederdruckleitungen. Aber was wird aus dem Netz, wenn kein Erdgas mehr zum Heizen gebraucht wird?
Rückbau, Stilllegung und Umwidmung für Wasserstoff und Biomethan liegen als Optionen auf dem Tisch. Der Rückbau erscheint Experten unwahrscheinlich: Die Kosten schätzt der BDEW auf etwa 200.000 bis 400.000 Euro pro Kilometer, eine Stilllegung schlüge demnach mit etwa 10.000 bis 50.000 Euro pro Kilometer zu Buche. Allerdings: Die konkreten Kosten hingen von den spezifischen Gegebenheiten vor Ort ab und könnten stark variieren, schrieb der Verband 2024 an das Bundeswirtschaftsministerium.
Dort hatte man damit begonnen, sich um die rechtlichen Grundlagen zu kümmern, die die Transformation des Gasnetzes mit sich bringt, und das Green Paper „Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze“ mit 33 Fragen an Netzbetreiber und Kommunen verschickt. Schließlich müssen die Vorgaben des EU-Gas/H2-Binnenmarktpakets, das einerseits den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und andererseits den Ausstieg aus dem Erdgasnetz regelt, bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Der Prozess läuft, Details aber könnten noch nicht genannt werden, heißt es aus dem Ministerium: „Die Kommunen arbeiten jetzt im ersten Schritt an der Wärmeplanung und werden dabei entscheiden, wo sie auf Fernwärme setzen und wo Gasverteilernetze auf Wasserstoffnetze oder Biomethan umgewidmet werden sollen.“ Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung versprochen, die EU-Gasbinnenmarktrichtlinie „zügig“ umzusetzen. Gleichzeitig sollen „Gasnetze erhalten bleiben, die für eine sichere Wärmeversorgung notwendig sind“.
Technisch ist die Umrüstung kein Problem
Aber welche Teile des Netzes sind notwendig und können sinnvoll umgerüstet werden? Technisch sei das kein Problem, versichert der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Erste Pilotprojekte laufen bereits, und auch am Wasserstoff-Kernnetz, das teilweise aus umgerüsteten Leitungen bestehen soll, wird gebaut. „Wir gehen davon aus, dass auch auf Verteilnetzebene Leitungen umgewidmet werden“, sagt Frank Dietzsch vom DVWG. „Wir brauchen nicht nur die Autobahn des Kernnetzes, sondern auch die Verteilnetze, weil Mittelstand- und Industriekunden mit Wasserstoff oder Biomethan versorgt werden wollen.“ Nicht überall sei zudem eine Umstellung auf Fernwärme oder Wärmepumpe sinnvoll. „Die Kommunen müssen genau prüfen, welcher Aufwand für welche Technik erforderlich ist“, so Dietzsch. Es könne die sinnvollste Lösung sein, das Verteilnetz weiterzubetreiben, um auch Haushaltskunden mit grünem Gas zu beliefern.
Bei den Netzbetreibern sieht man diese Option nicht. „Wasserstoff und Biomethan stellen keine realistischen Optionen für die Gebäudeheizung dar“, sagt Alexandra Halkenhäuser von der MVV. „Sie stehen weder in ausreichenden Mengen noch zu vertretbaren Preisen zur Verfügung.“ Auch für Gewerbekunden sei Elektrifizierung häufig die Antwort. Nur bei industrieller Prozesswärme könne Wasserstoff eine Option zur Dekarbonisierung sein.
Wir gehen davon aus, dass auch auf Verteilnetzebene Leitungen umgewidmet werden.
„Es wird bestimmte Bereiche geben, die von der Gasversorgung abgekoppelt werden – dies passiert aber erst dann, wenn für die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher Erdgas keine Rolle mehr spielen wird“, sagt auch Elfried Dieling, Leiter Asset Management Energie bei EWE Netz in Oldenburg. Anders als die MVV mit ihrem hohen Anteil von Fernwärme versorgt die EWE ein ländliches Gebiet im Nordwesten Deutschlands, in dem Heizen mit Erdgas eine besondere Bedeutung hat: Schon in den 1960er-Jahren belieferten Erdgasfelder im Cloppenburger Raum die nahe gelegene Stadt Oldenburg per Pipeline. Aktuell sind rund 800.000 Kunden an das Gasnetz angeschlossen.
Welche Gebiete künftig stillgelegt werden könnten, will der Netzbetreiber anhand der kommunalen Wärmeplanungen identifizieren. „Derzeit gibt es aber noch keinen Plan zur Stilllegung“, so Dieling. „Wir planen mit Blick auf die Klimaneutralität 2045.“ Er hält es jedoch für sinnvoll, die regionalen Erdgas-Teilnetze nicht zu früh endgültig stillzulegen. „Im Wasserstoff-Kernnetz verbaute T-Stücke könnten später als Abzweigmöglichkeit genutzt werden, um regionale Erdgasnetze anzuschließen und über diese dann Wasserstoff zu transportieren.“ Gerade für Mittelzentren, die über größere Verbraucher für Wärme und stoffliche Nutzung aus Gewerbe und Industrie verfügen, könne sich das auszahlen.
Was wird aus den Netzentgelten?
Nicht zu vernachlässigen sind zudem die Kosten für alle, die – gewollt oder ungewollt – weiterhin mit Erdgas heizen, denn hier verbirgt sich sozialer Sprengstoff. Da ist zum einen der CO2-Preis: 2027 löst der EU-Emissionshandel (ETS-2) das deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz in den Bereichen Verkehr und Gebäude ab. Experten rechnen mit deutlich steigenden Kosten für eine Tonne CO2. Zum anderen werden die Netzentgelte, mit denen die Betreiber ihre Kosten auf die Kunden umlegen, aus immer weniger Portemonnaies bezahlt werden müssen.
Damit die Kosten nicht überschießen, hat die Bundesnetzagentur die Abschreibungszeiten flexibilisiert. So können in Ausnahmefällen Teile von Gasnetzen bis 2045 abgeschrieben werden, in absoluten Ausnahmefällen sogar über dasJahr 2045 hinaus. Die Idee dahinter: Die Kosten sollen zeitlich so verteilt werden, dass sie noch möglichst viele Kunden tragen können.
Doch noch sind viele Fragen ungeklärt, während die Zeit läuft: Bis 2035, dem „Orientierungspunkt“ der MVV, sind es nur noch zehn Jahre, die Klimaneutralität will Deutschland in 20 Jahren erreichen. Wer glaubt, dass das lang ist, sollte sich vor Augen halten: Durchschnittlich laufen Gasheizungen 15 bis 20 Jahre, oft sogar noch länger.
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