Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search

„Ausbildungsquote niedriger als der Krankenstand“

Katharina Wolf

Herr Messerschmidt, Sie sind seit Jahren für die IG Metall in der Windbranche unterwegs. Wie erleben Sie die aktuelle Stimmung unter den Beschäftigten?

Heiko Messerschmidt: Ich würde sagen abwartend und besorgt. Abwartend, weil alle darauf warten, wie sich die Bundesregierung aufstellt. Alle haben den Koalitionsvertrag gelesen und wahrgenommen, dass es eine Kontinuität bei den Ausbauzielen geben soll. Besorgt durch Äußerungen der Bundeswirtschaftsministerin, die einige Fragezeichen aufwerfen, was den Kurs der Bundesregierung betrifft. Die Sorge besteht, dass wir in eine Situation geraten wie zu Zeiten der Strompreisbremse des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier.

Das hatte damals erhebliche Auswirkungen auf die Branche, wenn auch mit einem Zeitverzug von etwa anderthalb Jahren. Damals gingen Tausende Arbeitsplätze verloren. Die Kollegen haben es analog zu den politischen Entscheidungen miterlebt, wie Betriebe wie Senvion geschlossen wurden. Wir verlieren auch zurzeit Jobs, besonders im Zuliefererbereich, wo es Verlagerungen ins Ausland gibt. Es ist kein Selbstläufer, dass wir die Windindustrie in Deutschland halten können.

Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel in der Branche groß. Wie wirkt sich die Verunsicherung auf die Fachkräftesuche aus?

Heiko Messerschmidt: Sie hat Auswirkungen auf die Grundhaltung und Stimmung. Meldungen über das Monitoring der Energiewende und Arbeitsplatzabbau in der Zulieferkette sind Gift für die Branche. Sie werfen Zweifel auf, ob es der richtige Schritt ist, sich in dieser Branche zu bewerben.

Um die Arbeitsplätze zu erhalten, neue Fachkräfte zu gewinnen und den Industriestandort Deutschland, der ja elektrisch sein wird, zu halten, brauchen wir politische Stabilität und einen Ausbau der Erneuerbaren. Wir müssen den Menschen zeigen, wo die Zukunftsfelder sind und dass erneuerbare Energien entscheidend für diese Zukunft sind. Wir haben klare Maßnahmen für den Umstieg und wollen, dass neue, gute Arbeitsplätze entstehen.

Elektriker werden besonders gesucht, aber das gilt nicht nur für die erneuerbaren Energien – da gibt es starke Konkurrenz aus anderen Branchen.

In welchen Bereichen ist denn der Fachkräftemangel besonders hoch?

Heiko Messerschmidt: Elektriker werden besonders gesucht, aber das gilt nicht nur für den Bereich der erneuerbaren Energien – da gibt es starke Konkurrenz aus anderen Branchen. Es gibt außerdem einen hohen Bedarf im Bereich Service. Wir sehen aber auch in der Fertigung einen Aufbau, wie bei Siemens Gamesa in Cuxhaven. Allerdings gibt es, wie gesagt, auch Personalabbau und Standortschließungen mit Verlagerungen ins Ausland.

Welche Rolle spielt die Ausbildungsbereitschaft? Die Windbranche ist nicht für eine hohe Ausbildungsquote bekannt.

Heiko Messerschmidt: Die Ausbildungsbereitschaft ist nicht ausreichend, da könnte die Branche mehr tun: Die Ausbildungsquote liegt bei drei Prozent, das ist niedriger als der Krankenstand.

Wir sehen aber auch, dass viele Betriebe sich engagieren, aber nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden können. Das hängt mit dem Image und den Arbeitsbedingungen zusammen: Unternehmen mit Tarifverträgen haben eine höhere Ausbildungsquote und können Lehrstellen besser besetzen. Gleichzeitig ist in anderen Branchen wie in der Elektroindustrie, die um dieselben jungen Leute werben, die unbefristete Übernahme Standard. Da könnte die Windbranche mehr tun.

Es gibt andere Branchen, die stark unter Druck stehen. Könnten nicht Fachkräfte aus der Automobilindustrie oder aus dem Schiffbau in die Windindustrie wechseln? Was müsste dafür getan werden?

Heiko Messerschmidt: Das ginge, aber es ist nicht einfach, Menschen von einer Branche in die andere zu bewegen. Man muss das ganzheitlich angehen und sich die Chancen und Herausforderungen genau ansehen. Da geht es um regionale Flexibilität bei den Menschen. Es geht um Arbeitsplätze für die Partner, um Schulen für die Kinder, um bezahlbaren Wohnraum. Aber es gibt auch andere Ansätze: Der Schiffbau kann eine wichtige Rolle beim Bau von Konverterplattformen für die Offshore-­Windenergie spielen. In Rostock und auch bei der Meyer Werft in Papenburg sind wir da auf einem guten Weg. Hoffentlich gibt es spätestens Anfang des kommenden Jahres einen konkreten Auftrag. So trägt die Energiewende dazu bei, Industriearbeitsplätze in Deutschland zu halten und die Energieversorgung resilienter zu machen.

Sie haben gesagt, dass man den Fach­kräfte­aspekt ganzheitlich betrachten muss, auch den Quereinstieg und die berufliche Weiterbildung. Welche Rolle spielen Kommunikation und Image der Branche?

Heiko Messerschmidt: Das Image ist wichtig, und da haben die erneuerbaren Energien einen Riesenvorteil: Sie bieten jungen Menschen sinnvolle Arbeit mit Zukunftsperspektive. Da kommt aus der Branche auch schon sehr viel. Saubere Energie und gute Arbeit müssen aber Hand in Hand gehen. Das Image allein reicht nicht. Es kommt auch auf die klassischen Themen wie Tarifbindung, gute Ausbildung und Brücken für den Quereinstieg an. Die Windbranche ist ja eine Quereinstiegsbranche – spezielle Ausbildungsberufe gab es lange gar nicht. Diese Erfahrung kann man noch besser ausspielen. Gleichzeitig spielt die Zuwanderung von Fachkräften eine wichtige Rolle, gerade in den international besetzten Teams der Offshore-Branche.

Sie wechseln jetzt nach 17 Jahren an der Küste nach Berlin in das Hauptstadtbüro des IG-Metall-Vorstandes. Was geben Sie der Windindustrie mit auf den Weg?

Heiko Messerschmidt: Das Entscheidende ist, weiterhin Wind zu machen für die Branche und sich dabei mit anderen starken Partnern wie den Gewerkschaften zusammenzutun. Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Doch das Positive ist: Wir sind abhängig von den politischen Rahmenbedingungen und die sind kein Naturgesetz. Sie lassen sich gestalten. Wir müssen auch weiterhin daran arbeiten, die Politik und die Menschen zu überzeugen, und das gelingt am besten, wenn wir etwas Konkretes vorzuweisen haben: gute Arbeitsplätze und einen starken Industriestandort Deutschland. 

In den erneuerbaren Energien könnten zahlreiche neue Ausbildungsberufe entstehen.

Foto: Sebastian Vollmert

In den erneuerbaren Energien könnten zahlreiche neue Ausbildungsberufe entstehen.
Heiko ­Messerschmidt,
seit 1. September Leiter des Berliner Büros der IG Metall, war 17 Jahre für die IG Metall Küste tätig – zunächst als Pressesprecher, dann als Branchenbetreuer für Schiffbau und Windindustrie. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Meyer Werft Papenburg und war in den Aufsichtsgremien von Thyssenkrupp Marine Systems und Siemens Gamesa Deutschland.

IG Metall Küste - Michael Seeha

Jetzt weiterlesen und profitieren.

Mit unserer Future Watt Firmenlizenz top informiert und immer auf dem neuesten Wissenstand in ihrem Fachgebiet.

+ Unbegrenzter Zugang zu allen Future Watt Inhalten
+ Vergünstigte Webinarteilnahme
+ E-Paper Ausgaben
+ Sonderhefte zu speziellen Themen
+ uvm.

Wir haben die passende Lizenz für Ihre Unternehmensgröße!

Mehr erfahren